Rezension: Die Geschichte des Wassers (von Maja Lunde)

Norwegen in der Gegenwart: Nach einem Leben voller Kämpfe kehrt die alternde Journalistin und Umweltaktivistin Signe in ihr Geburtsdorf zurück. Ihr Jugendfreund Magnus und seine Firma planen ein weiteres Mal, die natürlichen Grundlagen der Gegend nachhaltig auszunehmen: Das Eis des sich zurückziehenden Gletschers soll als Luxusprodukt verkauft werden. In einem letzten Akt der Rebellion möchte Signe das verhindern und begibt sich mit ihrem kleinen Segelschiff auf eine beschwerliche Reise.
Frankreich im Jahre 2041: Fünf Jahre hat die große Dürre weite Teile der Welt, auch Süd- und Mitteleuropas, nun in ihrer Hand. Das Land gleicht einer Wüste, Wasser ist ein Mangelgut. Die Menschen flüchten – vor der Dürre, vor Bränden, auf der Suche nach Trinkwasser. Auch David gehört mit seiner kleinen Tochter Lou zu den Geflüchteten. Seine Frau und den Sohn – er ist noch ein Baby – haben sie zu Beginn der Flucht verloren, als sich das Feuer ihre Heimat geholt hat. Im Auffanglager warten sie verzweifelt auf ihre Ankunft. Doch die Lage wird zunehmend auswegloser.
Nach Die Geschichte der Bienen ist Maja Lunde auch im zweiten Band ihres Klimawandel-Quartetts eine einfühlsame und fesselnde Auseinandersetzung mit einem Aspekt des Klimawandels gelungen. Die Geschichten der beiden Handlungsstränge – eigentlich sind es drei – werden, wie auch schon im ersten Band, im Wechsel erzählt. Im Laufe der Geschichte treffen sie aufeinander. Der dritte Strang besteht aus Signes Jugenderinnerungen, die innerhalb des Signe-Strangs erzählt werden.
Die Geschichte an sich ist empathisch erzählt, drückt aber die Augen auch nicht vor Grausamkeiten zu. So berichtet Lunde beispielsweise recht detailliert über physische, gruppenbezogene Gewaltentwicklung in Auffanglagern oder die Entstehung psychischer Gewalt in persönlichen Extremsituationen. Gerade bei letzterem fand ich die Erzählung schwer zu ertragen, was aber keine Kritik sein soll, ganz im Gegenteil. Lunde hat in Vorbereitung des Buches u.a. in einem Auffanglager recherchiert, das merkt man deutlich. Die Beschreibung der Lebenswirklichkeit und der gruppendynamischen Vorgänge innerhalb solcher Extremsituationen erklärt auch viel über reale Fälle von Gewalt jeder Art in Auffanglagern.
Das eigentliche Hauptthema, das Wasser, ist omnipräsent. Es schwebt quasi in jedem einzelnen Satz über allem. Wie sehr Lunde die großen Folgen des Klimawandels am Herzen liegen, sticht auch in diesem Band durchweg deutlich hervor.
Wie schon Die Geschichte der Bienen ist auch dieser Band wieder ein wunderschönes Buch, das ich nur empfehlen kann. Mir kam es vor, dass ich in den Handlungssträngen diesmal deutlich weniger durcheinander kam. Das mag einerseits daran liegen, dass ich diesmal mehr Zeit hatte, um zusammenhängend zu lesen (das Buch hielt gerade einmal einen guten Tag), andererseits sind die Stränge auch klarer differenziert als im ersten Band (und letztlich auch einer weniger). Das Buch ist sehr einfühlsam geschrieben, einen kleinen Hang zur Empathie sollte man also mitbringen, sonst könnte es leicht langatmig werden. Dann aber ist es ein wundervolles Buch und wieder ein gewaltiges Plädoyer für den Klima- und Umweltschutz.
Klimaquartett
Rezension: Bios (von Daniel Suarez)

Wir schreiben das Jahr 2045, die Genetik ist allgegenwärtig geworden. Kunststoff und Metalle werden in rasantem Maße von gezüchteten Werkstoffen verdrängt, Karossen aus beispielsweise Chitin erstellt. Die Weltgemeinschaft hat sich enge rechtliche Grenzen zur genetischen Korrektur des Erbguts in vitro gegeben. Trotzdem hat sich um die Humangenetik eine erhebliche kriminelle Ökonomie gebildet.
Kenneth Durant ist Agent bei Interpol, zuständig für die Bekämpfung ebendieser Genkriminalität. Er identifiziert die Labore, die Eingriffe über das erlaubte Maß hinaus an die zahlungskräftige Kundschaft verkaufen. Der größte Fisch in diesem Teich: Marcus Demang Wyckes. Als Durant am Geburtstag seiner Tochter verschwindet und Wochen später wieder in einer Klinik erwacht, ist nichts mehr wie zuvor, denn plötzlich ist er Marcus Wyckes. Es beginnen eine verzweifelte Flucht vor den Behörden und Wyckes Organisation und sein Kampf um seine Identität.
