Die Diplomatin (von Lucas Fassnacht)
Autor: Lucas Fassnacht
Erschienen: 2019
Seiten: 688

Ein Hashtag lässt die brodelnde Welt eskalieren: #killtherich. Von Brasilien aus breitet sich eine Welle von Massenprotesten aus, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Regierungen werden gestürzt, immer mehr Videos von gewaltsamen Übergriffen seitens Staatsmächten heizen die Stimmung an. Ein junger Chauffeur wird in Brasilien plötzlich zum Hoffnungsträger.
Conrada van Pauli arbeitet in leitender Position beim EAD, dem diplomatischen Dienst der EU. Als Expertin für Verhandlungen versucht sie, die zusammenbrechenden Staaten auf einen Kurs zu bringen, der Bürgerkriege verhindern könnte. Doch sie hat mächtige Gegner … nicht nur in den Regierungen, auch die Wirtschaft zieht hinter den Kulissen ganz eigene Fäden.
Die Diplomatin – ursprünglich erschienen als #killtherich – ist der Debütthriller von Lucas Fassnacht und um das gleich mal vorweg zu nehmen, weil ich nachher einiges kritisieren werde, als rein fiktionaler Thriller ist das Buch wirklich ziemlich super. Fassnacht strickt, ausgehend vom rechtsdriftenden Zustand der Welt und dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen arm und reich, ein dystopisches Szenario eskalierender globaler Unruhen. Dabei lässt er zahlreiche oft kurze Handlungsstränge aufeinander zu laufen, um die unterschiedlichen Reaktionen der Staaten sichtbar zu machen. Im Verlauf des Buches rücken so immer wieder neue Figuren unterschiedlich lange ins Zentrum des Geschehens. Eine beständige Rolle nehmen dabei Conrada van Pauli und der indische Journalist Bimal Kapoor ein – sie für den Handlungsstrang der Unruhen, er für den der Wirtschaftsverschwörung. Die beiden sind wohl auch die Figuren, denen Fassnacht die meiste Tiefe verleiht. Über Rückblenden auf ihre Vorgeschichten versucht Fassnacht das für weitere Figuren aufzufangen, stellenweise gelingt ihm das auch recht gut.
Gut gefallen hat mir auch die organisatorische Einbettung in die Realität. Fassnacht übernimmt nicht nur zahlreiche, allgemein wahrscheinlich weniger bekannte multinationale Organisationen und Teile ihrer nachgeordneten Strukturen. Das betrifft insbesondere außenpolitische und nachrichtendienstliche Strukturen der EU, die UN und die UNASUR. Dazu kommen zentrale Figuren aus der Realität – neben Regierungschefs vor allem Federica Mogherini, die frühere Hohe Vertretern der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die insofern eine Sonderrolle einnimmt, dass sie innerhalb der fiktiven Handlung eine aktive Rolle inne hat. Die organisatorische passt sich dabei ganz gut in die inhaltliche Komplexität ein. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich bei Die Diplomatin um ein Debüt handelt, ist die doch unerwartet umfangreich.
Ich komme zur Kritik. Zunächst etwas konzeptionelles, das ich unter Geschmackssache ablege. Die Diplomatin ist Gegenwartsliteratur und beschäftigt sich entsprechend mit in hohem Maße aktuellen Problemen. Damit meine ich nicht weltweite Protestwellen mit tatsächlichem Gefahrenpotential für die Systeme, sondern die wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen Missstände dahinter. Die Ausgangslage für Fassnachts Szenario ist die Realität. Das mag ich an kritischer Gegenwartsliteratur prinzipiell sehr, weil es die Möglichkeit bietet, auch mal unkonventionelle Lösungsansätze durchzuspielen. Fassnacht macht das beispielsweise mit José Colasanti und leider nur im Ansatz über die Konzepte von ihm, Conrada und Prof. Auenrieder. Darauf könnte man stärker aufbauen, das passiert aber nicht. Schade.
