Der Gewählte (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2011
Seiten: 460

Gerade zwei Monate im Amt, sieht sich der charismatische US-Präsident Stephen Baker mit einem umfassenden Angriff auf seine Präsidentschaft konfrontiert. Ein Unbekannter veröffentlicht eine Story nach der anderen und beschwört damit ein Impeachment herauf. Als der Erpresser plötzlich tot in seiner Wohnung aufgefunden wird, eskaliert die Lage.
Maggie Costello, die bereits in Bakers Wahlkampf mitgewirkt hat und gerade ihre Stelle im Weißen Haus durch den Stabschef des Präsidenten verloren hat, gehört zu Bakers engstem Kreis und soll die Hintergründe der Erpressung ermitteln. Schnell vermutet sie Ungereimtheiten, doch je näher sie den Drahtziehern kommt, desto größer wird die Gefahr für ihr Umfeld.
Der Gewählte in der aktuellen Fassung stammt aus dem Jahr 2013, erstveröffentlicht wurde der Thriller 2011 bei Scherz, einem Imprint von S. Fischer. Im Zentrum des Thrillers steht erneut Maggie Costello, allerdings verlagert Bourne die Reihe nun thematisch stärker auf die US-Innenpolitik. Er reagiert damit auf die rasante Rechtspopulisierung der USA als Nebeneffekt bereits der Regierung Obama, die schließlich im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gipfelte und seitdem weiter eskaliert. Dafür geht er mehr ins (hoffentlich!) Fiktionale und verzichtet auf eine breite historische Basis, wie sie seine ersten Bücher kennzeichnete.
Ich muss gestehen, ich habe mal wieder geschludert, als es um die Reihenfolge der bislang vier auf Deutsch erschienenen Bände um Maggie Costello ging. Dazu kommt, dass ich Der Präsident, den dritten Band, schon als er 2017 erschien las und damals noch nicht rezensiert hatte. Also erscheinen die hier in völlig falscher Folge – wenigstens kann ich sagen, man muss die Serie nicht in der richtigen Reihenfolge lesen, die einzelnen Bücher sind in sich weitgehend abgeschlossen.
Wenn es um die Handlung geht, ist Der Gewählte gewohnt komplex und spannend. Bourne knüpft um den charismatischen Präsidenten Baker – wohl eine Reminiszenz an Barack Obama -, der ursprünglich als Außenseiter ins Rennen ging, ein verzweigtes Netz aus Intrigen und der großen Verschwörung, womit er den sog. Deep State aufgreift. Die Handlung beginnt dabei in einer recht kleinen Dimension, die sich im Fortgang aber immer weiter vergrößert. Unerwartete Wendungen sind dabei vorprogrammiert und halten die Geschichte bis zum Ende spannend.
Mit Blick auf seine Figuren ist Bourne nun großzügiger. Neben Maggie, die unangefochten die Protagonistin ist, bekommen auch einige Nebenfiguren reichlich Raum für eine tiefere Charakterentwicklung. Das gilt insbesondere für Stephen Baker und seinen Chefberater Stuart Goldstein. Das tut dem Buch grundsätzlich gut.
Ein wenig schade fand ich den Plot von Der Gewählte an sich, weil Bourne sich mit seiner Handlung weitgehend in das Feld der typischen US-amerikanischen Verschwörungsthriller einreiht. Die sind zwar spannend – man denke nur an Robert Ludlum, der fast ein ganzes Lebenswerk auf dem Plot aufbauen konnte -, allerdings folgen sie auch einem recht stringenten Grundprinzip, das im Storydesign mittlerweile doch sehr einschränkt: Dem Deep State, wahlweise nur aus Geheimdiensten bestehend oder mit Beteiligung einer Geheimgruppe aus der Spitzenwirtschaft. Das Feld ist leider sehr abgegrast, da ist es schwer, noch mit etwas Neuem aufzuwarten. Allerdings muss ich natürlich auch anerkennen, dass insbesondere der politische Einfluss der Spitzenwirtschaft in den USA in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, erst Recht mit Blick auf den derzeitigen Präsidentendarsteller (hoppla, was war das denn?). Wie dem auch sei, Der Gewählte lebt für mich insbesondere in der Figur Maggies.
