Drohnenland (von Tom Hillenbrand)
Autor: Tom Hillenbrand
Erschienen: 2014
Seiten: 422

Die EU in einer nahen Zukunft. Die Festung ist dicht, Totalüberwachung bis in den letzten Winkel etabliert, der Klimawandel hat die ganze Welt neu geordnet. Als die Abstimmung über eine EU-Verfassung näher rückt, wird ein MEP auf einem abgelegenen Feld ermordet.
Hauptkommissar Arthur van der Westerhuizen von Europol ermittelt in dem Fall. Der technische Fortschritt macht es möglich, einen Großteil der Ermittlungsarbeit in virtuellen Spiegelungen stattfinden zu lassen. Unterstützt durch Terry, die ausgefeilte KI der europäischen Ermittlungsbehörden, scheint der Fall schnell geklärt. Doch dann tauchen Zweifel an der Authentizität der Spiegelungen auf. Wird die digitale Beweisführung manipuliert? Aart und Ava, seine Analystin, gehen der Sache auf den Grund und geraten schnell in große Gefahr.
Tom Hillenbrands Kriminalroman Drohnenland erschien 2014 bei Kiepenheuer & Witsch. Das Buch umfasst 422 Seiten, die sich in 28 Kapitel gliedern.
Tom Hillenbrand zeichnet in seinem Krimi eine düstere Zukunft der EU und der Welt. Der Klimawandel hat alles aus dem Gleichgewicht gebracht, bekannte Großmächte sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, andere Staaten haben ihre Rolle übernommen. Die EU ist endgültig abgeschottet und auf dem besten Wege in einen Polizeistaat. Alles wird überwacht und aufgezeichnet. Aus den Aufzeichnungen lassen sich digitale Abbilder der Realität generieren und so findet auch die Ermittlungsarbeit mehr und mehr innerhalb dieser digitalen Abbilder statt. Hillenbrand wirft die Frage auf, inwieweit wir uns auf die Integrität von Daten und Computersystemen verlassen dürfen – eine Frage, die in geringerem Ausmaß schon heute hochrelevant ist.
Während des Lesens musste ich immer wieder an Sin City denken. Hillenbrand setzt Drohnenland ähnlich um. Aart van der Westerhuizen ist der genretypisch kaputte Polizist: Mittleres Alter, keine Familie, privat ein bisschen verwahrlost, beruflich ein bisschen hinter dem Stand der Technik – was ihn überhaupt erst zu der zentralen Figur des Falles macht. Daneben ist er ausgeprägter Bogart-Fan. Das und seine etwas spezielle Beziehung zu Ava lockern seine Rolle ein wenig auf. So oder so, er bleibt ein sympathischer Charakter.
Was die Spannungskurve betrifft, wechselt Drohnenland immer wieder zwischen sehr ruhig daher dümpelnden und rasanten Phasen. Insbesondere der Beginn zieht sich ein wenig, aber das ist an sich in Ordnung. Selten reißt die Spannung ab, es gab nur wenige Stellen, an denen ich das Buch ruhigen Gewissens weglegen wollte.
Ein wenig erschwerend empfand ich die Verwendung zahlreicher technischer Begriffe (nicht selten Wortschöpfungen), die aber leider nicht oder erst später erklärt wurden. Das trug nicht unbedingt dazu bei, dass ich mich, gerade im ersten Teil des Buches, besonders leicht in die Szenerie hineinversetzen konnte. Hier wären kurze Einführungen im Text oder ein Glossar hilfreich gewesen. Mit der Zeit gibt sich das, aber so weit kommen manche vielleicht gar nicht.
Drohnenland wird zwar als Kriminalroman eingeordnet, reicht aber insbesondere ins Genre des Technologie-Thrillers deutlich rein. Hillenbrands dystopische Vision der technischen Totalüberwachung und des großflächigen Zusammenbruchs heutiger gesellschaftlicher Ordnungen weltweit ist genretypisch. Auch das macht mir das Buch sehr sympathisch, schließlich gehört das Genre zu meinen liebsten.
Insgesamt ist Drohnenland ein toller Roman zwischen Krimi und Techthriller. Eine düstere Vision insbesondere eines zukünftigen Europas und der Welt, die wir bekommen könnten, wenn wir dem technologischen Fortschritt kritiklos folgen. Allemal auch heute noch lesenswert.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Herr Sonneborn geht nach Brüssel (von Martin Sonneborn)
Autor: Martin Sonneborn
Erschienen: 2019
Seiten: 432

Im Frühjahr 2014 gelingt der PARTEI etwas überraschend der Einzug ins EU-Parlament. Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur der Titanic und zuletzt u.a. im Ensemble der heute show, wechselt nach Brüssel (und Straßburg, wie wir lernen werden), wo er nicht nur auf freundlichen Empfang trifft. Auf der Hinterbank der Fraktionslosen, zwischen Ultrarechten und Ultrarechteren, verfolgt er ein herausforderndes Ziel: Wo er schon mal hier ist, kann er auch herausfinden, wie die EU eigentlich funktioniert.