Stattdessen konzentriert sich Die Diplomatin darauf, ein turbulentes aber leider in seiner Komplexität ziemlich unwahrscheinliches Szenario aufzubauen. Eine weltweite Protestbewegung, die reihenweise Regierungen stürzen kann und zahlreiche Bürgerkriege entfesselt alleine ist schon recht unwahrscheinlich. Dass zeitgleich auch noch Beweise für eine globale Verschwörung universellen Ausmaßes – einen globalen Deep State quasi – auftauchen, mit denen man die komplette Verschwörung und ihre Beteiligten enttarnen könnte, finde ich schade, weil es mir die Lösungsansätze zu sehr ins Fiktionale verlegt. Damit wir uns nicht falsch verstehen, das macht das Buch nicht schlechter, es macht es nur fiktionaler, wo es Potenzial hätte, die Realität zu diskutieren.
Ein anderer Punkt geht einher mit Content Warnungen: Die Diplomatin enthält inzestuös-/sexualisierte Szenen, Folterszenen, Polizeigewalt und – sehr plastisch – rassistische Gewalt. Im Zusammenhang mit Letzterer fallen auch einige rassistische Wörter, u.a. das N-Wort. Dies findet immer in negativ konnotiertem Kontext statt, insofern ist wenigstens die Verurteilung implizit. Dazu kommt Sexismus ggü. Frauen und der wird, jedenfalls im Gesamtbild, nicht immer von negativ konnotierten Figuren praktiziert. Darauf sollte man leider gefasst sein.
Zusammengefasst empfand ich Die Diplomatin als ziemlich gelungenes Debüt, wenn man mit einem rein fiktionalen Anspruch an das Buch geht – es ist Fiktion, also sollte man das wohl. Der Thriller ist komplex und im Ansatz ganz gut in die Realität eingebunden, thematisch ist er hochaktuell. Mich hat er jedenfalls neugierig auf mehr gemacht.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über die Referrerlinks zu meinem Profil oder der Rezension im Meta-Block oben kaufst. Bedankt 🙂
Wut (von Bob Woodward)
Autor: Bob Woodward
Erschienen: 2020
Seiten: 490

Das ist er also, der zweite Teil von Bob Woodwards Begleitung der Präsidentschaft Donald Trumps. Besonders, weil ein Unterschied zum ersten Teil Furcht, beruhte damals noch alles höchstens auf Informationen aus dem Umfeld des Präsidenten, so ließ sich Trump für dieses Buch nun auch selber interviewen. Wohl auch, um sein Bild ins rechte Licht zu rücken – was man wohl als übermotiviert und erwartungsgemäß gescheitert betrachten darf. Trotzdem wird der Einblick durch die O-Töne noch mal um einiges besser. Auch wenn die oft ziemlich weh tun. Körperlich.
Auch wenn sich Wut im Kern weitgehend um den Nordkorea-, den China-Konflikt und die Covid-19-Pandemie dreht, beginnt Woodward das Buch im November 2016, also zu Zeiten des President-Elect Donald Trump. Woodward zeichnet dabei insbesondere die Wege von James Mattis, Rex Tillerson und Dan Coats ins Kabinett des künftigen US-Präsidenten nach. Was sie trieb, wie sie sich überzeugen ließen und welche persönlichen Konflikte dabei auftraten – denn solche gab es durchaus. Hier geht er dem Reportageformat entsprechend sehr neutral mit den einzelnen Beteiligten um. Das ist vom journalistischen Standpunkt her gut, trotzdem muss ich es kritisieren, weil insbesondere diejenigen, die von Trump selber überzeugt sind, dabei zu unkritisch wegkommen, während Woodward später mit diesem journalistischen Anspruch hadert. Dazu unten mehr.
Was mit Wut tatsächlich wieder gut gelingt, ist die Abbildung des organisatorischen Chaos‘ der Präsidentschaft. Die schließt sich nahtlos an Furcht an, wo sie im Fokus lag. Woodward fängt den verzweifelten Kampf insbesondere des DNI Dan Coats glaubhaft und ziemlich mitreißend ein, wenn er schlicht versucht, seinen Job nach seinen persönlichen Maßstäben zu machen, dabei aber ständig aus der Ecke behindert wird. Die persönliche Verzweiflung ist mit Händen greifbar.