Nun möchte ich euch das Buch aber sicher nicht zerreden, denn unterhalten hat es mich schon. Als Vertreter des US-Verschwörungsthrillers ist es nicht schlecht und es ist ja auch nicht Bournes Fehler, dass ich aus dem Segment schon viel zu viele Bücher gelesen habe. Und als Fortsetzung der Reihe mit Maggie Costello gefällt es definitiv. Für Genrefreund:innen also sicher ein Tipp und, mit Blick auf die folgenden Bände der Reihe, die noch offensichtlicher an die aktuelle US-Regierung angelehnt sind, auf keinen Fall ein Grund, die Serie zu verwerfen.
Maggie Costello
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Die Gerechten (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2007
Seiten: 448

Innerhalb kürzester Zeit werden rund um den Erdball scheinbar wahllos Menschen ermordet. Allen gemein, man hätte es von ihnen nicht erwartet, aber sie haben Gutes getan. Will Monroe, Jungjournalist bei der New York Times, entdeckt eher zufällig Gemeinsamkeiten in zwei Fällen in den USA. Seine große Story witternd, stürzt er sich in die Recherche, bis plötzlich seine Frau Beth entführt wird. Die Spur führt nach Crown Heights, ein von Chassiden bewohntes Viertel von New York. Je tiefer Will gräbt, desto größer wird auch die Gefahr für ihn selbst.
Ich mag Sam Bourne unter anderem, weil er zu den Autor:innen gehört, die zwar Unterhaltungsliteratur schreiben, dabei aber oft einen Bildungseffekt mitliefern. In diesem Fall betrifft das wie in Tag der Abrechnung einmal mehr Einblicke in spezielle Aspekte des Judentums. In Die Gerechten widmet er sich dem Chassidismus und lässt uns dabei tief in dessen religiösen Mystizismus eintauchen. Dabei bewegt er sich auf einem breiten Fundament von Abbildungen der Realität, so dass sich auch hier wieder empfiehlt, Lesepausen zur Recherche einzuplanen.
Gerade in diesem Punkt kann ich diesmal aber nicht kritikfrei bleiben, denn Bournes Darstellung der chassidischen Dynastie ist für meinen Geschmack ein wenig zu positiv. Eine Gemeinsamkeit der chassidischen Strömungen ist ein extrem konservatives und repressives Frauenbild. Bourne kritisiert das am Rande und für mich im Gesamtbild deutlich zu leise über die sehr strengen Bekleidungsregeln für Frauen, die in Crown Heights öffentlich aushängen, die aber bei Weitem nicht das Ende der repressiven Fahnenstange sind. Einen Ausgleich kann da Unorthodox von Deborah Feldman bieten, das sich zwar mit einer anderen Dynastie (den Satmarern) beschäftigt, hinsichtlich des Frauenbildes aber recht ähnlich ist. Praktischerweise wurde ihr Buch auch in einer vierteiligen Miniserie gleichen Titels verfilmt.
Aber nun zum Buch. Obwohl einer seiner frühen Thriller, lebt Die Gerechten bereits von Bournes Faible für komplexe Handlungen. Seinen Protagonisten Will Monroe – und damit auch seine Leser:innen – führt er immer wieder an der Nase herum; die Handlung nimmt mehrfach unerwartete Wendungen und große Teile des Gesamtbilds entfalten sich erst gegen Ende des Buchs. Das führte bei mir zwischenzeitlich – wie bei Tag der Abrechnung – zu der Befürchtung, das Buch könnte unschön plakativ enden, was sich allerdings nicht bewahrheitete.
Leider – das fällt mir bei Bourne öfter auf – kratzt er bei einem Großteil seiner Figuren nur an der Oberfläche. Tiefe bekommen neben Will und TC kaum weitere Figuren. Das ist schade, insbesondere weil das Buch mit mehr als 400 Seiten doch Raum genug bieten würde. Ein Grund mag darin liegen, dass neben Will und TC kaum Figuren einen nennenswerten Raum einnehmen, was angesichts des Umfangs des Buches und des geringen Zeitraums, in dem die Handlung spielt, an sich schon bemerkenswert ist. Erwähnenswert scheint mir aber auch, dass die restlichen Figuren zwar recht oberflächlich bleiben, Bourne sie in ihren jeweiligen Szenen aber nicht lieblos in die Handlung wirft. Für den Raum, den er ihnen gestattet, geht er angemessen mit ihnen um, so dass sich meine Kritik an ihrer fehlenden Tiefe eigentlich mehr an das Gesamtdesign richtet.
