Paradise City (von Zoë Beck)
Autor: Zoë Beck
Erschienen: 2020
Seiten: 281

Deutschland in einer nicht allzu fernen Zukunft. Der Klimawandel und Pandemien haben zugeschlagen, weite Teile des Landes sind unbewohnt oder unbewohnbar. Die Bevölkerung hat es in die Megacitys gezogen, der ländliche Raum ist weitgehend entvölkert. Frankfurt am Main, das sich mittlerweile über weite Teile des Rhein-Main-Gebietes erstreckt, ist die neue Bundeshauptstadt. Es regieren insbesondere Fake News und Algorithmen.
Liina ist Investigativjournalistin bei einer der letzten nicht-staatlichen Nachrichtenagenturen. Während ihr Chef Yassin sie zu einer vermeintlich unspektakulären Geschichte in die Uckermark schickt, obwohl er sie für eine große Sache einplante, erleidet er einen mysteriösen Unfall und liegt nun im Koma. Zeitgleich stirbt eine Kollegin. Als Liina, Özlem und Ethan Nachforschungen beginnen, geraten auch ihre Leben zunehmend in Gefahr. Immer tiefer tauchen sie in einen Abgrund ein, in dem außer Kontrolle geratene Algorithmen das Leben der Bevölkerung bedrohen.
Paradise City ist der aktuelle Thriller von Zoë Beck. Das Buch erschien im Juni 2020 bei Suhrkamp und umfasst 281 Seiten, die sich in 20 Kapitel gliedern. Für mein Rezensionsexemplar darf ich mich beim Verlag und Vorablesen bedanken.
Zoë Beck zeichnet in Paradise City erneut eine düstere Weiterentwicklung der aktuellen Zustände. Der Kampf gegen den Klimawandel ist verloren, die Verselbstständlichung der Algorithmen – im Falle der Geschichte vor allem der des Gesundheitssystems – ist über einen Punkt hinaus geraten, der ursprünglich nicht für möglich gehalten wurde. Vom freiheitlich-demokratischen System ist nicht allzu viel übrig, ebenso von der freien Presse. In den Ballungszentren, die sich auf Megametropolen beschränken, lebt es sich technisch angenehm, wenn man sich mit den Zuständen abfindet. Tut man das nicht, sondert einen das System aus. Das sind die sog. Parallelen, die in entvölkerten Gegenden unter primitivsten Umständen leben – Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Behinderte und allgemein Menschen, die mit dem System nicht klar kommen. In ihrer Kindheit hat Liina diese Menschen kennengelernt, mittlerweile sind sie von der Bildfläche verschwunden.
Man könnte nun skeptisch die Augenbraue heben, ob der verhältnismäßig geringen Seitenzahl von Paradise City. Vergleichbare Techthriller – vorwiegend solche männlicher Autoren – kommen da meist mit einem deutlich größeren Umfang daher, was nicht selten daran liegt, dass die technischen Details fast so viel Platz wie die Geschichte selber einnehmen. Zoë Beck verzichtet weitgehend auf diesen Aspekt. Das schadet dem Buch aber kein bisschen, denn sie geht mit der Technik gerade so weit, dass sie heute schon problemlos vorstellbar ist. Das algorithmisierte Gesundheitssystem wird bereits diskutiert (man denke beispielsweise an den Fitnessband-Vorstoß hierzulande, die USA waren da schon weiter), Sensorimplantate sind ebenfalls schon bekannt und der Schritt zur KI ist längst mehr als eine abgefahrene Idee von ein paar Nerds, die nur in ihren düsteren Garagen oder bestenfalls Nerdforen stattfindet. Über die Folgen, die insbesondere mit KIen einher gehen, gibt es seit Jahren Diskussionen mit Blick auf das autonome Fahren. Mit dieser auf die technischen Details verzichtenden Herangehensweise rückt die Geschichte selber mehr in den Vordergrund und damit hat Beck mich, obwohl ich eigentlich ausgesprochener Liebhaber technisch komplexer Techthriller bin.
