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Weit gegangen (von Dave Eggers)

25. September 2020 0 comments Article Lesestoff, Roman, Tatsache
Titel: Weit gegangen
Autor: Dave Eggers
Verlag: KiWi
Erschienen: 2008
Seiten: 768
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Dave Eggers begleitet Valentino Achak Deng auf seiner Flucht aus dem bürgerkriegsgeplagten Südsudan. 2008 in Deutschland erschienen, hat das Buch thematisch bis heute leider nicht an Aktualität verloren.

Quelle: KiWi

Mit sieben Jahren wird das Dorf Valentino Achak Dengs im sudanesischen Bürgerkrieg vernichtet und eine lange Fluchtgeschichte beginnt. Vom Sudan gelangt er über Äthiopien und Kenia schließlich in die USA. Auf dem Weg dorthin erlebt er schon als Kind mehr Grauen und Tod, als ein Mensch in seinem ganzen Leben erleben sollte. Dies ist seine Geschichte.

Weit gegangen wird als Roman, der allerdings auf dem Tatsachenbericht Achaks aufgebaut wurde, angekündigt. Eggers erzählt die Fluchtgeschichte Achaks aus dessen Perspektive und spart dabei nicht mit Details. So wird das Buch ziemlich dick – und das machte mir den Einstieg auch nicht gerade leicht. Ich habe etwa 100 Seiten gebraucht, bis ich endlich angekommen war. Bis man sich auf das Buch eingelassen hat, kann es recht langatmig wirken. Wenn es dann aber soweit ist, fesselt es umso mehr.

Achaks Geschichte ist in großen Teilen die zahlreicher sudanesischer Kinder. Sie beginnt im damals noch nicht unabhängigen Südsudan der 90er Jahre. Der Bürgerkrieg spitzt sich zu, sowohl die Regierungstruppen als auch die konkurrierenden Rebellengruppen der SPLA terrorisieren systematisch Dörfer. Als es Marial Bai, das Heimatdorf Achaks trifft, flieht er und schließt sich einer Gruppe anderer Jungen an, die den langen Weg nach Äthiopien aufgenommen haben. Immer getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben müssen die Jungen jedoch bald feststellen, dass niemand mit diesem besseren Leben auf sie wartet. Nicht in den Geflüchtetenlagern Äthiopiens und nicht in denen Kenias.

Die Rahmenhandlung für Weit gegangen liefert die Gegenwart der frühen 2000er in den USA, wo Achak in seiner Wohnung überfallen wird. Diese spielt eine untergeordnete Rolle, die überwiegende Handlung findet in der Vergangenheit statt. Eggers nutzt Personen in der Rahmenhandlung als imaginäre Gesprächspartner für Achak, denen er seine Geschichte in seiner Vorstellung erzählt. Sie wechseln mit der Rahmenhandlung. Zunächst richtet er sich an die Einbrecher, dann an einen Pfleger im Krankenhaus. später an Fitnessstudiobesucher. Die Gespräche sind immer imaginär, Achak erzählt den Personen nur in seinem Kopf seine Geschichte.

Weit gegangen reiht sich ein in die Bücher Eggers‘, mit denen er den Umgang insbesondere des Westens mit Krisenregionen kritisiert. Seine Kritik ist dabei umfassend, sie richtet sich an Staaten wie an NGOs. Und leider ist sie heute so aktuell wie 2008, als das Buch hierzulande erschien. Achak schildert eindrucksvoll ein Leben als Geflüchtete:r, die ständige Gefahr, die Entbehrungen, Hunger, Krankheit und was all das mit den Menschen macht. Gerade mit Blick auf die Grenz- und Asylpolitik der EU ist das Buch wieder hochpolitisch. Es gibt Gründe für das, was in Lagern wie Moria passiert – und die liegen nicht bei den Geflüchteten. Weit gegangen kann dort einen Einblick geben, der vielen Menschen im Westen in seiner Totalität wohl nicht klar ist. Wie tiefgreifend anders das Leben auf der Flucht ist, welche Selbstverständlichkeiten des Lebens dabei wegfallen, wie elementar die Verzweiflung auch in den Lagern ist. Und schließlich auch wie schwer das Ankommen in einem neuen Leben sein kann.

