Der Store (von Rob Hart)
Autor: Rob Hart
Erschienen: 2019
Seiten: 592

In einer nahen Zukunft lernen sich Paxton und Zinnia bei Cloud, dem Onlinestore schlechthin kennen. Paxton gehört zur Security, Zinnia ist Sammlerin. Cloud regelt das komplette Leben seiner Mitarbeiter. Während nach außen alles auf den Markt ausgerichtet ist, herrscht im Inneren ein ausgeklügeltes Ökosystem aus Kontrolle und Belohnung. Die beiden kommen sich näher, doch Cloud wird zunehmend zum Problem.
Der Store ist Rob Harts erster großer Unterhaltungsroman. Das Buch umfasst 592 Seiten, die sich in 11 Kapitel gliedern, innerhalb denen zwischen den Handlungssträngen gesprungen wird. Erschienen ist es 2019 bei Heyne, einem Imprint von Random House.
Bei Cloud dominiert das Bewertungssystem alles. Mit dem Bewerbungsprozess beginnt die Einstufung und Bewertung der Mitarbeiter. Cloud selber ist dabei ein relativ geschlossenes Ökosystem inmitten einer Welt, die durch den Klimawandel stark entvölkert und lebensfeindlich ist, eine Art Oase. Die sog. MotherClouds, quasi abgeriegelte Produktionsstädte, in denen die Mitarbeiter leben und vor allem arbeiten, haben fast exterritorialen Status. Die Staatsgewalt hat ihren Einfluss hier weitgehend abgegeben, im Gegenzug hat Cloud Arbeitsplätze und Sicherheit für den großen Teil der Bevölkerung, der für ihn arbeitet, geschaffen. Es ist ein Zwischenszenario zwischen heute und den dystopischen Visionen weltbeherrschender Megakonzerne.
Rob Hart gelingt dabei eine wirklich spannende Art Kapitalismuskritik, denn er geht sie von zwei Seiten an. Auf der einen Seite ist die offensichtliche, die durch die Handlungsstränge von Paxton und Zinnia repräsentiert wird. Sie kommt auf dem üblichen Wege, aus der Warte der Betroffenen, und begründet sich auf den Zuständen, unter denen ebendiese in einer neokapitalistisch entfesselten Welt leiden müssen. Auf der anderen Seite steht Gibson Wells, der Gründer von Cloud, der seinem bevorstehenden Krebstod entgegenblickend, Resümee in einem persönlichen Blog zieht. Der Strang ist der eigentlich interessante, denn er ist in meinem Augen als Kapitalismuskritik unheimlich geschickt gesponnen.
Wells beginnt als menschenfreundlicher Gönner, als Lichtgestalt, die immer nur die besten Absichten hatte und von den Zuständen, die mittlerweile in den MotherClouds herrschen, eigentlich überhaupt nichts wissen kann. Er ist der gewissenhafte, bodenständige Selfmademilliardär von nebenan. Doch dieses Bild wandelt sich schleichend. Immer mehr zeigt sich, dass Wells über all die Missstände Bescheid weiß, dass sie sogar seinem Ideal entsprechen. Alles unter seinem Mantra, der Markt regelt alles und er regelt vor allem alles am Besten. Das führt zu den perfiden Argumentationen, die wir von wirtschafts- bzw. neoliberalen Politikern auch heute schon kennen. Berufliche Ausbeutung beispielsweise ist eine Wohltat an der Gemeinschaft, denn immerhin schaffe man Arbeitsplätze für ebendiese Menschen, was ihren Leben überhaupt erst einen Sinn gäbe. Genauso Preisdumping und das damit einhergehende Sterben kleinerer Betriebe, die die Preise nicht mehr mitgehen können. So würde der Kunde schließlich mehr von seinem Geld haben. Besonders perfide, die Ablehnung von Automatisierung, um selbst stupideste Arbeiten von Menschen erledigen zu lassen, damit eben genug Arbeitsplätze vorhanden sind. Statt sich über Ausgleichsmöglichkeiten für den technischen Fortschritt Gedanken zu machen und das Leben der Menschen zu verbessern (Stichwort: Bedingungsloses Grundeinkommen). All das argumentiert Hart durch seine Figur Gibson Wells von der marktradikalen Seite her durch und wenn man es so liest, ist es natürlich stimmig – allerdings nur unter völliger Ausblendung der Menschenwürde. Das macht Der Store zu einem wirklich guten kapitalismuskritischen Roman.
