Germany (von Don Winslow)
Autor: Don Winslow
Erschienen: 2016
Seiten: 384

Kim Sprague, die Frau von Frank Deckers schwerreichem Marines-Kamerad Charlie Sprague, verschwindet plötzlich. In seiner Not wendet sich Charlie an Frank, der sich auf die Suche begibt. Schnell führen Spuren in Kims Vergangenheit und Kreise der lokalen und internationalen Kriminalität. Schließlich landet Frank in Deutschland, wo sich die Lage zuspitzt.
Germany ist der zweite Band in Don Winslows Reihe Frank Decker. Das Buch erschien 2016 bei Droemer Knaur und enthält 384 Seiten, die sich wie schon beim ersten Teil in zahlreiche sehr kurze Kapitel gliedern.
Frank Decker ist nach der erfolgreichen Suche nach Hailey Hansen nicht in den Polizeidienst zurückgekehrt. Er wohnt nicht mehr bei seiner Frau, die Ehe befindet sich weiter in der Auflösung. Da erreicht ihn der verzweifelte Anruf seines alten Kampfkameraden Charlie Sprague. Seine Frau Kim ist verschwunden und Charlie befürchtet das Schlimmste. Frank verspricht, sie zu finden und macht sich auf die Suche. Er freundet sich mit der Polizistin Dolores Delgado an, die ihn bei der Suche unterstützt und dabei selbst über die Grauzone ihrer Befugnisse hinaus wandert.
Im Gegensatz zum ersten Band widmet sich Germany immer wieder recht ausführlich Franks Vergangenheit beim Militär. Verbindungen ins Heute liegen da u.a. bei Charlie, der Frank einst das Leben rettete und sich selbst dabei nachhaltig verwundete, und Franks Zeit in Deutschland im Anschluss an seine Verwundung. Hier hat er versucht, seine Traumata zu heilen; gelungen ist ihm das nur im Ansatz. So holt ihn seine Vergangenheit wieder ein, als die Spuren eben nach Deutschland führen, und er muss feststellen, dass die Vergangenheit eben noch nicht ruht.
Winslow schreibt die Geschichte wieder sehr nah an seinem Protagonisten. Der Erzählstil erinnert ein kleines bisschen an Sin City, ist also sehr persönlich. Das führt dazu, dass Frank nicht uneingeschränkt heldenhaft erscheint, was ein guter Mittelweg ist, weil seine negativen Seiten durchaus zum Tragen kommen. Eine Einordnung dieser Seiten erfolgt also implizit.
Wie im ersten Band zeichnet Winslow auch in Germany keine geradlinige Storyline. Die Handlung nimmt immer wieder Abzweigungen, die sich auch mal als Sackgasse herausstellen. Insbesondere gegen Ende macht sie recht unvorhersehbare Schwenks. Das trägt erheblich zur Spannung des Buches bei und macht Winslow für ich auch zu einem so guten Erzähler in seinem Genre. Zusammen mit der sehr persönlichen Erzählweise ergibt sich eine Geschichte, die einen problemlos mitnimmt.
Germany ist eine gelungene Fortsetzung der Reihe um Frank Decker. Spannend, nicht gradlinig und sehr nah am Protagonisten erzählt, ist das Buch ein toller Thriller.
Frank Decker
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
23. März 2020
14:37 – Aktueller Status: Pandemisch. Es ist so ruhig hier, das ist nicht schön. Leider hat die Covid-19-Pandemie auch mich einigermaßen in Beschlag. Keine Sorge, keine Infektion. Aber das ganze Drumherum – ich bin ja ehrenamtlich im Katastrophenschutz tätig – frisst schon erheblich Zeit. Wir haben zwar (noch) keine Einsatzlage, aber wir wollen ja nicht unvorbereitet sein, sollte es zum Ernstfall kommen. Passenderweise sind uns auch genau jetzt Fahrzeuge ausgefallen, die es wieder in die Einsatzbereitschaft zu bringen erfordert. Das frisst Zeit und Nerven, da bleibt nicht viel für Lesen und Schreiben.