Überhaupt geht Zoë Beck in Paradise City recht interessant mit dem ihr zur Verfügung stehenden Platz um. Die Geschichte wird relativ schnell klarer, die ›Bösen‹ stehen bald fest und ab dem Zeitpunkt strebt die Handlung auf das Finale zu. Als sich wirklich sehr kurz vor Schluss abzeichnet, dass die Auflösung doch nicht so einfach ist, saß ich mit dem kümmerlichen Stoß Restseiten da und dachte mir, wie will sie das auf dem bisschen Raum jetzt noch ungehetzt zu Ende bringen? Kleiner Spoiler: Es gelingt ihr und es bleibt auch nicht das Gefühl, da würde noch was fehlen. Das hat mich am Ende dann doch noch etwas überrascht, weil ihr da wirklich nur noch sehr wenig Platz blieb.
Zum Schluss darf noch ein Wort zum Cover fallen, das wieder sehr gelungen ist. Besonders macht es seine Haptik, denn die Schriftelemente sind, als Kontrast zum bildlichen Hochglanzteil, aufgeraut.
Paradise City reiht sich ein in Zoë Becks Werk der vergangenen Jahre. Weniger Gegenwarts-, mehr Zukunftsthriller und immer auf eine recht einfach zugängliche Weise mahnend. Nicht technologiefeindlich, aber in gesundem Maße technologiekritisch, wo man schon heute kritisch sein sollte, weil die Weichen bereits gestellt werden. Daneben erzählt sie aber auch wieder eine spannende Geschichte mit sympathischen Figuren. Für Freunde des Genres immer ein Leckerbissen, aber auch als Einstieg sehr geeignet.
Transparenzblock: Das Buch habe ich im Rahmen einer Buchverlosung über Vorablesen als Vorabrezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension), abgesehen von eben einer Rezension, habe ich dabei keine. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Der Store (von Rob Hart)
Autor: Rob Hart
Erschienen: 2019
Seiten: 592

In einer nahen Zukunft lernen sich Paxton und Zinnia bei Cloud, dem Onlinestore schlechthin kennen. Paxton gehört zur Security, Zinnia ist Sammlerin. Cloud regelt das komplette Leben seiner Mitarbeiter. Während nach außen alles auf den Markt ausgerichtet ist, herrscht im Inneren ein ausgeklügeltes Ökosystem aus Kontrolle und Belohnung. Die beiden kommen sich näher, doch Cloud wird zunehmend zum Problem.
Der Store ist Rob Harts erster großer Unterhaltungsroman. Das Buch umfasst 592 Seiten, die sich in 11 Kapitel gliedern, innerhalb denen zwischen den Handlungssträngen gesprungen wird. Erschienen ist es 2019 bei Heyne, einem Imprint von Random House.
Bei Cloud dominiert das Bewertungssystem alles. Mit dem Bewerbungsprozess beginnt die Einstufung und Bewertung der Mitarbeiter. Cloud selber ist dabei ein relativ geschlossenes Ökosystem inmitten einer Welt, die durch den Klimawandel stark entvölkert und lebensfeindlich ist, eine Art Oase. Die sog. MotherClouds, quasi abgeriegelte Produktionsstädte, in denen die Mitarbeiter leben und vor allem arbeiten, haben fast exterritorialen Status. Die Staatsgewalt hat ihren Einfluss hier weitgehend abgegeben, im Gegenzug hat Cloud Arbeitsplätze und Sicherheit für den großen Teil der Bevölkerung, der für ihn arbeitet, geschaffen. Es ist ein Zwischenszenario zwischen heute und den dystopischen Visionen weltbeherrschender Megakonzerne.