Das Unternehmen Cloud ist bestimmt nicht ganz zufällig an real existierende Vorbilder angelehnt. Hart präsentiert es als eine Mischung aus Amazon und Google im Endstadium. Gerade die Fixierung auf das Leben der Sammler erinnert doch stark an die Zustände in Amazons Versandzentren, die schon seit Jahren hart kritisiert werden. So auch die Grundregel, innerhalb der MotherClouds niemals das Wort ›Gewerkschaft‹ in den Mund zu nehmen. Das campusähnliche Habitat und die Fixierung auf Forschung in Zukunftstechnologien hingegen erinnert an Google.
Der Roman selber ist spannend und fesselnd geschrieben, obwohl die Handlung an sich gar nicht so spannend ist. Da möchte ich eine kleine Kritik am Klappentext anbringen, denn die »schreckliche Entdeckung«, die »alles ändert« konnte ich nicht finden. Die drei Handlungsstränge schleichen so dahin, die von Paxton und Zinnia bewegen sich schnell aufeinander zu. Auch eine echte Spannungsspitze gibt es nicht, sieht man vom Finale ab, auf das ab einem gewissen Punkt alles hinläuft. Gefesselt hat mich Der Store vor allem durch die sympathischen Figuren – also Paxton und Zinnia – und die Art der Kapitalismuskritik, denn die ist, wie schon gesagt, wirklich gut. In einem oder zwei Punkten ist mir das Ende leider etwas zu offen, aber das kann ich verschmerzen.
Zusammengefasst ist Der Store ein wirklich toller Roman, der weniger von der Spannung als von seiner Botschaft lebt. Mit der gibt sich Rob Hart große Mühe und das hat sich ausgezahlt. Hoffen wir, dass wir die Kurve bekommen und der Roman nicht visionär wird.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Maschinen wie ich (von Ian McEwan)
Autor: Ian McEwan
Erschienen: 2019
Seiten: 404

Charlie, 32, lässt sich mehr schlecht als recht vom Leben und seinen Künsten im Börsenhandel treiben. Miranda, 10 Jahre jünger, Studentin, Nachbarin und die aktuelle Liebe seines Lebens, kämpft mit ihrer Vergangenheit. Als 1982 die ersten humanoiden Roboter mit realistischer KI auf den Markt kommen, investiert der computerbegeisterte Charlie eine Erbschaft in einen dieser »Adams«. Das Experiment zeigt bald Schwächen, die beider Leben dramatisch verändern sollen. Oder sind es doch die Schwächen der Menschen?
Maschinen wie ich vom britischen Bestsellerautor Ian McEwan wird seit 2019 bei Diogenes verlegt. Das Buch umfasst 404 Seiten und beschreibt die Geschichte aus der Sicht des Protagonisten Charlie.
Maschinen wie ich spielt in einer modifizierten Vergangenheit in London. 1982 stehen die Briten kurz vor dem Falklandkrieg, den sie mit einer krachenden Niederlage verlieren werden, bevor sie ihn richtig begonnen haben. Mittelfristig wird Margaret Thatcher das das Amt kosten und Labour an die Macht bringen. Die kommen, leider einmal mehr, mit linken Positionen nicht über erfolgreichen Populismus im Wahlkampf hinaus. Die Gesellschaft ist zutiefst gespalten, womit McEwan an die gegenwärtige Lage anknüpft. Der Brexit steht auf dem Tableau, ebenso wie ein dringend notwendiges Grundeinkommen, denn …
… hier kommt McEwans zweite große Modifikation ins Spiel. Die Computerentwicklung ist auf dem Stand von morgen. Eine sehr kleine Charge erster menschlicher Androiden kommt auf dem Markt. Triebfeder dafür war maßgeblich Alan Turing, der nicht 1954 durch Suizid in Folge einer chemischen Kastration verstarb. Er führt sein Werk weiter und macht bahnbrechende Fortschritte auf dem Feld der künstlichen Intelligenz, die er der Welt open source zur Verfügung stellt. So sieht sich die Gesellschaft schon 1982 mit dem Problem konfrontiert, wie ›perfekte Menschen‹ mit uns unperfekten klar kommen können und umgekehrt. Diese Frage hat McEwan zum Kern seines Romans gemacht.