Kommt dazu, dass auch im Privaten wieder einiges zu tun ist. Wenn’s kommt, kommt alles – kennt man ja.
Über die aktuellen Geschehnisse möchte ich fast nichts schreiben. Es war zu viel und vieles ist nur noch in seinen Auswirkungen aktuell. Die bundesweiten Maßnahmen, die seit heute gelten, kommen endlich mal in die Nähe von dem, was ich für notwendig halte. Wenn sie ziehen, haben wir vielleicht noch eine Chance, den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Eine kleine, wohlgemerkt.
Ansonsten gehörten die Tage Appellen, und mit einem solchen möchte ich auch erst mal enden: Haltet euch an die Maßnahmen. Die Infektionszahlen stiegen in Deutschland zuletzt täglich um etwa 25%, das bedeutet, eine Verdopplung etwa alle 3 Tage. Wir stehen irgendwo in Deutschland offiziell irgendwo um 25.000 Infizierte. Wenn wir bei dem Verdopplungsintervall bleiben, bricht in 2, max. 3 Wochen das Gesundheitssystem zusammen. Das kann keiner wollen.
Missing. New York (von Don Winslow)
Autor: Don Winslow
Erschienen: 2018
Seiten: 400

Die fünfjährige Hailey verschwindet spurlos beim Spielen im Vorgarten. Frank Decker und die Polizei ermitteln, finden aber keine Spur. Ein weiteres Mädchen verschwindet auf dem Schulweg. Sie wird wenig später tot aufgefunden, der Täter ermittelt und Haileys Verschwinden ebenfalls ihm angelastet. Case closed – doch nicht für Frank Decker. Er hängt seinen Job an den Nagel, setzt sich in sein Auto und beginnt eine einjährige Suche nach Hailey quer durch die Vereinigten Staaten. Eine heiße Spur führt ihn schließlich in die Upper Class von New York.
Missing. New York ist der erste Teil in Don Winslows Reihe Frank Decker. Der Thriller erschien 2014 bei Droemer Knaur und umfasst 400 Seiten, die sich in zahlreiche sehr kurze Kapitel gliedern.
Mit Frank Decker schafft Don Winslow erneut einen Protagonisten ganz in seinem Stil. Veteran, Ex-Spezialeinheit, ein bisschen kaputt, nicht immer 100% korrekt, letztendlich aber trotzdem mit dem Herz am rechten Fleck – und in seiner Berufung maximal engagiert. Seine Berufung, das zeigt sich schnell, sind Vermisstenfälle. Er ist gut darin, sie zu lösen, allerdings stößt sein Engagement an die Grenzen der ermittlungstechnischen Bürokratie. So ist es nur ein logischer Schritt, dass Decker Job und Pension bei der Polizei an den Nagel hängt und die Suche nach der kleinen Hailey auf eigene Faust fortsetzt. Sauber bleibt er dabei nicht immer, aber er setzt sich immerhin kritisch mit seinen Dämonen auseinander. Das ist ein Umgang, mit dem ich im Prinzip leben kann.
Auch in anderer Hinsicht folgt Winslow seiner Linie, die man insbesondere aus der Art-Keller-Reihe kennt. Sein Stil ist schnell. Missing. New York erzählt er aus der Sicht von Frank Decker und setzt für die einzelnen Szenen nicht allzu viel Raum an. Trotzdem mangelt es nicht an notwendigen Details, um sich in die jeweilige Situation zu versetzen. Das Buch wirkt insgesamt etwas gehetzt, allerdings nicht ungewollt (also störend) gehetzt. Winslow fängt Deckers Gemütslage auf diese Weise gut ein und gibt sie passend wieder. Die Geschichte ist an vielen Stellen schnell und Deckers Naturell ist hinsichtlich der vermissten Hailey gehetzt, in Kombination mit der Erzählperspektive ist das also nur konsequent.