Rob Hart gelingt dabei eine wirklich spannende Art Kapitalismuskritik, denn er geht sie von zwei Seiten an. Auf der einen Seite ist die offensichtliche, die durch die Handlungsstränge von Paxton und Zinnia repräsentiert wird. Sie kommt auf dem üblichen Wege, aus der Warte der Betroffenen, und begründet sich auf den Zuständen, unter denen ebendiese in einer neokapitalistisch entfesselten Welt leiden müssen. Auf der anderen Seite steht Gibson Wells, der Gründer von Cloud, der seinem bevorstehenden Krebstod entgegenblickend, Resümee in einem persönlichen Blog zieht. Der Strang ist der eigentlich interessante, denn er ist in meinem Augen als Kapitalismuskritik unheimlich geschickt gesponnen.
Wells beginnt als menschenfreundlicher Gönner, als Lichtgestalt, die immer nur die besten Absichten hatte und von den Zuständen, die mittlerweile in den MotherClouds herrschen, eigentlich überhaupt nichts wissen kann. Er ist der gewissenhafte, bodenständige Selfmademilliardär von nebenan. Doch dieses Bild wandelt sich schleichend. Immer mehr zeigt sich, dass Wells über all die Missstände Bescheid weiß, dass sie sogar seinem Ideal entsprechen. Alles unter seinem Mantra, der Markt regelt alles und er regelt vor allem alles am Besten. Das führt zu den perfiden Argumentationen, die wir von wirtschafts- bzw. neoliberalen Politikern auch heute schon kennen. Berufliche Ausbeutung beispielsweise ist eine Wohltat an der Gemeinschaft, denn immerhin schaffe man Arbeitsplätze für ebendiese Menschen, was ihren Leben überhaupt erst einen Sinn gäbe. Genauso Preisdumping und das damit einhergehende Sterben kleinerer Betriebe, die die Preise nicht mehr mitgehen können. So würde der Kunde schließlich mehr von seinem Geld haben. Besonders perfide, die Ablehnung von Automatisierung, um selbst stupideste Arbeiten von Menschen erledigen zu lassen, damit eben genug Arbeitsplätze vorhanden sind. Statt sich über Ausgleichsmöglichkeiten für den technischen Fortschritt Gedanken zu machen und das Leben der Menschen zu verbessern (Stichwort: Bedingungsloses Grundeinkommen). All das argumentiert Hart durch seine Figur Gibson Wells von der marktradikalen Seite her durch und wenn man es so liest, ist es natürlich stimmig – allerdings nur unter völliger Ausblendung der Menschenwürde. Das macht Der Store zu einem wirklich guten kapitalismuskritischen Roman.
Das Unternehmen Cloud ist bestimmt nicht ganz zufällig an real existierende Vorbilder angelehnt. Hart präsentiert es als eine Mischung aus Amazon und Google im Endstadium. Gerade die Fixierung auf das Leben der Sammler erinnert doch stark an die Zustände in Amazons Versandzentren, die schon seit Jahren hart kritisiert werden. So auch die Grundregel, innerhalb der MotherClouds niemals das Wort ›Gewerkschaft‹ in den Mund zu nehmen. Das campusähnliche Habitat und die Fixierung auf Forschung in Zukunftstechnologien hingegen erinnert an Google.
Der Roman selber ist spannend und fesselnd geschrieben, obwohl die Handlung an sich gar nicht so spannend ist. Da möchte ich eine kleine Kritik am Klappentext anbringen, denn die »schreckliche Entdeckung«, die »alles ändert« konnte ich nicht finden. Die drei Handlungsstränge schleichen so dahin, die von Paxton und Zinnia bewegen sich schnell aufeinander zu. Auch eine echte Spannungsspitze gibt es nicht, sieht man vom Finale ab, auf das ab einem gewissen Punkt alles hinläuft. Gefesselt hat mich Der Store vor allem durch die sympathischen Figuren – also Paxton und Zinnia – und die Art der Kapitalismuskritik, denn die ist, wie schon gesagt, wirklich gut. In einem oder zwei Punkten ist mir das Ende leider etwas zu offen, aber das kann ich verschmerzen.