Daniel Suarez wirft erneut einen rasanten Tech-Thriller in die Manege. Sein Thema diesmal: Die Humangenetik mit CRISPR als Bezugspunkt und Anker zur Realität. Ein Thema, das schon Aktualität hat und in naher Zukunft wohl erheblich mehr Relevanz bekommen wird. Suarez führt dabei den üblichen gesellschaftlichen Konflikt vor: Einerseits bringt die Technologie bei moralischer Verwendung viel Gutes, andererseits wird es immer Gruppierungen geben, die auch die unmoralische Verwendung verkaufen werden. Daneben zeichnet er – sicher nicht ganz unrealistisch – die Umwälzungen innerhalb der Weltordnung, wie sie auf Grund unterschiedlicher Verhältnisse zur Innovation »Gentechnologie« tatsächlich geschehen könnten.
Wie bei Suarez gewohnt, sind die unterschiedlichen Charaktere klar gezeichnet. In einer Welt, in der die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität zu verschwimmen scheinen, findet sich an fast jeder Figur etwas sympathisches. Ebenfalls wie bei Suarez gewohnt, gibt es eine schiere Masse wissenschaftlicher Details inkl. Verweisen auf die Grundlagen. Das macht das Buch nicht immer leicht verdaubar – es kann sich stellenweise langatmig anfühlen – macht für mich aber auch einen Teil des Reizes bei Suarez aus. Die Story ist insgesamt etwas weniger geradlinig, als sie es noch bei Control war, im Großen und Ganzen später aber doch vorhersehbar. Das tut der Unterhaltung aber keineswegs schlecht. Suarez versteht es, die Spannung über nahezu die gesamte Story aufrecht zu erhalten.
Zusammenfassend kann ich nur an meine Empfehlungen für Suarez‘ frühere Werke anschließen, Bios reiht sich da nahtlos ein. Wer einen Blick auf eine Welt, wie sie schon bald aussehen könnte, werfen will, der wird wirklich gut unterhalten. Wer auf flotte Tech-Thriller steht sowieso.
Rezension: Control (von Daniel Suarez)

Jon Grady ist ein außergewöhnlicher Physiker, einer der Sorte, von der es nur einen in einer Generation gibt. Sein kleines Team hat gerade die Gravitationsspiegelung erfolgreich getestet, da wird das Labor von technologiefeindlichen Religionsfanatikern gestürmt und in die Luft gesprengt. Als Jon wieder zu sich kommt, versteht er die Welt nicht mehr. Er müsste tot sein, stattdessen befindet er sich in den Räumlichkeiten einer streng geheim agierenden Regierungsbehörde, deren Direktor ihm erklärt, dass sein bisheriges Leben zum Wohle der Menschheit beendet ist und er vor einer großen Entscheidung steht. Kooperation, auf die eine oder andere Weise. Grady kann sich diesem Unrecht an Wissenschaft und Menschheit nicht beugen. Doch schon bald erfährt er die gesamte Grausamkeit der Behörde und trifft eine Entscheidung: Er und seine neuen, nobelpreisverdächtigen Schicksalsgenossen müssen dieses System zum Wohle aller überwinden.
Mit Control schafft Suarez eine rasante Story innerhalb einer relativ realistischen Gegenwartsvision. Abgesehen vom BTC und den unterdrückten Meilensteinen der Wissenschaft bewegt er sich in einem realitätsnahen Rahmen. Seine Charaktere – gut wie böse – sind fein gezeichnet. Auch die diesmal überwiegend physikalischen Hintergründe werden in gewohnter Ausführlichkeit ausgebreitet. Das trägt manchmal zwar nicht unbedingt zum tieferen Verständnis (des Laiens) bei, beeindruckt aber trotzdem. Einzig die teilweise etwas radikalen Zeitsprünge zwischen den Kapiteln haben es mir zwischendurch schwer gemacht, das Gefühl für den zeitlichen Rahmen der Story zu behalten. Besonders die tatsächliche Länge des Hibernity-Aufenthalts musste ich mir immer wieder in Erinnerung rufen. Gegen diese recht ausholend geschriebene Phase des Buches überschlägt sich die Story gegen Ende förmlich, allerdings ohne dabei gezwungen zu wirken. Alles spitzt sich letztendlich auf die abschließende Konfrontation zu.