Ende 2019, also kurz vor Beginn des letzten Jahres seiner Amtszeit beginnen dann die 17 Interviews mit Donald Trump selbst, die Woodward meist im Wortlaut wiedergibt. Zusammen mit dem Briefwechsel zwischen Trump und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un bilden sie wohl den spannendsten Teil von Wut, weil sie persönlicher als alles andere an Trump heran führen. Besonders die Interviews zeugen von einer kolossalen Selbstüberschätzung bei weitgehender Unwissenheit und Beratungsresistenz des Präsidenten. Wie schwer dieser Teil der Recherche auch Woodward gefallen sein muss, zeigt sich im Verlauf der Interviews. Denn inhaltlich ändert sich mit der Zeit da einiges, besonders mit Fortschreiten der Covid-19-Pandemie und dem katastrophalen Krisenmanagement der US-Administration. Woodward verlässt den strikt journalistischen Pfad und beginnt – erst vorsichtig, später immer eindringlicher – seinen Zugang zu Trump nutzen zu wollen, um ihn zu einem ernsthafteren Umgang mit der Pandemie zu bewegen. Das kann ich angesichts des katastrophalen Verlaufs in den USA einerseits verstehen, andererseits komme ich hier aber wieder zurück zu meiner Kritik vom Anfang. Denn wenn Woodward den journalistischen Anspruch in einem für das Buch so zentralen Bereich schleifen lässt, könnte er auch die eingangs erwähnten Amtsträger kritischer beurteilen. Aus heiterem Himmel sind die meisten von denen nämlich wohl kaum im Sumpf der Administration gelandet. Ein Mike Pence beispielsweise ist auch ohne Trump keine unproblematische Figur. Da mutet es für mich schon merkwürdig an, wenn sein evangelikaler Hintergrund im Buch vor allem als geistiger Rückhalt im Sinne von »schlimme Zeiten, aber Gott hat mich ausgewählt, damit es nicht noch schlimmer wird« beschrieben wird.
Trotzdem, die Interviews sind das bemerkenswerteste, was das ganze Buch liefert. Und in einem dieser Interviews findet sich auch das vielleicht beste Mittel zur Charakterisierung Donald Trumps. Es geht dabei um die sog. Ukraine-Affäre, die auch ein juristisches Nachspiel hatte. Trump hatte Hilfsgelder an die Ukraine hinter geschlossenen Türen an die Bedingung geknüpft, dass die Ukraine Ermittlungen wegen Korruption gegen Hunter Biden forciert. Bob Woodward versucht im Interview nun, Trump zu erklären, warum es juristisch einen gewaltigen Unterschied macht, ob man den gemeinsamen Kampf gegen Korruption fördert oder Ermittlungen gegen Angehörige eines politischen Konkurrenten mit der Vorenthaltung von finanziellen Hilfen erpresst. Er gibt sich da wirklich Mühe und man kann seine Verzweiflung quasi zwischen den Zeilen lesen. Trump hingegen versteht diesen Unterschied beim besten Willen nicht und greift vehement die ach so unfairen Ermittlungen gegen ihn an – das ist der Teil, den man auch in den Medien, insbesondere auf Twitter, minutiös verfolgen konnte. Bemerkenswert ist dabei die Erkenntnis, dass der Horizont des scheidenden Präsidenten tatsächlich so beschränkt ist, wie es sein öffentliches Auftreten vermittelt, und eben nicht nur eine umfassende und ziemlich erfolgreiche Kommunikationsstrategie.
Abschließend sei gesagt, dass Wut nach Furcht wieder bemerkenswerte Einblicke liefert. Bob Woodward kommt aufgrund seiner langjährigen Reputation außergewöhnlich nah an die US-Präsidenten heran, da macht selbst Donald Trump keinen Unterschied. Damit und mit der akribischen Recherche bietet das Buch einen tiefen Einblick in Charakter und Funktionsweise auch dieser Präsidentschaft.