Zusammengefasst ist Der Store ein wirklich toller Roman, der weniger von der Spannung als von seiner Botschaft lebt. Mit der gibt sich Rob Hart große Mühe und das hat sich ausgezahlt. Hoffen wir, dass wir die Kurve bekommen und der Roman nicht visionär wird.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Hologrammatica (von Tom Hillenbrand)
Autor: Tom Hillenbrand
Erschienen: 2018
Seiten: 560

Die Welt im Jahr 2088 hat nur noch wenig mit der zu tun, die wir kennen. Der Klimawandel hat ihre Geografie erheblich verändert, aus Staaten wurden Föderationen und die Menschheit wurde durch ein Virus erheblich dezimiert. Das Antlitz der Welt ist durch das Holonet bestimmt, das menschliche Hirn ist mittlerweile digitalisier- und übertragbar. Die erste echte Erfahrung mit Künstlicher Intelligenz ging Mitte des 21. Jahrhunderts vermeintlich spektakulär in die Hose.
Im London dieser Welt arbeitet Galahad Singh als Quästor – eine Art Privatermittler, der verschwundene Menschen findet. Sein neuester Auftrag ist Juliette Perotte, eine brillante Krypto-Programmiererin, die sich mit der Verschlüsselung digitaler Kopien des menschlichen Hirns, sog. Cogits, beschäftigt. Schnell tauchen Fragen auf und ein gefährlicher Verdacht keimt: Stecken überhaupt Menschen hinter Perottes Entführung?
Hologrammatica ist der erste Band in Tom Hillenbrands Reihe Aus der Welt der Hologrammatica. Der Techthriller erschien 2018 bei Kiepenheuer & Witsch und umfasst 560 Seiten.
Tom Hillenbrand entwirft in Hologrammatica erneut eine düstere Zukunftsvision, um große Fragen technologieethischer Natur zu stellen. Das Grundszenario ähnelt in vielen Punkten dem aus Drohnenland. Eine Welt, die durch den Klimawandel erheblich verändert wurde. Staaten zerfielen, multistaatliche Institutionen (hier Föderationen) ersetzten sie. Weltweit agierende Konzerne, sog. Supernationals, haben die Welt erheblich beeinflusst. Drohnen spielen bei Hologrammatica zwar keine Rolle, hier liegt der Fokus auf umfassender Holografie. Dafür überschneiden sich die beiden Bücher in puncto Künstliche Intelligenz.
In diese Welt wirft Hillenbrand den Quästor Galahad Singh, aus dessen Perspektive der größte Teil von Hologrammatica erzählt wird. Das Suchen von verschwundenen Personen hat aus unterschiedlichen Gründen in der neuen Welt Konjunktur – am naheliegendsten die Möglichkeit, sein Cogit in einen anderen Körper zu laden, die äußere Erscheinung also komplett zu wechseln. Dazu kommt die weltweite Migration wegen des Klimawandels. Überwachungstechnik ist bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt, wie sie es zu Anfang des 21. Jahrhunderts noch war – hier hat die Menschheit aus der Erfahrung gelernt. Galahad wird also beauftragt, Juliette Perotte zu finden.
Um diese Geschichte herum baut Hillenbrand einen technologiekritischen Thriller. Zahlreiche Fragen werden auf die eine oder andere Weise gestellt. Zentral bleiben die um Künstliche Intelligenzen. Wie weit würden wir die Kontrolle an eine solche abgeben, wenn es um die Lösung der großen Probleme, die wir offensichtlich nicht selber gelöst bekommen, geht? In Hologrammatica hatte die Menschheit die Kontrolle bereits abgegeben, um die Klimakrise zu lösen. Unbeabsichtigt zwar, aber das wirft die zweite Frage auf: Sind wir überhaupt in der Lage, eine uns haushoch überlegene Künstliche Intelligenz so weit zu verstehen, dass wir sie im Zaum halten können? Die kaum überraschende Antwort ist Nein. Ist es dann überhaupt vertretbar, eine Künstliche Intelligenz zu aktivieren? Eine Antwort auf diese Frage ist schon schwieriger, denn auch wenn uns die Lösung, die eine KI zu einem Problem entwickelt, nicht gefällt, ist sie objektiv vielleicht doch die richtige oder einzige. Müssen wir uns dann zu unserem Glück, das im Wesentlichen im Fortbestand der Menschheit besteht, zwingen lassen, die Kontrolle also ganz bewusst mit allen möglichen Konsequenzen abgeben?