Ebenfalls gut gelungen ist der Spannungsaufbau. Der Fall nimmt immer wieder mehr oder weniger unerwartete Wendungen und die genauen Zusammenhänge sind oft und lange nur rudimentär vorhersehbar. Neben Deckers Perspektive wechselt Winslow regelmäßig in die der vermissten Hailey. So vermittelt er einen kleinen Wissensvorsprung, der die Spannung zusätzlich steigert. Insgesamt bewegt sich Missing. New York permanent auf einem angenehmen Spannungslevel, das fühlt sich alles sehr ausgewogen an.
Neben dem Kinderhandel, der Mafiastrukturen bis in die obersten gesellschaftlichen Ränge mit sich bringt, macht Winslow auch den gebrochenen Veteranen wieder zu seinem Thema. In der Reihe um Art Keller konnte man die Entwicklung dahin live verfolgen, für Frank Decker liegt sie in seiner Vergangenheit. Trotzdem wirkt sie natürlich weiter. Seine Zeit im Krieg lässt ihn nicht los, auch seine Ehe, der es zwar nicht an Liebe fehlt, scheitert letztendlich auch ein bisschen an seiner Vergangenheit. Decker ist ruhelos, das Erlebte holt ihn immer wieder ein. Und er wird damit relativ alleine gelassen.
Missing. New York ist ein gelungener Start für Winslows Frank Decker. Durch die Erzählperspektive ist es nicht der typische Thriller, aber ein spannender. Mit den Figuren wird man schnell warm und die Geschichte ist, wie man es von Winslow kennt, gut ausgearbeitet und immer ein bisschen aktuell.
Frank Decker
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Ein Leben ist zu wenig (von Gregor Gysi)
Autor: Gregor Gysi
Erschienen: 2017
Seiten: 583

Gregor Gysi hatte ein bemerkenswert turbulentes Leben. 1948 geboren erlebte er bewusst nahezu die komplette Geschichte der DDR, zog als SED-Prügelknabe schlechthin in die Politik der Bundesrepublik ein und hat heute geschafft, was wohl kaum Linke schaffen: Er gilt parteiübergreifend sowohl in Politik als auch Gesellschaft als respektierte, herausragende Figur. Bis dahin war es ein weiter, oft schmerzhafter Weg, auf dem er nicht einmal seinen typischen Humor verlor. Diesen Weg, die kleinen und die großen Schritte, erzählt er in seiner Autobiografie.
Ein Leben ist zu wenig: Die Autobiographie erschien 2017 im Aufbau Verlag. Gregor Gysis Autobiografie umfasst 583 Seiten, die sich in 50 Kapitel gliedern.
Mit Autobiografien ist es ja so eine Sache: Es gibt sehr viele und eine ganze Menge davon ziehen sich mehr so dahin. Die Grenze zwischen Anekdoten, die für Außenstehende tatsächlich interessant sind und solchen, die doch eher Seiten füllen, ist unpräzise. Und weil man als Autor eine besondere Beziehung zu dem Geschriebenen hat – es ist ja schließlich die eigene Geschichte, da wird man wohl am Besten wissen, was essenziell ist -, lässt man sich auch ungern reinreden. So verkommen viele Autobiografien zu etwas, was viel verspricht, am Ende aber doch nur echte Fans bei der Stange halten kann. Ein Grund, warum ich mit dem Genre nur in Ausnahmefällen zu tun habe.
Um das gleich zu sagen, Gregor Gysi gerät auf knapp 600 Seiten nicht in die Gefahr, diese Grenze zum Uninteressanten zu überqueren. Das liegt auf der einen Seite daran, dass er ein wunderbarer Erzähler ist, auf der anderen an seinem Leben, das so ereignisreich war, dass er wohl auch problemlos die doppelte Anzahl Seiten hätte füllen können, ohne ins Belanglose abzudriften.
Ein Leben ist zu wenig erzählt so auch nicht nur Anekdoten, Gysi erklärt sich und sein Handeln ausführlich. Ob es nun seine Zeit in als Rechtsanwalt in der DDR, in der ihm vor allem im Nachhinein oft zu große Nähe zur SED-Diktatur vorgeworfen wurde, oder die in der frisch vereinten BRD ist, er erklärt seine Positionen und wie er zu ihnen kam. Gysi sucht keine Ausreden, er begründet stichhaltig – ob das nun individuell immer auf Gegenliebe stößt oder nicht.