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Kissing Chloe Brown (von Talia Hibbert)
Autor: Talia Hibbert
Erschienen: 2020
Seiten: 400

Romance also. Das ist normalerweise so überhaupt nicht mein Genre. Dass ich im Falle von Talia Hibberts Kissing Chloe Brown eine Ausnahme gemacht habe, liegt an ihrer Genre-Selbstbeschreibung: Sexy Diverse Romances. Divers macht für mich den Unterschied und dass Hibbert nicht nur eine Schwarze Autorin ist, sondern darüber hinaus mit Fibromyalgie bei Chloe über eine Krankheit schreibt, unter der sie selber leidet, kommt als Entscheidungshilfe noch obendrauf. Kissing Chloe Brown ist dabei der erste Teil einer Trilogie um die Brown-Schwestern Eve, Dani und eben Chloe. Jeder Band dreht sich um eine der drei Schwestern, der erste um Chloe.
Chloe Brown also. Chloe ist eine junge Schwarze Frau aus gutem Hause. Allerdings hat es das Leben bei Weitem nicht so gut mit ihr gemeint, wie das jetzt klingt. Sie hat Fibromyalgie, lebt also u.a. mit chronischen Schmerzen, und kommt in diesem Zusammenhang aus einer toxischen Beziehung. Ihr Leben hat sie umgekrempelt, lebt jetzt alleine in einer kleinen Wohnung. Als sie eines Tages fast überfahren wird, fasst sie einen Entschluss: Eine Liste der Dinge, die sie machen will, um der Mensch zu werden, der sie eigentlich sein will.
Da kommt unerwartet der Künstler und Hausmeister ihres Wohnblocks Red Morgan ins Spiel. Auch er macht gerade nicht die beste Phase seines Lebens durch, auch er kommt aus einer toxischen Beziehung. Mit seinem künstlerischen Schaffen klappt es nicht mehr und ganz allgemein geht es mit ihm eher bergab als bergauf. Chloe und er fallen sich zwar auf, die Begegnungen beschränken sich zunächst aber auf beißende Abweisung seitens ihr. Bis die beiden merken, dass sie gut füreinander sind.
Über Liebesgeschichten kann ich eigentlich nicht viel sagen. Für mich verlaufen sie immer ziemlich ähnlich und vorhersehbar und leben eigentlich hauptsächlich vom Mitfiebern, ob sich die Protagonist:innen denn am Ende kriegen, obwohl man genau weiß, dass es darauf hinaus laufen wird. Darum verlagere ich mich hier mal auf die Bereiche, wegen denen ich Kissing Chloe Brown überhaupt gelesen habe: Diversität. Hier bin ich recht begeistert von der Umsetzung. Chloe wird nicht, wie das öfter passiert, auf die Eigenschaften beschränkt, die sie zu einer marginalisierten Person machen. Insbesondere ihre Krankheit und die erheblichen Einschränkungen, die sie durch die erlebt, finden nicht herausgestellt, sondern beiläufig wie das Normalste der Welt statt. Wie sie für Chloe eben auch das Normalste der Welt sind. Nicht schön, aber eben auch nicht zu ändern. Trotzdem nimmt die Fibromyalgie durch ihre alltäglichen Folgen für Chloe natürlich eine zentrale Rolle ein – nur eben keine, die als besonders oder anders herausgestellt wird. Das gefällt mir gut, denn Krankheiten oder Behinderungen sollten nicht als unnormal behandelt werden.
An der Stelle sticht sicherlich auch Red heraus, der auf beeindruckende Weise besonders mit der Krankheit umgeht. Eben so, wie man es von Partnern erwarten können sollte.