Hillenbrand lässt viele Fragen offen, das ist nicht anders zu erwarten. Hologrammatica soll Denkanstöße bieten, das schafft das Buch zweifellos. Abseits der ernsten Hintergründe ist es aber auch ganz einfach ein toll konzipierter Thriller. Die Welt, die Hillenbrand designed hat, ist komplex und (mindestens) fünfschichtig. Die Geschichte nimmt immer wieder unerwartete Wendungen. Gegen Ende hatte ich kurz die Befürchtung, sie würde mir eine Wendung zu viel nehmen, aber das korrigiert er.
Im Gegensatz zu Drohnenland kam ich auch deutlich besser in die Geschichte. Zwar wirft Hillenbrand auch in Hologrammatica wieder mit einer Fülle von technischen Wortschöpfungen um sich, diesmal gibt es aber ein angemessen umfassendes Glossar. Das hilft ungemein und ist genau das, was Drohnenland fehlte. Die Handlung ist sehr eingängig und erlebbar, was im Wesentlichen an der überwiegenden Ego-Perspektive liegt. Ein kleiner Teil wird durch einen personalen Erzähler erzählt, auch das sehr gelungen.
Ein Wort zur Wiedergabe des gesellschaftlichen Klimas möchte ich noch verlieren, die gelingt Hillenbrand in meinen Augen nämlich wirklich gut. Die Weltbevölkerung hat sich durch die klimawandelbedingten Umwälzungen und Migrationsbewegungen stark vermischt, ist hinsichtlich äußerer Unterschiede homogener geworden. Darauf geht Hillenbrand immer wieder ganz beiläufig zwischen den Zeilen ein. In Verbindung mit der Ego-Perspektive seines Haupthandlungsstrangs vermittelt er dadurch genau das Maß an völliger Normalisierung, das das Thema äußerlicher Unterschiede der Menschen eigentlich auch ohne die Vermischung haben sollte. Insofern bekommt Hologrammatica auch einen feinen antirassistischen Aspekt.
Hologrammatica lohnt sich, das auf jeden Fall. Es hat sowohl dystopische als auch utopische Elemente, interessante Figuren und Themen, über die wir schnellstmöglich nachdenken sollten. Die Mischung ist sehr gut gelungen und schlussendlich ist auch die Story an sich eine spannende. Ich bin sehr gespannt auf Qube, den zweiten Teil, der zwar letzte Woche erschien, schändlicherweise aber noch nicht bei mir.
Aus der Welt der Hologrammatica
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Maschinen wie ich (von Ian McEwan)
Autor: Ian McEwan
Erschienen: 2019
Seiten: 404

Charlie, 32, lässt sich mehr schlecht als recht vom Leben und seinen Künsten im Börsenhandel treiben. Miranda, 10 Jahre jünger, Studentin, Nachbarin und die aktuelle Liebe seines Lebens, kämpft mit ihrer Vergangenheit. Als 1982 die ersten humanoiden Roboter mit realistischer KI auf den Markt kommen, investiert der computerbegeisterte Charlie eine Erbschaft in einen dieser »Adams«. Das Experiment zeigt bald Schwächen, die beider Leben dramatisch verändern sollen. Oder sind es doch die Schwächen der Menschen?
Maschinen wie ich vom britischen Bestsellerautor Ian McEwan wird seit 2019 bei Diogenes verlegt. Das Buch umfasst 404 Seiten und beschreibt die Geschichte aus der Sicht des Protagonisten Charlie.