Abseits aller Kritik bleibt, insbesondere wenn man Die Gerechten vor allem als Unterhaltungslektüre liest, ein komplexer, spannender Thriller, der immer wieder mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Ein kurzweiliges Stück Spannungsliteratur, das dazu noch einen Einblick in jüdisch-orthodoxe Strömungen bietet.
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Tag der Abrechnung (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2011
Seiten: 480

Vor dem UN-Hauptquartier in New York wird nach einer hastigen Terrorwarnung ein alter Mann erschossen. Ein Desaster für die Vereinten Nationen. Der ehemalige UN-Spitzenanwalt Tom Byrne wird beauftragt, die Wogen zu glätten, doch was er ermittelt, macht die Sache nur schlimmer. Der Tote ist ein Überlebender des Holocausts, doch seine Lebensgeschichte ist keine Übliche. Er gehörte offenbar zu einer Gruppe von jüdischen Nazijägern. Die Frage, was er bei den UN wollte und wer dort ein Interesse an seiner Beseitigung hatte, drängt sich immer stärker auf. Und gleichzeitig geraten auch Tom und Rebecca, die Tochter des Toten, ins Fadenkreuz.
Mit Tag der Abrechnung widmet sich Sam Bourne einem historischen Themenfeld, das, jedenfalls im deutschen Allgemeinwissen, teilweise untergegangen oder nie angekommen ist: Das der jüdischen Nazijäger nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Allgemeinwissen endet da meist schon lückenhaft bei Beate und Serge Klarsfeld. Bourne widmet sich der weit radikaleren Gruppe DIN. Wie sehr deren Wirken in Vergessenheit geraten ist, zeigt alleine schon die Namensgebung: Die Gruppe wird wahlweise mit DIN und DYN abgekürzt, was in unterschiedlichen Zusammensetzungen und Schreibweisen (Yisrael und Israel) für Dam Yisrael Noter oder Dam Yehudi Nakam steht – etwa ›Das Blut Israels rächt sich‹. Das Wissen um die Gruppe bezieht sich hauptsächlich aus Berichten ihrer Mitglieder, wobei teilweise erhebliche Abweichungen unter den Berichten bestehen.
Als historisch belegt, obwohl damals lediglich sparsam veröffentlicht, gilt jedoch der sogenannte Plan B der DIN, bei dem ein Teil der Brotlieferung für das Internierungslager Stalag XIII D in Nürnberg, wo 12 bis 15000 Kriegsgefangene mit SS-Vergangenheit einsaßen, mit Arsen vergiftet wurde. Das ursprüngliche Ziel bestand darin, sämtliche Lagerinsassen zu töten. Gesichert ist, dass knapp 2300 Insassen in der Folge erkrankten, ob es jedoch Tote gab, ist nicht veröffentlicht. Doch kein Plan B ohne einen Plan A, der zwar schon in der Vorbereitung scheiterte, es aber sehr viel mehr in sich hatte, so dass er wohl auch innerhalb der Gruppe heftig diskutiert wurde. Denn er sollte sich gegen die Trinkwasserversorgung mehrerer deutscher Großstädte und damit nicht gezielt gegen einzelne Nazitäter, sondern gegen die gesamte Bevölkerung richten. Auf eine unklare Weise involviert war wohl auch der spätere israelische Präsident Chaim Weizmann.
Tag der Abrechnung stützt sich in erheblichem Umfang auf die bekannte historische Realität und geht dabei weit über DIN hinaus. Mit einer Art Tagebuch des Toten führt Bourne Tom und Rebecca und selbstverständlich auch uns Leser:innen eindrucksvoll in die Zeit des Nationalsozialismus zurück, wo Rebeccas Vater Gershon Matzkin im litauischen Kowno aufwuchs und mit seinen Schwestern im Ghetto interniert wurde. Auch hier hält sich Bourne recht streng an die historische Realität – inklusive der Massenerschießungen bei der Neunten Festung.
Soweit zum historischen Fundament. Bourne baut darauf einen spannenden Politthriller, der einlädt, sich näher mit diesem Teil der Geschichte zu befassen. Was ich ausdrücklich empfehlen will, denn Tag der Abrechnung wirkt sehr viel stärker, wenn man sich zwischendurch bewusst macht, wie nah die Story in vielen Punkten an der Realität ist. Selbstverständlich ist das Buch dann aber auch umso schmerzhafter. Allerdings bin ich der Meinung, erstens müssen wir da durch und zweitens sollte auch dieser Teil unserer Geschichte nicht noch weiter in Vergessenheit geraten.