So ist seine Autobiografie in gewissem Maße auch ein ganz persönliches, politisches Manifest. Gysi skizziert seine Ideale und Realvorstellungen linker Politik. Auch wenn ich mit denen nicht immer übereinstimme, sie sind stimmig und zeugen von einer sehr langen Zeitspanne, in der er sie entwickelt hat. Betrachtet man das linke Spektrum der Bundesrepublik heute, mit all den Grabenkämpfen und idealistischen Schlachtfeldern, ist Ein Leben ist zu wenig vielleicht aktueller denn je. Zu leicht verdrängen doch gerade wir Linken, dass Demokratie den Kompromiss voraussetzt. Was nicht heißen soll, dass man von Zeit zu Zeit seine Wertebasis über Bord werfen muss, aber Einzelheiten der idealistischsten Utopie muss man eben doch dem Kompromiss opfern, will man, dass die Utopie nicht für alle Zeiten eben eine solche bleibt. Das ist vielleicht die wichtigste Lehre, die man aus Gysis Autobiografie ziehen kann.
Sieht man einmal von dieser linken Komponente ab, die sich selbstverständlich durch das ganze Buch zieht, bekommt man ein herrlich geschriebenes, durchweg reflektiertes Werk. Gysis Leben ist in gewisser Weise auch ein historisches, denn es beinhaltet fast die gesamte Geschichte der DDR inkl. der Einheit und ihrer leider nach wie vor anhaltenden Nachwehen. Aus diesem Blickwinkel ist Ein Leben ist zu wenig fast noch interessanter, weil es vieles erklärt und Gysi ein Stück weit Versöhnungsarbeit leistet. Er klagt selten an, so kennt man ihn, sondern geht interessiert und mit offenen Augen durchs Leben und nimmt fast alles mit einer Prise beißendem Humor. Das mag ein Punkt sein, der ihn zu der lagerübergreifend respektierten Figur gemacht hat, die er heute ist.
Wie ich eingangs sagte, es gibt nicht so viele Autobiografien, die ich vorbehaltlos weiterempfehlen würde; Ein Leben ist zu wenig schließt sich dieser Gruppe definitiv an. Unterhaltsam, informativ und mitreißend geschrieben, ist es ein Werk, das Gräben überwinden helfen kann, in jedem Fall aber sehr schön zu lesen ist.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Leid und letzter Tag (von Elias Haller)
Autor: Elias Haller
Erschienen: 2018
Seiten: 392

Während auf dem Chemnitzer Marktplatz ein vermeintlich Verrückter, der nach eigener Aussage dazu gezwungen wird, der Kriminalpolizei einen Koffer zu übergeben, von der Polizei umstellt wird, findet Erik Donner im Schlafzimmer seiner fast schon aufgegebenen Wohnung eine übel zugerichtete Drogenabhängige, der ein Handy in die Bauchhöhle operiert wurde. Schnell steht fest, beide Vorgänge stehen in Zusammenhang und es gibt eine Verbindung in die Vergangenheit von Franz Donner, Eriks Vater: Der Spielmann ist wieder da und sein Spiel mit der Mordkommission hat bereits begonnen.
Leid und letzter Tag ist der sechste Band in Elias Hallers Reihe um den ruppigen Kriminalhauptkommissar Erik Donner. Der Kriminalthriller erschien 2018 bei Edition M, einem Imprint von Amazon Publishing. Er umfasst 392 Seiten, die sich in 72 Kapitel gliedern.
Erik Donners sechster Fall ist einmal mehr eine Reise in die Vergangenheit – diesmal in die seines Vaters Franz, dem pensionierten Leiter des K11. Vor vielen Jahren spielte der Spielmann sein perfides Spiel mit der Mordkommission, die konnte ihn unter Franz Donners Führung zwar festnehmen, trotzdem ließ ihn der Fall nie los. Er schien nicht endgültig aufgeklärt und so kehrt der Spielmann nun offenbar aus der Haft zurück und setzt sein Spiel fort.