Maschinen wie ich spielt in einer modifizierten Vergangenheit in London. 1982 stehen die Briten kurz vor dem Falklandkrieg, den sie mit einer krachenden Niederlage verlieren werden, bevor sie ihn richtig begonnen haben. Mittelfristig wird Margaret Thatcher das das Amt kosten und Labour an die Macht bringen. Die kommen, leider einmal mehr, mit linken Positionen nicht über erfolgreichen Populismus im Wahlkampf hinaus. Die Gesellschaft ist zutiefst gespalten, womit McEwan an die gegenwärtige Lage anknüpft. Der Brexit steht auf dem Tableau, ebenso wie ein dringend notwendiges Grundeinkommen, denn …
… hier kommt McEwans zweite große Modifikation ins Spiel. Die Computerentwicklung ist auf dem Stand von morgen. Eine sehr kleine Charge erster menschlicher Androiden kommt auf dem Markt. Triebfeder dafür war maßgeblich Alan Turing, der nicht 1954 durch Suizid in Folge einer chemischen Kastration verstarb. Er führt sein Werk weiter und macht bahnbrechende Fortschritte auf dem Feld der künstlichen Intelligenz, die er der Welt open source zur Verfügung stellt. So sieht sich die Gesellschaft schon 1982 mit dem Problem konfrontiert, wie ›perfekte Menschen‹ mit uns unperfekten klar kommen können und umgekehrt. Diese Frage hat McEwan zum Kern seines Romans gemacht.
McEwan geht dabei im Prinzip relativ simpel vor, denn die Story an sich ist nicht allzu umfassend. Er wirft den Androiden Adam, ausgestattet mit einem Bewusstsein und, das war unerwartet, der Fähigkeit Gefühle zu entwickeln, in den Mikrokosmos des Lebens von Charlie und Miranda. Beide sind ganz normale Menschen, beide machen ganz normale menschliche Fehler. An dieser Stelle kollidieren die beiden Welten, denn, Bewusstsein und Gefühle hin oder her, Adam basiert immer noch auf Regeln abseits von moralischem oder menschlichem Ermessen. Wo der Mensch eine Notlüge vorzieht, ist Adam dazu nicht in der Lage, analysiert das Gesamtproblem und handelt logisch pragmatisch. Der Mensch aber, der kleine und größere Regelverstöße aufgrund moralischer Abwägungen fest kultiviert (Stichwort Notlüge) hat, kann mit dieser logischen Konsequenz überhaupt nicht umgehen.
Maschinen wie ich könnte ein wirklich gutes Buch sein, das Thema und die Umsetzung geben das auf jeden Fall her. Leider kann sich McEwan aber für mich nicht entscheiden, ob er einen Roman oder eine philosophische Abhandlung schreiben will. Gerade in der ersten Hälfte konnte mich das Buch nur schwer fesseln, weil die Handlung immer wieder von seitenlangen philosophischen Phasen oder ausgedehnten historischen Einordnungen unterbrochen wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass McEwan besonders in den Teilen seinen wissenschaftlichen Hintergrund nicht im Zaum halten kann. Seine Sprache gleicht da mehr einem wissenschaftlichen Tagebuch, was üblicherweise alles andere als unterhaltsam ist. Dass das anders geht und man trotzdem ein hohes wissenschaftliches Niveau im Werk unterbringen kann, beweisen beispielsweise Daniel Suarez und Maja Lunde. Hinzu kommt, dass mir McEwan in der ersten Hälfte im Prinzip keinen seiner Charaktere sympathisch machen konnte. Alle kommen, da ist ein Stück weit auch die Sprache verantwortlich, etwas arrogant und oberlehrerhaft rüber. Das hält etwa bis zu dem Punkt an, an dem Adam seine Fähigkeit zu Gefühlen entdeckt.
In der zweiten Hälfte verbessert sich das zwar, doch auch hier finden sich seitenlange wissenschaftliche Monologe, teilweise mit Wiederholungen (Alan Turings Lebenslauf wird beispielsweise zweimal ausführlich erzählt, wobei das zweite Mal noch ein Stück ausführlicher ist). Ich musste das Buch mehrmals gezielt an Stellen, an denen es von Handlung zu Abhandlung wechselt, unterbrechen, um wenigstens ein bisschen in der Geschichte zu bleiben. Gemessen am Umfang der Handlung könnte man fast sagen, der Roman ginge als Novelle durch, wenn man die Abhandlungen auf ein für die Handlung notwendiges Maß zusammenstreichen würde. Das ist schade, denn, wie gesagt, Thema und Umsetzung geben eigentlich viel mehr her.