McEwan geht dabei im Prinzip relativ simpel vor, denn die Story an sich ist nicht allzu umfassend. Er wirft den Androiden Adam, ausgestattet mit einem Bewusstsein und, das war unerwartet, der Fähigkeit Gefühle zu entwickeln, in den Mikrokosmos des Lebens von Charlie und Miranda. Beide sind ganz normale Menschen, beide machen ganz normale menschliche Fehler. An dieser Stelle kollidieren die beiden Welten, denn, Bewusstsein und Gefühle hin oder her, Adam basiert immer noch auf Regeln abseits von moralischem oder menschlichem Ermessen. Wo der Mensch eine Notlüge vorzieht, ist Adam dazu nicht in der Lage, analysiert das Gesamtproblem und handelt logisch pragmatisch. Der Mensch aber, der kleine und größere Regelverstöße aufgrund moralischer Abwägungen fest kultiviert (Stichwort Notlüge) hat, kann mit dieser logischen Konsequenz überhaupt nicht umgehen.
Maschinen wie ich könnte ein wirklich gutes Buch sein, das Thema und die Umsetzung geben das auf jeden Fall her. Leider kann sich McEwan aber für mich nicht entscheiden, ob er einen Roman oder eine philosophische Abhandlung schreiben will. Gerade in der ersten Hälfte konnte mich das Buch nur schwer fesseln, weil die Handlung immer wieder von seitenlangen philosophischen Phasen oder ausgedehnten historischen Einordnungen unterbrochen wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass McEwan besonders in den Teilen seinen wissenschaftlichen Hintergrund nicht im Zaum halten kann. Seine Sprache gleicht da mehr einem wissenschaftlichen Tagebuch, was üblicherweise alles andere als unterhaltsam ist. Dass das anders geht und man trotzdem ein hohes wissenschaftliches Niveau im Werk unterbringen kann, beweisen beispielsweise Daniel Suarez und Maja Lunde. Hinzu kommt, dass mir McEwan in der ersten Hälfte im Prinzip keinen seiner Charaktere sympathisch machen konnte. Alle kommen, da ist ein Stück weit auch die Sprache verantwortlich, etwas arrogant und oberlehrerhaft rüber. Das hält etwa bis zu dem Punkt an, an dem Adam seine Fähigkeit zu Gefühlen entdeckt.
In der zweiten Hälfte verbessert sich das zwar, doch auch hier finden sich seitenlange wissenschaftliche Monologe, teilweise mit Wiederholungen (Alan Turings Lebenslauf wird beispielsweise zweimal ausführlich erzählt, wobei das zweite Mal noch ein Stück ausführlicher ist). Ich musste das Buch mehrmals gezielt an Stellen, an denen es von Handlung zu Abhandlung wechselt, unterbrechen, um wenigstens ein bisschen in der Geschichte zu bleiben. Gemessen am Umfang der Handlung könnte man fast sagen, der Roman ginge als Novelle durch, wenn man die Abhandlungen auf ein für die Handlung notwendiges Maß zusammenstreichen würde. Das ist schade, denn, wie gesagt, Thema und Umsetzung geben eigentlich viel mehr her.