Bourne schreibt gewohnt mitreißend. Ich war schnell in der Geschichte und es fiel mir ziemlich leicht, mich in die Hauptfiguren zu versetzen. Obwohl insbesondere Tom, der zu Beginn des Buches das Vertrauen an das Rechtssystem verloren hat und seine Dienste an die Mafia verkauft, das zunächst nicht allzu leicht macht. Die Story selber ist, wie man es von Bourne kennt, geschickt konstruiert und stellenweise recht komplex. Mehrmals scheint die Geschichte der Auflösung nahe, nimmt dann aber abrupt eine harte Wendung. Die Wendungen gehen so weit, dass ich an einem Punkt Angst hatte, Bourne würde das Thema mit einem für mich höchst zweifelhaften Ende versauen. Spoiler: Macht er nicht.
Es mag schon offensichtlich sein, ich sehe das Buch nicht als reine Unterhaltungsliteratur. Bourne greift geschickt zahlreiche lauter oder leiser geführten Debatten auf. Das geht vom Umgang des Judentums mit den NS-Tätern bis hin zu großen Metadebatten über das Recht an sich oder die UN als zahnloser Papiertiger. Das Buch regt also auf vielen Ebenen zum Nachdenken an und ist, wenn man sich seines Hintergrundes bewusst ist, sicher keins, das man nach der Lektüre einfach so zu den Akten legen kann.
Abschließend sind wieder Content Warnungen fällig. Tag der Abrechnung enthält teils ziemlich drastische Schilderungen von Folter, Vergewaltigung, Suizid, Entführung, Tötungen und Massenmorden in der NS-Zeit. Dazu kommen ausführliche Schilderungen jüdischen Lebens in der späteren NS-Zeit einschließlich dem Leben in Ghettos und der Vernichtung. Wenig überraschend, ich erhebe mit der Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nichtsdestotrotz möchte ich Tag der Abrechnung sehr empfehlen. Der Thriller ist alleine schon wegen seiner historischen Thematik äußerst lesenswert und er wirft ein Licht auf einen Teil der Geschichte, der weitgehend unter der Oberfläche schwimmt. Spannend und gut geschrieben ist er sowieso.
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Rupert undercover – Ostfriesische Mission (von Klaus-Peter Wolf)
Autor: Klaus-Peter Wolf
Erschienen: 2020
Seiten: 384

Als großer Freund der Wolf’schen Ostfrieslandkrimis habe ich etwas skeptisch auf sein neues Spin-off mit Hauptkommissar Rupert in der Hauptrolle gewartet. Ich hatte da so meine Befürchtungen und leider hat Wolf es nicht geschafft, denen entgegen zu wirken. Aber fangen wir langsam an.
Hauptkommissar Rupert wollte schon lange zum BKA, wurde aber immer abgelehnt. Als diesem ein internationaler Drogenboss in die Finger gerät, kann das BKA nicht mehr an Rupert vorbei. Denn ausgerechnet der machohafte Ostfriese sieht dem Festgenommenen zum Verwechseln ähnlich. Rupert wird als sein Double in die Organisation geschleust, um sie von innen auszuleuchten. Kann ihm, auf sich alleine gestellt, der große Coup, auf den er schon so lange wartet, gelingen?
Ostfriesische Mission reiht sich vom Erzählstil her nahtlos in die restlichen Ostfrieslandkrimis im Universum des Polizeikommissariats Norden ein. Der Krimi ist spannend wie unterhaltsam. Bei der Tiefe der Figuren kommt Wolf nicht an sein übliches Maß heran. Rupert und die BKA’ler:innen sind beinahe die einzigen, deren Charakter tiefer beleuchtet werden. Bei der Norder Polizei ist natürlich nicht viel zu holen, die kennt man alle schon ziemlich gut. Aber insbesondere die Kriminellen bleiben diesmal ungewohnt blass, von einigen wenigen Ausnahmen, wie dem Geier abgesehen. Es dreht sich keineswegs alles um Rupert, obwohl er im Mittelpunkt steht, auch die übrigen Hauptfiguren der Klaasen-Reihe bekommen in der Handlung reichlich Raum. Mehr als beispielsweise im Sommerfeldt-Spin-off.