So komme ich abschließend zu keinem echten Urteil, Maschinen wie ich lässt mich zwiegespalten zurück. Wer mit den Abhandlungen und Handlungsunterbrechungen leben kann, der bekommt ein zukünftig wichtiges Buch mit spannender Umsetzung. Wer das nicht kann, der wird es wahrscheinlich recht schnell wieder weglegen.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Rezension: Miami Punk (von Juan S. Guse)
Autor: Juan S. Guse
Erschienen: 2026
Seiten: 640

Was geschieht mit einer Metropole, wenn sich eine ihrer Konstanten plötzlich radikal verändert? Miami findet das seit einiger Zeit heraus, denn das Wasser des Atlantiks ist über Nacht verschwunden. Von einem Tag auf den anderen verschwinden ganze Berufssparten, die Politik verliert ihren Einfluss, Bürgerwehren formieren sich, Alligatoren streifen durch die Stadt und eine wachsende Gruppe formiert sich zum basisdemokratischen Kongress. Andere zieht es in die zunehmend abgeriegelte Wüsten- und Berglandschaft, die der Atlantik hinterlassen hat.
Durch dieses Miami schlagen sich Indieprogrammiererin Robin, ihre Freunde und Familie und ein alterndes, halbprofessionelles eSports-Team aus Wuppertal.
Miami Punk erschien 2019 bei FISCHER. Der experimentelle Gesellschaftsroman erzählt mit unterschiedlichen Sprach- und Textformen auf 640 Seiten Episoden aus den Leben der Protagonisten sowie einiger Nebencharaktere.
Ich beginne positiv, damit das nicht ganz in den Hintergrund rückt. Denn die Grundannahme des Buches gefällt mir beispielsweise wirklich gut. Guse nimmt einen gesellschaftlichen Mikrokosmos, verändert eine seiner Konstanten und spielt die Konsequenzen durch – und das wirklich fantasievoll. Dass Ringer, die sportlich trotz Erfolgen bisher ein Schattendasein führten, beispielsweise nun ihre Profession darin finden, die Alligatoren, die in Massen verwirrt durch die Stadt wandern und zur Gefahr für ihre Bewohner werden, mit ihren Fähigkeiten zu bekämpfen, das nötigt mir ein Grinsen ab. Auch die Idee des Kongresses, mit dem Guse die typische linksaktivistische Plenumskultur ein Stück weit auf den Arm nimmt, gefällt mir sehr.
Leider – und fast alles, was jetzt kommt, ist Geschmackssache – leidet vieles in Miami Punk sehr unter der jeweiligen Sprach- oder Textform. Den Handlungsstrang des CS-Teams finde ich beispielsweise grundsätzlich wirklich schön, er wird mir aber sehr oft durch seitenlanges Fachgesimpel und quasi transkribierte CS-Matches verdorben. Das ist schade und müsste nicht sein. Ich war selber mal recht aktiver Gamer (nicht CS, sondern UT) und bin mit Vokabular und Maps durchaus vertraut, aber selbst mit dem Vorwissen wurde mir das zu viel. Ähnliches gilt für Vorträge im Kongress, die teils fast wortprotokollarisch ganze Kapitel füllen.
Das Problem hierbei ist für mich, dass ich nicht wirklich einordnen kann, ob das wirklich so gedacht oder Auswuchs von Berufskrankheiten ist (ich darf das sagen, ich habe auch mal mit viel Freude Soziologie studiert). Vieles liest sich in Sprach- und Textform wie sozialwissenschaftliche Arbeiten – und wenn Sozialwissenschaftler eins können, dann ist das unheimlich furchtbar zu schreiben. Sätze, die sich bald über ganze Seiten ziehen – wer braucht zehn Verschachtelungen, wenn man auch noch eine elfte schafft – seitenlange Aufzählungen, damit auch wirklich jeder Punkt genannt ist. Ein Großteil der soziologischen Texte, die ich durcharbeiten durfte, zeichneten sich in hohem Maße durch Schreiben um des Schreibens Willen aus. Das ist leider in den seltensten Fällen angenehm lesbar.