So komme ich abschließend zu keinem echten Urteil, Maschinen wie ich lässt mich zwiegespalten zurück. Wer mit den Abhandlungen und Handlungsunterbrechungen leben kann, der bekommt ein zukünftig wichtiges Buch mit spannender Umsetzung. Wer das nicht kann, der wird es wahrscheinlich recht schnell wieder weglegen.
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Rezension: Miami Punk (von Juan S. Guse)
Autor: Juan S. Guse
Erschienen: 2026
Seiten: 640

Was geschieht mit einer Metropole, wenn sich eine ihrer Konstanten plötzlich radikal verändert? Miami findet das seit einiger Zeit heraus, denn das Wasser des Atlantiks ist über Nacht verschwunden. Von einem Tag auf den anderen verschwinden ganze Berufssparten, die Politik verliert ihren Einfluss, Bürgerwehren formieren sich, Alligatoren streifen durch die Stadt und eine wachsende Gruppe formiert sich zum basisdemokratischen Kongress. Andere zieht es in die zunehmend abgeriegelte Wüsten- und Berglandschaft, die der Atlantik hinterlassen hat.
Durch dieses Miami schlagen sich Indieprogrammiererin Robin, ihre Freunde und Familie und ein alterndes, halbprofessionelles eSports-Team aus Wuppertal.
Miami Punk erschien 2019 bei FISCHER. Der experimentelle Gesellschaftsroman erzählt mit unterschiedlichen Sprach- und Textformen auf 640 Seiten Episoden aus den Leben der Protagonisten sowie einiger Nebencharaktere.
Ich beginne positiv, damit das nicht ganz in den Hintergrund rückt. Denn die Grundannahme des Buches gefällt mir beispielsweise wirklich gut. Guse nimmt einen gesellschaftlichen Mikrokosmos, verändert eine seiner Konstanten und spielt die Konsequenzen durch – und das wirklich fantasievoll. Dass Ringer, die sportlich trotz Erfolgen bisher ein Schattendasein führten, beispielsweise nun ihre Profession darin finden, die Alligatoren, die in Massen verwirrt durch die Stadt wandern und zur Gefahr für ihre Bewohner werden, mit ihren Fähigkeiten zu bekämpfen, das nötigt mir ein Grinsen ab. Auch die Idee des Kongresses, mit dem Guse die typische linksaktivistische Plenumskultur ein Stück weit auf den Arm nimmt, gefällt mir sehr.
Leider – und fast alles, was jetzt kommt, ist Geschmackssache – leidet vieles in Miami Punk sehr unter der jeweiligen Sprach- oder Textform. Den Handlungsstrang des CS-Teams finde ich beispielsweise grundsätzlich wirklich schön, er wird mir aber sehr oft durch seitenlanges Fachgesimpel und quasi transkribierte CS-Matches verdorben. Das ist schade und müsste nicht sein. Ich war selber mal recht aktiver Gamer (nicht CS, sondern UT) und bin mit Vokabular und Maps durchaus vertraut, aber selbst mit dem Vorwissen wurde mir das zu viel. Ähnliches gilt für Vorträge im Kongress, die teils fast wortprotokollarisch ganze Kapitel füllen.
Das Problem hierbei ist für mich, dass ich nicht wirklich einordnen kann, ob das wirklich so gedacht oder Auswuchs von Berufskrankheiten ist (ich darf das sagen, ich habe auch mal mit viel Freude Soziologie studiert). Vieles liest sich in Sprach- und Textform wie sozialwissenschaftliche Arbeiten – und wenn Sozialwissenschaftler eins können, dann ist das unheimlich furchtbar zu schreiben. Sätze, die sich bald über ganze Seiten ziehen – wer braucht zehn Verschachtelungen, wenn man auch noch eine elfte schafft – seitenlange Aufzählungen, damit auch wirklich jeder Punkt genannt ist. Ein Großteil der soziologischen Texte, die ich durcharbeiten durfte, zeichneten sich in hohem Maße durch Schreiben um des Schreibens Willen aus. Das ist leider in den seltensten Fällen angenehm lesbar.