Im Zuge der Veröffentlichung von Weit gegangen wurde 2006 die Valentino Achak Deng Foundation gegründet, der von Beginn an sämtliche Erlöse aus dem Buch zukommen. Die Stiftung setzt sich insbesondere für den Zugang zu Bildung für Kinder im Südsudan ein, aber auch für wirtschaftliche Unabhängigkeit in verarmten Communities.

Ins Deutsche übersetzt wurde Weit gegangen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, zu meckern hatte ich da nichts. Eine Contentwarnung darf wieder nicht fehlen: Das Buch ist in vielerlei Hinsicht explizit. Seien es Folterungen, Bürgerkriegshandlungen, Gewalt im Allgemeinen oder aber auch Rassismuserfahrungen und extreme Armut. Es kann belasten und das sollte es wohl auch.

Trotzdem bleibt für Weit gegangen am Ende nur eine Empfehlung. Das Buch ist heute so wichtig wie zu seinem Erscheinen. Es bietet einen tiefen Einblick in das Leben Geflüchteter und in die damit verbundenen Geschehnisse im Süd-/Sudan, in Äthiopien und Kenia – eine Thematik, deren Hintergründe hier gerne ausgeblendet werden, um Geflüchtete nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachten zu können.

Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂

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Americanah (von Chimamanda Ngozi Adichie)

12. August 2020 0 comments Article Gegenwart, Gesellschaft, Lesestoff, Roman
Titel: Americanah
Autor: Chimamanda Ngozi Adichie
Verlag: S. Fischer
Erschienen: 2014
Seiten: 864
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Eine große Liebe als Rahmen für ein geduldiges Lehrbuch über die Folgen von Alltagsrassismus und Schwarzes (Er-)Leben. Weniger Unterhaltungsroman, mehr politisches Epos. Wer die eigenen internalisierten Rassismen kennenlernen will, ist bei Americanah richtig.

Quelle: FISCHER

Ifemelu und Obinze wachsen im Nigeria der 1990er Jahre auf. In der Schulzeit werden sie ein Paar. Wie eine ganze von Perspektivlosigkeit getriebene Generation fassen sie in ihrer Studienzeit den Entschluss, Nigeria zu verlassen. Ihr Ziel: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ifemelu bekommt einen Studienplatz, Obinze nicht. Der Plan, dass er nachkommt, scheitert und so verlieren sie sich, ohne sich aber je loslassen zu können. 13 Jahre später kehrt Ifemelu nach Nigeria zurück. Vieles hat sich verändert, doch eine Konstante bleibt: Beide fühlen sich ohneeinander nicht vollständig.

Americanah entstammt der international preisgekrönten Feder der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Der Roman erschien 2014 in der deutschen Übersetzung bei S. Fischer. Er umfasst in der Paperbackfassung von 2016 864 Seiten, die sich in sieben Teile mit insgesamt 55 Kapiteln gliedern.

Ich schicke gleich einen Hinweis vorweg: Americanah ist nur sehr sekundär klassische Unterhaltungsliteratur. Der Roman hat einen Auftrag. Er eröffnet einen tiefen Einblick in Schwarzes Leben – in Nigeria und als nicht-amerikanische Schwarze in Amerika, dazu ein bisschen England. Das ganze aus unterschiedlichen Perspektiven, einerseits das Auslandsstudium, andererseits Flucht aus Perspektivlosigkeit.
Warum ich meine, das vorweg schicken zu müssen? Man sollte, insbesondere als Weiße*r, mit der richtigen Erwartungshaltung an das Buch gehen. Denn es kann tatsächlich sehr viel geben. Adichie eröffnet insbesondere uns einen Einblick in eine Erlebniswelt, die wir nur nachzufühlen versuchen können. Und das müssen wir, wollen wir unseren internalisierten Rassismus jemals verstehen und überwinden. Langer Rede kurzer Sinn: Wer mit der Erwartung eines romantischen Unterhaltungsromans an Americanah geht, wird bald enttäuscht und sich in die Reihe der Rezensionen einreihen, die das Buch für zu dick, langatming bis langweilig, konstruiert, plakativ, mit einer verhältnismäßig dünnen Story ausgestattet etc. halten. Seid euch darüber im Klaren, was euch erwartet, öffnet euch für die Erfahrung, es lohnt sich.