Wie schon in den bisherigen Bänden erzählt Elias Haller auch in Leid und letzter Tag die Handlung wieder aus Gegenwart und tiefer Vergangenheit. Die Stränge bewegen sich über das Buch aufeinander zu, allerdings wieder in einem Maße, das kaum vorzeitige Rückschlüsse auf die Gesamtzusammenhänge zulässt. Haller versteht es hervorragend, die endgültige Auflösung bis zum Ende hinaus zu zögern, auch wenn er im Vorfeld schon beträchtliche Informationen liefern muss – in diesem Fall beispielsweise die Identität des Spielmanns.
Bemerkenswert ist auch die Spannungskurve, die im Prinzip gar keine Kurve, sondern eine recht beständige Gerade auf Spitzenniveau ist. Es gibt quasi keine Pausen, jede Spannungsspitze geht fast nahtlos in die nächste über – und das über das gesamte Buch hinweg. Insofern fiel es mir auch wirklich schwer, das Lesen zu unterbrechen.
Wie schon im fünften Band tut es der Geschichte auch in Leid und letzter Tag wieder sehr gut, dass ein größerer Fokus auf der Rahmenhandlung der Reihe liegt. Man erfährt viel aus der Vergangenheit Franz Donners, ebenso bekommt Eriks und Annes Beziehung wieder viel Raum. Das große Ganze der Reihe beansprucht dadurch seinen verdienten Platz, die Figuren werden nahbarer.
Leider muss ich auch in diesem Band wieder Hallers Verwendung von diskriminierender Sprache kritisieren und nachdem ich nun für mich am vorzeitigen Schluss der Reihe angekommen bin, sehe ich mich ein wenig in meiner damaligen Kritik an Tod und kein Erbarmen bestätigt. Übergreifend betrachtet liegt dieser Kritik ein Auf und Ab zugrunde. Im Falle von Leid und letzter Tag ist es wieder ein Ab. Ohne große Not reproduziert Haller das N-Wort – nur drei Mal und nur in einer Szene, aber da ist es nunmal. Es gibt eine implizite Einordnung, aber die ist leider einmal mehr allerhöchstens halbherzig. Mir will nicht in den Kopf, warum man nach all den Diskussionen, die in der Literaturcommunity gerade um dieses Wort geführt wurden – man denke nur an die Pippi-Langstrumpf-Reihe -, es im Jahre 2018 immer noch benutzen muss. Da geht mir leider sofort die Hutschnur.
Ein weiteres wiederkehrendes Schlachtfeld betrifft den Lokalkolorit. Kritik am Ausblenden des rechten Grundrauschens im Erzgebirge hatte ich bereits bei anderen Bänden geübt, ich will sie hier auch nicht zu hoch hängen, weil sie in Tod und kein Erbarmen deutlich angebrachter ist. Aber zu dieser Kritik gehört auch, dass in Leid und letzter Tag zwar Ausschreitungen von Anhängern von Lok Leipzig eine Rolle spielen, tunlichst aber kein Wort darüber fällt, dass gerade im Fall der Anhängerschaft dieses Vereins durchaus eine politische Dimension nahe liegt. Lok gehört nunmal zu den Vereinen, deren Fanszenen auf der politischen Skala am rechten Rand dominiert sind. Das kann man ausblenden, in Regionalliteratur gehört das für mich aber halt zum Lokalkolorit und den darf man durchaus auch da, wo er unsympathisch ist, als solches benennen. Das hat etwas mit Haltung zu tun.
Letzten Endes bin ich ein bisschen froh, mit der Reihe nun soweit durch zu sein. Ich mag Hallers Art, Charaktere auszuarbeiten, genauso die Komplexität seiner Fälle. Aber diskriminierende Sprache und die offensichtliche Rosinenpickerei beim Lokalkolorit trüben mein Leseerlebnis regelmäßig gewaltig. Wer darüber hinweg sehen kann – gemessen an den Bewertungen der Reihe ist das der überwiegende Teil der Lesenden – bekommt mit Leid und letzter Tag aber wieder einen rasanten Kriminalthriller, wohl den rasantesten der Reihe.
Erik Donner
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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