Zudem braucht das Buch wirklich sehr lange, bis eine Ahnung von Story zwischen den einzelnen Erzählsträngen erkennbar wird. Ich hatte kurz vor der Hälfte des Buchen langsam das Gefühl, Zusammenhänge zu erkennen, die sich gegen Ende aber wieder als wahrscheinlich falsch herausstellten. Bis dahin musste ich schon mehrfach mit mir kämpfen, das Buch abzubrechen. Spätestens beim ersten der drei ›Domainkapitel‹ – Guse schreibt die Geschichte dort über mehrere Seiten in Domainform, also ohne Interpunktion geschweige denn Leerzeichen – war ich erstmals kurz davor. Selbst als Stilmittel ist das in der Länge einfach unnütz, weil jedenfalls mir nichts von diesen Kapiteln hängen bliebt. Man ist viel zu sehr damit beschäftigt, den Text irgendwie in verständliche Sprache zu bringen. Um das noch zu verkomplizieren, kommen insgesamt nicht gerade wenige Sprach- und Rechtsschreibfehler dazu. Was mich etwas amüsiert hat (im Sinne von ›das habt ihr jetzt davon‹), weil die vor allem da auftreten, wo Text- oder Sprachform nur noch unter größter Anstrengung lesbar sind.
Den Einstieg, der ein AoE2-Match zwischen Robin und einer fremden Spielerin minutiös beschreibt, fand ich schon nicht besonders gelungen, weil er durch die Detailliebe einfach unheimlich langatmig wird. Ich denke, viele Leser wird alleine das schon abschrecken, weil man wirklich leicht den Eindruck bekommt, bei Miami Punk handele es sich um Nerdlektüre – von Nerds, für Nerds. Dem ist nicht so, finde ich. Das Buch könnte als große Gesellschaftskritik durchaus Potential haben, ist dafür aber wahrscheinlich zu massenuntauglich geschrieben, auch wenn ich einsehe, dass die Sprach- und Textformen durchaus ihren Sinn haben. Es ist für mich nur einfach in jedem Punkt too much. Man hätte das Buch problemlos um mindestens ein Drittel kürzen können und hätte an Story und Message wahrscheinlich nichts eingebußt, dafür das Lesevergnügen massiv gesteigert.
Kaum erwartbar, aber ich tue mich schwer mit einem Fazit. Die Idee gefällt mir, einzelne Charaktere auch. Allerdings habe ich mich auch gewaltig durch das Buch gequält – ambivalent zwar, weil ich einerseits wissen wollte, wie es weiter geht, andererseits aber endlich wieder lesbare Sprache lesen wollte, aber eine Qual war es doch recht oft. Mit geistes- oder sprachwissenschaftlichem und Gamer-Hintergrund mag Miami Punk leichter runter gehen, aber wie gesagt, die habe ich auch. Wie es da Lesenden ohne diese Hintergründe geht, will ich mir gar nicht ausmalen.
[yasr_overall_rating null size=“medium“]
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Rezension: GRM: Brainfuck (von Sibylle Berg)
Autor: Sibylle Berg
Erschienen: 2019
Seiten: 640

Rochdale, Großbritannien, in einer sehr nahen, sehr düsteren Zukunft. Alle düsteren Visionen, die sich im neuen Jahrtausend angedeutet haben, sind so gut wie oder schon Realität. Hohe Arbeitslosigkeit, die Mittelschicht ist in die Armut gerutscht, die Oberschicht versucht auch noch das Letzte an Macht und Geld aus der geknechteten Gesellschaft zu pressen. Totalüberwachung ist real. Überbordende Straßenkriminalität ist real. Die Gentrifizierung macht auch vor den letzten Grundstücken nicht halt.
In dieser Welt finden vier Kinder einigermaßen unterschiedlicher Hintergründe auf der Straße einander. Sie sind entwurzelt, schweben zwischen Desillusion und Revolution, und die Pubertät. Oje. Sie schließen sich zusammen, verlassen Rochdale bald und versuchen, sich in London durch den Sumpf zu schlagen.