Abzusehen war das Spin-off um Rupert spätestens seit er seine eigenen Kurzkrimis bekommen hat. Damals befürchtete ich bei dem Schritt schon ein Problem für mich: Denn so beliebt Rupert auch unter den Fans ist, als Protagonist ist er ein problematischer Charakter. Er ist nicht selten das, was man lapidar politisch unkorrekt nennt. Sein Repertoire reicht von ziemlich ausgeprägtem Sexismus und Machismus bis zu Alltagsrassismus. Als Nebenfigur hat das funktioniert, weil er lange eine Rolle als eher unsympathischer, belächelter Antagonist zu den übrigen Figuren im Kommissariat eingenommen hat. Er wurde also mindestens implizit nicht als Vorbild dargestellt.
In Ostfriesische Mission und den Kurzkrimis ist er aber nun zum Protagonisten aufgestiegen und leider blendet Wolf seine Verhaltensweisen dabei nicht aus, wo es möglich ist. Neben dem allgegenwärtigen Sexismus, der in Ruperts Charakter so ausgeprägt ist, dass Wolf ihn unmöglich vermeiden kann, taucht auch recht früh im Buch schon das durchaus vermeidbare Z-Wort auf. Im Jahr 2020 ist das mindestens schade, vor allem, weil es für die Geschichte überhaupt nicht nötig wäre. Hätte Rupert seine eigentliche Rolle, würde das direkt auf die eine oder andere Weise gerügt. Als Protagonist hat er die aber nun nicht und so können seine Entgleisungen akzeptabel scheinen. Wie gesagt, die Entwicklung war abzusehen, Ruperts Standing innerhalb der Krimis hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Er wurde schleichend immer akzeptabler.
Abseits dieser Problematik gibt es weniger, aber trotzdem reichlich ostfriesisches Lokalkolorit. Wolf hat die Messlatte in der Vergangenheit da recht hoch gehängt, so dass etwas weniger kaum ins Gewicht fällt. Er fängt die Stimmung ›am Deich‹ gewohnt gekonnt ein, man ist sofort dort. Auch NRW spielt wieder eine Rolle und auch dort gelingt es ihm, wie schon in der Vergangenheit, Atmosphäre zu schaffen.
Zum Schluss noch ein Wort zum Schluss. Denn der kommt abrupt. Nun bin ich von Wolf in der Hinsicht einiges gewohnt. Er lässt gerne einiges offen, er bricht gerne plötzlich ab. Normalerweise gefällt mir das ganz gut und in einer Reihe macht es auch durchaus Sinn, den Übergang zum nächsten Band zu gestalten. In Ostfriesische Mission übertreibt er das für meinen Geschmack aber sehr. Das Ende kommt insgesamt sehr kurz und es macht den Eindruck, da musste kurz vor der Deadline noch schnell was hingeklatscht werden. Ich könnte sagen, das würde Rupert gerecht, aber irgendwie war ich doch anderes gewohnt. In Ordnung geht, dass das Ende sehr offen ist. So ist es auch keine Überraschung, dass Ruperts zweiter Band schon angekündigt ist und zweifellos nahtlos an die Geschichte anknüpfen wird. Im Gegensatz zur Klaasen-Reihe ist hier also nicht nur die Rahmenhandlung buchübergreifend.
Das soll es sein. Klingt irgendwie sehr schlecht. Sieht man insbesondere von der Kritik an Rupert als Protagonist ab, bleibt insbesondere für Fans trotzdem ein weitgehend gelungener Ostfrieslandkrimi im bekannten Universum. Für Neueinsteiger ist Vorwissen nützlich aber kein Muss. Unterhaltsamer ist Ostfriesische Mission sicherlich mit Kenntnis insbesondere der Klaasen-Reihe.
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Weit gegangen (von Dave Eggers)
Autor: Dave Eggers
Erschienen: 2008
Seiten: 768

Mit sieben Jahren wird das Dorf Valentino Achak Dengs im sudanesischen Bürgerkrieg vernichtet und eine lange Fluchtgeschichte beginnt. Vom Sudan gelangt er über Äthiopien und Kenia schließlich in die USA. Auf dem Weg dorthin erlebt er schon als Kind mehr Grauen und Tod, als ein Mensch in seinem ganzen Leben erleben sollte. Dies ist seine Geschichte.