Im Gegensatz zur Fibromyalgie findet Chloes Schwarzsein im Prinzip überhaupt nicht statt. Es wird erwähnt, aber das war es auch schon. Hier bin ich mir tatsächlich nicht ganz sicher, wie ich das finden soll. Einerseits wird es so eben auch implizit normalisiert, andererseits beschränkt sich das alltägliche Leben dann auf eine weiße Vorstellung – jedenfalls bei weißen Leser:innen. Weil Kissing Chloe Brown Romance ist und damit Gesellschafts- und Rassismuskritik nicht unbedingt Bestandteil sein müssen – Romance ist in der Hinsicht ja doch meist eher leicht verdauliche Unterhaltung – würde ich das verschmerzen. Weil Hibberts Selbsteinordnung aber explizit Diverse Romance ist, tue ich mich ein bisschen schwer damit, die Schwarze Perspektive nicht expliziter einfließen zu lassen. Nicht zwingend explizit mit rassismuskritischen Elementen, aber eben Elemente des Alltagslebens. Ich bin da zwiegespalten.
Was ich hinsichtlich der Schwarzen Perspektive aber positiv hervorheben möchte, ist das Verhältnis von Chloe und Red. Die sind nämlich beide auf ihre Weise kaputt. Die Erzählung ist nicht, dass der heroische weiße Red die kranke Schwarze Chloe retten muss, wie es leider ziemlich oft passiert – Stichwort white saviourism. Chloe und Red sind beide auf ihre Weisen in einer psychisch schwierigen Verfassung und durch ihre jeweilige Vergangenheit erheblich vorbelastet. Die Geschichte ist eine einer gegenseitigen Rettung und das recht gleichberechtigt, wenn auch nicht immer auf gleiche Weise. Das gefällt mir ziemlich gut.
Wenig zu meckern gibt es auch am Attribut Sexy. Kissing Chloe Brown weist nicht wenige explizite Passagen auf, die finde ich weitgehend gut umgesetzt. Ein bisschen problematisch erschien mir stellenweise Red, der sich ein ums andere Mal erheblich zusammenreißen muss, um in der Phase vor der Beziehung nicht über Chloe herzufallen. Im Kontext liest sich das schon fast wie kurz vor dem sexuellen Übergriff und entproblematisiert wird es im Prinzip nur, weil Chloe es wohl sehr begrüßen würde. Nur dass Red das eben nicht wissen kann, wodurch die Entproblematisierung eigentlich nicht funktionieren kann.
Content Warnungen kann ich mir bei dem Genre wohl eigentlich sparen. Dass es explizite Beschreibungen sexueller Handlungen gibt, gehört da einfach dazu. Ich könnte mich jetzt darüber auslassen, wie viele eher unschöne Bezeichnungen es im Deutschen für den unteren weiblichen Intimbereich gibt und dass bei expliziten Übersetzungen quasi immer zahlreiche davon Verwendung finden müssen – aber letztendlich ist das auch wieder Geschmackssache.
Am Ende bleibt Kissing Chloe Brown eine ganz schicke Liebesgeschichte mit einem gut umgesetzen, literarisch leider noch etwas spezielleren Charaktersetting. Insofern eine Empfehlung für Freund:innen des Genres und Leser:innen, die sich mal anschauen wollen, wie man Figuren abseits der Norm auch konstruieren und verwenden kann.
Transparenzblock: Das Buch habe ich im über NetGalley als Rezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension) sind damit, abgesehen von eben einer Rezension, nicht verbunden. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.
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Sophia, der Tod und ich (von Thees Uhlmann)
Autor: Thees Uhlmann
Erschienen: 2017
Seiten: 320

An der Tür des Erzählers klingelt es, davor steht der Tod. Die Zeit des Erzählers ist gekommen, doch etwas geht schief. An der Schwelle zum Jenseits tobt ein Kampf um die Stelle des Todes und der Erzähler steckt ungewollt plötzlich mittendrin. Gemeinsam mit seiner Ex-Freundin, mit der er nie ganz abgeschlossen hat, und dem Tod beginnt er einen Roadtrip zu seiner Mutter und seinem Sohn. Es steht viel auf dem Spiel, nicht weniger als das Jenseits der ganzen Menschheit.
Sophia, der Tod und ich ist das Romandebüt des Musikers Thees Uhlmann. Als Musiker gehört er fest zu meinem Unterhaltungsrepertoire, auf dem Wege bekam ich auch deutlich verspätet mit, dass er in Buchform schreibt. Sein zweites Buch über die Toten Hosen gab es irgendwann mal als Hörbuch bei Spotify, das hat mit stilistisch ziemlich begeistert (er ist auch ein ganz wunderbarer Vorleser für seine Texte). Da lag es nah, sich auch mal seinem Roman zu widmen. Was sich keinesfalls als Fehler erweisen sollte.