GRM: Brainfuck erschien 2019 bei Kiepenheuer & Witsch. Auf 640 Seiten erzählt Sibylle Berg fortlaufend die Geschichten der Kinder und ausgewählter, stereotyper ›Mitglieder‹ der Gesellschaft, die auf die eine oder andere Weise kurz oder lang Einfluss auf ihr Leben haben. Ich würde das Buch irgendwo zwischen Coming-of-Age- und Gesellschaftsroman einstufen, mit satirischen und dystopischen Elementen.
Um das gleich vorweg zu nehmen: GRM: Brainfuck ist monumental. Wöllte man versuchen, alle Themen, die Sibylle Berg aufgreift, genussvoll durch den Wolf dreht und dann neu formt, aufzulisten, man würde wohl kein Ende finden. Alles an diesem Buch ist gewaltig, selbst so simple Dinge, wie die Gliederung – die durch den fortlaufenden Text kaum existiert und mit zu dem Eindruck beiträgt, einen stetig wachsenden Berg Gewolftes zu erklimmen.
Aber zurück zu den Themen, die allesamt nah an ihr pessimistischstes Extremum geführt werden. Als da wären Brexit und damit zusammenhängend Nationalismus und Faschismus, Globalisierung, Gentrifizierung, Misogynie, Armut und Kinderarmut im Speziellen, Klassismus und sozialer Abstieg, Kriminalität, Massenbeeinflussung durch einfach alles, Massenüberwachung durch einfach alles, Social Credit Systeme, Alkohol-, Medikamenten- und Drogenkonsum, Prostitution und Kinderprostitution, Kinderhandel, Kinderpornografie und allgemein Pornografie in allen denkbaren Ausprägungen, Wählermanipulation, künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Technisierung von einfach allem, soziale Medien, Kryptowährungen, Neoliberalismus, Kapitalismus, Industrie 4.0, Privatisierung, Todesstrafe, Schwangerschaftsabbruch, Gentechnik, Klimawandel, Umweltzerstörung, Fleischindustrie … ich könnte noch ewig so weiter machen, es wird kein Ende nehmen. Erwähnte ich schon, dass das Buch gewaltig ist?
Ein Kunststück, davon nicht erschlagen zu werden, das Sibylle Berg aber gelingt. Vor allem die vier Kinder Don, Hannah, Karen und Peter sorgen für eine rote Linie durch die Geschichte. Dazu kommt eine sehr angenehme Mischung aus brutaler Dystopie und Satire, so dass man sich oft zwischen Abscheu und Schmunzeln bewegt. Die Side-Storys sind gekonnt mit der roten Linie verknüpft, nichts scheint so wirklich überflüssig, alles erweitert die Sicht. Bergs Sprache – oftmals bis zum Unangenehmen brutal – und der ihr ganz eigene Umgang mit gängiger Interpunktion harmonieren ganz wunderbar mit dem Inhalt und runden ihn auf einer weiteren Ebene ab.
Zwischen diesem ganzen Wust erzählt Sibylle Berg eine ein bisschen traurige, aber an sich schöne Coming-of-Age-Geschichte, mit eben den ganzen Problemen, die das so mit sich bringt, wenn man zusätzlich zu diesen Problemen noch sehr früh und sehr schnell auf sehr negative Weise sehr erwachsen werden muss. Dabei sind die Kinder, erstaunlich genug, noch die am Wenigsten durch die gesellschaftlichen und familiären Umstände zerstörten Figuren.
GRM: Brainfuck ist eine sehr düstere, nicht besonders ferne Zukunftsvision. Eine mögliche Antwort auf die Frage, was passiert, wenn wir die Gesellschaft durch Desinteresse und Selbstsucht vollkommen an die Wand fahren. Es ist auch ein Buch, das anstrengend sein kann und anstrengend sein muss. Was nicht davon abhalten soll, es zu lesen. Wirklich. Denn es ist in vielerlei Hinsicht auch sehr ehrlich.
[yasr_overall_rating null size=“medium“]
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Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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