Zudem braucht das Buch wirklich sehr lange, bis eine Ahnung von Story zwischen den einzelnen Erzählsträngen erkennbar wird. Ich hatte kurz vor der Hälfte des Buchen langsam das Gefühl, Zusammenhänge zu erkennen, die sich gegen Ende aber wieder als wahrscheinlich falsch herausstellten. Bis dahin musste ich schon mehrfach mit mir kämpfen, das Buch abzubrechen. Spätestens beim ersten der drei ›Domainkapitel‹ – Guse schreibt die Geschichte dort über mehrere Seiten in Domainform, also ohne Interpunktion geschweige denn Leerzeichen – war ich erstmals kurz davor. Selbst als Stilmittel ist das in der Länge einfach unnütz, weil jedenfalls mir nichts von diesen Kapiteln hängen bliebt. Man ist viel zu sehr damit beschäftigt, den Text irgendwie in verständliche Sprache zu bringen. Um das noch zu verkomplizieren, kommen insgesamt nicht gerade wenige Sprach- und Rechtsschreibfehler dazu. Was mich etwas amüsiert hat (im Sinne von ›das habt ihr jetzt davon‹), weil die vor allem da auftreten, wo Text- oder Sprachform nur noch unter größter Anstrengung lesbar sind.
Den Einstieg, der ein AoE2-Match zwischen Robin und einer fremden Spielerin minutiös beschreibt, fand ich schon nicht besonders gelungen, weil er durch die Detailliebe einfach unheimlich langatmig wird. Ich denke, viele Leser wird alleine das schon abschrecken, weil man wirklich leicht den Eindruck bekommt, bei Miami Punk handele es sich um Nerdlektüre – von Nerds, für Nerds. Dem ist nicht so, finde ich. Das Buch könnte als große Gesellschaftskritik durchaus Potential haben, ist dafür aber wahrscheinlich zu massenuntauglich geschrieben, auch wenn ich einsehe, dass die Sprach- und Textformen durchaus ihren Sinn haben. Es ist für mich nur einfach in jedem Punkt too much. Man hätte das Buch problemlos um mindestens ein Drittel kürzen können und hätte an Story und Message wahrscheinlich nichts eingebußt, dafür das Lesevergnügen massiv gesteigert.
Kaum erwartbar, aber ich tue mich schwer mit einem Fazit. Die Idee gefällt mir, einzelne Charaktere auch. Allerdings habe ich mich auch gewaltig durch das Buch gequält – ambivalent zwar, weil ich einerseits wissen wollte, wie es weiter geht, andererseits aber endlich wieder lesbare Sprache lesen wollte, aber eine Qual war es doch recht oft. Mit geistes- oder sprachwissenschaftlichem und Gamer-Hintergrund mag Miami Punk leichter runter gehen, aber wie gesagt, die habe ich auch. Wie es da Lesenden ohne diese Hintergründe geht, will ich mir gar nicht ausmalen.
[yasr_overall_rating null size=“medium“]
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
Archiv
- Dezember 2020 (5)
- November 2020 (1)
- Oktober 2020 (5)
- September 2020 (3)
- August 2020 (7)
- Juli 2020 (3)
- Mai 2020 (1)
- April 2020 (3)
- März 2020 (8)
- Februar 2020 (15)
- Januar 2020 (9)
- Dezember 2019 (2)
- November 2019 (19)
- Oktober 2019 (21)
- September 2019 (23)
- August 2019 (6)
- Juli 2019 (6)
- Juni 2019 (5)
- Mai 2019 (15)
- April 2019 (15)
- März 2019 (9)
- Februar 2019 (5)
- Januar 2019 (2)
- Februar 2018 (1)