Der nicht näher benannte Erzähler – männlich, um die 40, ein Sohn, zu dem er aber nur einseitig über tägliche Postkarten Kontakt hat, Altenpfleger und ansonsten in seinem Leben relativ gescheitert, das aber wenigstens in beißendem Zynismus – wird also mit seinem unmittelbar bevorstehenden Tod konfrontiert, der einen Hauch weniger unmittelbar auf unbestimmte, aber absehbare Zeit verschoben werden muss. Von nun an fristet er sein Leben gemeinsam mit dem Tod – tot, sehr alt, stilvoll, unterhaltsam, Mutters Liebling und vom Karriereende bedroht -, denn ein kosmischer Jux besagt, dass stirbt, wer weiß, dass er der Tod ist und sich weiter als 400m von ihm entfernt … etwa. Aus dem gleichen Grund muss des Erzählers Ex-Freundin und große Liebe Sophia – ebenfalls um die 40, polnischer Abstammung, wunderschön und noch beißender zynisch – sich dem kuriosen Paar anschließen und später auch des Erzählers Mutter. Es bildet sich eine Gruppe sehr unterschiedlicher Charaktere, die aber eine meist urkomische Kombination ergeben.
Uhlmann gelingt dabei etwas recht schönes, denn Sophia, der Tod und ich hat an sich eine recht vorhersehbare Handlung, wird durch die Figuren und ihr Zusammenspiel in Wort und Tat aber zu einem ganz tollen Roman. Insbesondere die Dialoge sind teilweise herrlich absurd, egal wer gerade beteiligt ist. Dabei spielt er gefühlsmäßig auf einer breitgefächerten Klaviatur: von Trauer über Wut bis Lachen und Freude ist alles dabei und das so, dass es sich nie erzwungen anfühlt. Gute Teile sind so herrlich melancholisch, wie man Uhlmann auch musikalisch kennen kann. Das beherrscht er wirklich auf besondere Art.
Ein ganz kleines bisschen gewarnt sei trotzdem. Die Geschichte findet in einem kleinstädtisch sozialisierten Umfeld statt, das färbt naturgemäß etwas auf die Figuren ab. Es gibt zwar sehr wenig und nicht allzu harte diskriminierende Sprache, aber frei von ihr ist Sophia, der Tod und ich nicht. Meist fügt sich das in ein Zusammenspiel zwischen den Figuren ein (Sophia und ihr Vater frotzeln mit dem Erzähler über ihre polnische Herkunft, des Erzählers Mutter kokettiert regelmäßig mit ihrem Hintergrund als Hugenottin), allerdings wird insbesondere Autismus ein paar mal zweckentfremdet. Wie gesagt, es sind sehr wenige Einzelfälle, aber es gibt sie.
In diesem Sinne, mit Sophia, der Tod und ich bekommt ihr ein wunderschönes, melancholisches, witziges, trauriges, optimistisches und insgesamt sehr gelungenes Buch über das Leben, die Liebe, den Tod und überhaupt. Thees Uhlmann hat ein tolles Debüt geliefert.
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2024 – Singularity (von Matt Javis)
Autor: Matt Javis
Erschienen: 2019
Seiten: 301

Lou und seine Mitbewohner:innen bilden eine szenetypische Tüftler-WG in Pasadena. Künstliche Intelligenz ist insbesondere sein Thema, hier ist der junge Mann Experte. Nachdem Tarja einzieht, wird die WG plötzlich brutal überfallen. Die Neue scheint überraschend vorbereitet und flüchtet gemeinsam mit Lou. Schnell wird klar, dass Lous KI-Forschung ins Visier staatlicher und wirtschaftlicher Interessensgruppen gelangt ist und er sich mit mächtigen Gegnern befassen muss.