Herr Sonneborn geht nach Brüssel – Untertitel Abenteuer im Europaparlament – erschien 2019 bei Kiepenheuer & Witsch. Das Buch ist satirisch-autobiografisch verfasst und berichtet chronologisch auf 432 Seiten von ausgewählten Ereignissen der ersten fünf Jahre von Sonneborns Zeit als MdEP.
Sonneborns Buch ist streitbar, wie auch Sonneborn selber streitbar ist. In einer Zeit, in der gerade die politische Rechte wieder fahnenschwenkend ins Rechtsextreme marschiert, darf man sicherlich die Frage diskutieren, ob eine Satirepartei der Europäischen Union zuträglich ist. Sonneborn gibt gerade zu Beginn seiner Amtszeit allen Grund für Kritik. Sein Abstimmungsverhalten – als Kritik an den Abstimmungsmarathons im EU-Parlament gedacht – ist diskutabel. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Amt – ursprünglich sollte der PARTEI-MdEP jeweils monatlich zurücktreten, um möglichst viele in den Genuss der Parlamentariervorzüge zu bringen – ebenso. Sein scheinbar lässiges Verhalten gegenüber den ultrarechten Vertretern auf den Nachbarplätzen – Udo Voigt, der NPD-Mann, dient als Running Gag – im Zeitgeist problematisch.
Trotzdem hat Herr Sonneborn geht nach Brüssel auch eine andere Seite. Es zeigt einerseits eine Entwicklung, denn Sonneborn wächst auf seine Weise durchaus in die Verantwortung seines Amtes. Stehen wichtige und vor allem enge Abstimmungen an, weicht er von seinem Abstimmungsverhalten ab. Daneben verteidigt er sich erfolgreich gegen die Bundestagsverwaltung, als die PARTEI den Irrsinn der deutschen Parteienfinanzierung, der eigentlich nur den großen bestehenden Parteien nutzt, an seine Grenzen führt. Sonneborn auf plumpe Satire zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht.
Herr Sonneborn geht nach Brüssel liefert tiefe Einblicke in den Parlamentsbetrieb auf EU-Ebene. An vielen Stellen ist das frustrierend, nicht nur weil dieser erwartbar bürokratisch ist. An vielen Stellen fand ich Sonneborn frustrierend, vor allem weil sein Humor – wider jeder Kritik, von der es genug gab – zahlreiche rassistische Elemente nutzt und er vielen Dingen, die nicht in der ersten Reihe stattfinden, mit einer Gleichgültigkeit begegnet, die schon an Realitätsferne grenzt. Trotzdem ist das Buch lehrreich. Es offenbart eine Sicht in den EU-Betrieb, die es in der konzentrierten Form in unterhaltsam bislang wohl noch nicht gab. Und auf eine sehr merkwürdige Weise trägt es auch eine tiefe Verbundenheit zum ursprünglichen Friedensprojekt EU in sich. Sonneborn macht keinen Hehl daraus, dass er die EU auf dem falschen Weg sieht, trotzdem aber daran glaubt, dass es einen besseren Weg für sie gäbe und der zu wichtig ist, um die EU selber auflösen zu wollen. Insofern ist Herr Sonneborn geht nach Brüssel auch ein Plädoyer für die EU.
Schlussendlich würde ich das Buch ohne Einschränkung empfehlen – wenn da nicht diese ständigen Rassismen wären. Die stoßen mir leider in 2019 nun doch zu sehr auf, als dass ich sie unter einem Deckmantel der Satire noch dulden würde. Weil das Buch aber wirklich lehrreich ist, bleibe ich bei einer recht hohen Bewertung. Es ist kompliziert.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
Archiv
- Dezember 2020 (5)
- November 2020 (1)
- Oktober 2020 (5)
- September 2020 (3)
- August 2020 (7)
- Juli 2020 (3)
- Mai 2020 (1)
- April 2020 (3)
- März 2020 (8)
- Februar 2020 (15)
- Januar 2020 (9)
- Dezember 2019 (2)
- November 2019 (19)
- Oktober 2019 (21)
- September 2019 (23)
- August 2019 (6)
- Juli 2019 (6)
- Juni 2019 (5)
- Mai 2019 (15)
- April 2019 (15)
- März 2019 (9)
- Februar 2019 (5)
- Januar 2019 (2)
- Februar 2018 (1)