Weit gegangen wird als Roman, der allerdings auf dem Tatsachenbericht Achaks aufgebaut wurde, angekündigt. Eggers erzählt die Fluchtgeschichte Achaks aus dessen Perspektive und spart dabei nicht mit Details. So wird das Buch ziemlich dick – und das machte mir den Einstieg auch nicht gerade leicht. Ich habe etwa 100 Seiten gebraucht, bis ich endlich angekommen war. Bis man sich auf das Buch eingelassen hat, kann es recht langatmig wirken. Wenn es dann aber soweit ist, fesselt es umso mehr.
Achaks Geschichte ist in großen Teilen die zahlreicher sudanesischer Kinder. Sie beginnt im damals noch nicht unabhängigen Südsudan der 90er Jahre. Der Bürgerkrieg spitzt sich zu, sowohl die Regierungstruppen als auch die konkurrierenden Rebellengruppen der SPLA terrorisieren systematisch Dörfer. Als es Marial Bai, das Heimatdorf Achaks trifft, flieht er und schließt sich einer Gruppe anderer Jungen an, die den langen Weg nach Äthiopien aufgenommen haben. Immer getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben müssen die Jungen jedoch bald feststellen, dass niemand mit diesem besseren Leben auf sie wartet. Nicht in den Geflüchtetenlagern Äthiopiens und nicht in denen Kenias.
Die Rahmenhandlung für Weit gegangen liefert die Gegenwart der frühen 2000er in den USA, wo Achak in seiner Wohnung überfallen wird. Diese spielt eine untergeordnete Rolle, die überwiegende Handlung findet in der Vergangenheit statt. Eggers nutzt Personen in der Rahmenhandlung als imaginäre Gesprächspartner für Achak, denen er seine Geschichte in seiner Vorstellung erzählt. Sie wechseln mit der Rahmenhandlung. Zunächst richtet er sich an die Einbrecher, dann an einen Pfleger im Krankenhaus. später an Fitnessstudiobesucher. Die Gespräche sind immer imaginär, Achak erzählt den Personen nur in seinem Kopf seine Geschichte.
Weit gegangen reiht sich ein in die Bücher Eggers‘, mit denen er den Umgang insbesondere des Westens mit Krisenregionen kritisiert. Seine Kritik ist dabei umfassend, sie richtet sich an Staaten wie an NGOs. Und leider ist sie heute so aktuell wie 2008, als das Buch hierzulande erschien. Achak schildert eindrucksvoll ein Leben als Geflüchtete:r, die ständige Gefahr, die Entbehrungen, Hunger, Krankheit und was all das mit den Menschen macht. Gerade mit Blick auf die Grenz- und Asylpolitik der EU ist das Buch wieder hochpolitisch. Es gibt Gründe für das, was in Lagern wie Moria passiert – und die liegen nicht bei den Geflüchteten. Weit gegangen kann dort einen Einblick geben, der vielen Menschen im Westen in seiner Totalität wohl nicht klar ist. Wie tiefgreifend anders das Leben auf der Flucht ist, welche Selbstverständlichkeiten des Lebens dabei wegfallen, wie elementar die Verzweiflung auch in den Lagern ist. Und schließlich auch wie schwer das Ankommen in einem neuen Leben sein kann.
Im Zuge der Veröffentlichung von Weit gegangen wurde 2006 die Valentino Achak Deng Foundation gegründet, der von Beginn an sämtliche Erlöse aus dem Buch zukommen. Die Stiftung setzt sich insbesondere für den Zugang zu Bildung für Kinder im Südsudan ein, aber auch für wirtschaftliche Unabhängigkeit in verarmten Communities.
Ins Deutsche übersetzt wurde Weit gegangen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, zu meckern hatte ich da nichts. Eine Contentwarnung darf wieder nicht fehlen: Das Buch ist in vielerlei Hinsicht explizit. Seien es Folterungen, Bürgerkriegshandlungen, Gewalt im Allgemeinen oder aber auch Rassismuserfahrungen und extreme Armut. Es kann belasten und das sollte es wohl auch.
Trotzdem bleibt für Weit gegangen am Ende nur eine Empfehlung. Das Buch ist heute so wichtig wie zu seinem Erscheinen. Es bietet einen tiefen Einblick in das Leben Geflüchteter und in die damit verbundenen Geschehnisse im Süd-/Sudan, in Äthiopien und Kenia – eine Thematik, deren Hintergründe hier gerne ausgeblendet werden, um Geflüchtete nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachten zu können.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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