2024 – Singularity ist mir irgendwo zwischen LovelyBooks und mojoreads begegnet. Der Techroman markiert das Romandebüt des Physikers und Softwareentwicklers Martin Kreyscher unter dem Pseudonym Matt Javis. Das Buch erschien im Selbstverlag, was sicher nicht an seiner Qualität lag.
Spannend und etwas gewöhnungsbedürftig fand ich gleich im ersten Teil der Handlung die Zeitsprünge. Zu Beginn hatte ich das Buch nebenbei gelesen, so dass ich zwischendurch Gefahr lief, den zeitlichen Überblick zu verlieren. Das gibt sich aber recht schnell und die Kontinuität der Erzählung leidet kaum unter den zeitlichen ›Lücken‹ in der Handlung. Spätestens, bis die Handlung Fahrt aufnahm, war ich in der Geschichte drin.
Vernachlässigt hat Javis für mich ein wenig seine Figuren. Lou bekommt Tiefe, das lässt sich kaum vermeiden, schließlich begleitet der Großteil des Romans ihn. Bei Tarja wird es schon weniger, obwohl auch sie viel mit im Mittelpunkt steht. Alle anderen Figuren, inkl. Markov, bleiben leider etwas blass. Insgesamt hatte ich öfter das Gefühl, ein paar mehr Seiten hier und da hätten durchaus noch sein können. Ein häufiges Phänomen bei selbstverlegten Büchern, das nicht selten auf den Druckkosten fußt. Insofern möchte ich das nicht überbewerten, da muss man halt den Spagat zwischen Handlung und marktverträglichem Preis finden und das ist nicht unbedingt einfach.
Außerdem hat Javis den Platz für eine tolle Handlung genutzt. 2024 – Singularity glänzt als Techroman im KI-Segment. Nach einem relativ gemütlichen Start geht das Buch recht schnell in seine rasante Phase über, die kaum unterbrochen bis zum Ende anhält. Neben den genreüblichen, recht allgemeinethischen Fragen zum Komplex KI wirft Javis auch solche wie etwa die nach den ›Eigentümern‹ (was eigentlich das falsche Wort ist) einer starken KI auf. Ob also ein potenziell so mächtiges Instrument (was auch wieder das falsche Wort ist) in den Händen der Wirtschaft liegen darf. Eine der zahlreichen Fragen, mit denen sich Politik und Gesellschaft schon heute dringend beschäftigen sollten, denn die Implikationen von starken KIs, sollten sie denn entwickelt werden, sind dann so unmittelbar und weitreichend, dass es zu spät sein wird, sich erst dann dieser Fragen zu widmen.
Was ich ein wenig schade finde, das zieht sich aber durch das gesamte KI-Genre, ist der Verzicht auf eine allgemeinverständliche Erklärung der Deep-Learning-Verfahren. Jawis geht da schon etwas weiter als üblich, indem er sein wissenschaftliches Paper zum Lernkonzept von Lucy, der KI des Romans, im Anhang anfügt. Allerdings ist das eben – nun ja – ein wissenschaftliches Paper. Die praktischen Grundlagen des Lernprozesses bleiben letztendlich eine Blackbox, es bleibt bei der üblichen Erklärung, man »füttert« die KI mit bestehenden Daten und sie lernt daraus. Sicher, Deep Learning ist ein reichlich abstraktes Konzept ebenso wie neuronale Netzwerke, aber es bleibt der Allgemeinheit eben auch abstrakt, wenn sie in Populärliteratur nie allgemeinverständlich, was selbstverständlich auch Simplifikation einschließt, erklärt werden. Javis versucht das zu Beginn mit dem Roboter Marvin und er schafft es da auch weiter, als viele Autor:innen zuvor, aber es bleibt doch vieles abstrakt.
Doch nun genug genörgelt, denn das wird 2024 – Singularity nicht gerecht. Sieht man mal von diesen technischen Kritikpunkten ab, bleibt das Buch ein spannender Techroman. Und für Fachkundige gibt es sogar noch ein bisschen Wissenschaft dazu. Ein gelungenes Debüt, das Lust auf mehr macht.
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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