Ich mag Daniel Suarez. DAEMON habe ich einst auf dem Wühltisch einer Hamburger Bahnhofsbuchhandlung gefunden, DARKNET konnte ich dann kaum erwarten. Die Zwangspause war hart. Auch Kill Desicion konnte ich kaum weglegen. So ging es mir jetzt mit Control erneut. Alles – Plot, Charaktere, Hintergründe – ist fesselnd konzipiert und für mein Verständnis konsistent geschrieben. Das Thema an sich ist, wie bei Suarez üblich, so gewählt, dass es durchaus Realität sein (oder zeitnah werden) könnte. Er gibt sich große Mühe, die Bestandteile seiner technischen Visionen nach wissenschaftlichem Stand zu entwickeln, das gefällt mir grundsätzlich. Die Spannung hält er durchgehend, auch wenn der Plot gegen Ende etwas vorhersehbar wird. Etwaige Langeweile kontert er da aber für mich erfolgreich mit der Zuspitzung auf sein Finale furioso. Insgesamt kann ich das Buch nur empfehlen. Gute Unterhaltung ist es in jedem Fall.
Rezension: Totentanz am Strand – Sommerfeldt kehrt zurück (von Klaus-Peter Wolf)

Dr. Bernhardt Sommerfeldt, einst Allgemeinmediziner im ostfriesischen Norden, ist ins Ruhrgebiet geflohen, nachdem seine nebenberufliche Serienmörderei das ostfriesische Pflaster zu heiß hat werden lassen. In einem Hochhaus in Gelsenkirchen hat er seine neue Operationszentrale aufgeschlagen, von hier aus plant er, sich endlich vom männlichen Teil seiner Familie zu befreien. Den Mann seiner herrschsüchtigen Mutter und den neuen Mann seiner Ex-Frau macht er – teilweise stellvertretend für ihre Frauen – für das Scheitern seines bürgerlichen Lebens verantwortlich, sie müssen weg. Gleichzeitig lässt ihn Ostfriesland nicht los, denn auch seine große Liebe Beate ist mit Problemen konfrontiert, die zu lösen er sich verantwortlich fühlt. Doch alles, was Sommerfeldt auch tut, vergrößert seine Probleme nur. Seine Familie verhält sich nicht, wie er es erwartet, eine neue Liebe tritt in sein Leben, plötzlich sieht die Öffentlichkeit ihn auch noch als tragische, aber unschuldige Figur. Die Lage spitzt sich immer weiter zu und endet schließlich im Undenkbaren.
Im zweiten Teil der Sommerfeldt-Reihe gibt Klaus-Peter Wolf wieder tiefe Einblicke in die Psyche seines Serienmörders. Fand ich das erste Buch noch teilweise zu schnell fortschreitend, hat Wolf dies im zweiten eher umgekehrt. Gerade zu Beginn sind Sommerfeldts Gedankengänge für meinen Geschmack doch sehr langatmig ausgeführt. Das ändert sich jedoch im Laufe des Buchs. Wolf gibt sich große Mühe, seinen komplexen Charakter verständlich zu zeichnen – meist gelingt ihm das sehr gut. Leider entstehen dadurch, gerade in der zweiten Hälfte des Buches, etwas härtere Brüche im Ablauf. So kommt es, dass Sommerfeldt in diesem Band auch »nur« anderthalb Morde begeht – gemessen am ersten Teil eine schwache Leistung. Insgesamt ist das Buch breiter gefächert. Gingen die Morde im ersten Buch noch aus Sommerfeldts Liebe zu Beate hervor, streitet sich nun ein Potpourri aus persönlicher Vergangenheit, Liebe, Dritten und seiner Wirkung auf die Gesellschaft um die zentrale Rolle der Geschichte. Einiges kommt mir persönlich dabei zu kurz, besonders gegen Ende rennt mir Wolf etwas zu sehr. Nichtsdestotrotz liest sich das Buch sehr angenehm. Wolfs Stil liegt mir einfach sehr gut. So habe ich das Buch auch, genau wie den Vorgänger, wieder in einem Tag »weggeatmet«.
Alles in allem muss ich das Buch empfehlen. Wer Wolfs Ostfrieslandkrimis mag, sich auf die Erzählung aus der Ego-Perspektive einlassen und weitgehend ohne Ann-Kathrin Klaasen und die Polizeiinspektion Norden auskommen kann, dem wird wohl auch das Sommerfeldt-Spin-off gefallen. Der Leser ist mittendrin in den Gedanken eines Serienmörders, mit all den Problemen und Problemchen, die dieses eher ungewöhnliche Leben so mit sich bringt. Wolfs Schreibstil gibt dem Gesamtbild weitestgehend den letzten Schliff.
Sommerfeldt
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
Archiv
- Dezember 2020 (5)
- November 2020 (1)
- Oktober 2020 (5)
- September 2020 (3)
- August 2020 (7)
- Juli 2020 (3)
- Mai 2020 (1)
- April 2020 (3)
- März 2020 (8)
- Februar 2020 (15)
- Januar 2020 (9)
- Dezember 2019 (2)
- November 2019 (19)
- Oktober 2019 (21)
- September 2019 (23)
- August 2019 (6)
- Juli 2019 (6)
- Juni 2019 (5)
- Mai 2019 (15)
- April 2019 (15)
- März 2019 (9)
- Februar 2019 (5)
- Januar 2019 (2)
- Februar 2018 (1)