Die Gegenwart der Handlung beginnt irgendwo zu Anfang der 2010er Jahre, kurz bevor Ifemelu die USA verlässt und zurück nach Nigeria geht. An diesem Zeitpunkt verharrt sie auch über den größten Teil des Buches. Während Ifemelu in einem Friseursalon für Schwarzes Haar sitzt, wird in langen Retrospektiven ihr Weg bis zu diesem Punkt ihres Lebens erzählt. Er beginnt in den 1990ern in Nigeria, mitten in der Zeit der Militärdiktaturen, in Ifemelus und Obinzes Schulzeit. Der wiederum ist in der Gegenwart im nun wieder demokratisierten Nigeria mit Immobilien reich geworden, nicht besonders glücklich verheiratet und Vater einer Tochter. Das Buch springt, bis die Retrospektiven in der Gegenwart ankommen, insgesamt recht selten und dann nur kurz in sie vor, so dass man leicht vergessen kann, dass es sich um Retrospektiven handelt.

Heraus sticht von Beginn an, dass Adachie einen starken Fokus darauf legt, ihren Lesenden die alltägliche Erlebniswelt Schwarzer Menschen in unterschiedlichen Facetten näher zu bringen. Dabei fällt schnell auf, dass die sehr viel komplizierter ist, als man sich das als Weiße*r allgemein vorstellt. Es geht beispielsweise um klassischen Anti-Schwarzen-Rassismus und Colorism (also unterschiedliche Rassismuserfahrungen Schwarzer in Abhängigkeit von der Dunkelheit der Haut) und Schwarze Identität oder um vermeintliche Banalitäten wie Haar- und Hautpflege. Ich hatte das Gefühl, dass Ifemelu häufig, auch wenn sie betroffen ist, eine Perspektive als Beobachterin einnimmt. Ab ihrer Ankunft in den USA bröckelt ihre Identität, sie kann sich nur schwer innerhalb der Gesellschaft verorten. Am deutlichsten wird das daran, dass sie erst in den USA feststellen muss, dass sie Schwarz ist; vorher gab es das Konstrukt in ihrem Leben schlicht nicht. Allerdings muss sie dabei auch feststellen, dass sie anders Schwarz ist als die US-amerikanischen Schwarzen. Später beginnt sie zu bloggen, quasi eine Einführung in US-amerikanischen Rassismus für nicht-amerikanische Schwarze. Die Blogbeiträge macht Adachie zum Teil des Buches und nutzt sie, um etwas expliziter in einzelne Aspekte der Thematik einzuführen. Vieles davon findet sich auch im Diskurs um Schwarzes Leben in Deutschland.

Sprachlich kann Americanah problematisch wirken. Beispielsweise ist die Übersetzung aus dem Englischen in Begrifflichkeiten sehr direkt. So wird das englische race als Rasse übersetzt, was hier durchaus nicht unumstritten ist, weil Rasse im Deutschen ganz anders beladen ist. Auch das N-Wort wird häufig genutzt, was aber nicht dazu einladen sollte, es zu reproduzieren.

Adichies Schreibstil ist sehr angenehm. Mir fiel es überhaupt nicht schwer, mich insbesondere in Ifemelu hinein zu fühlen und das, obwohl sie nicht selten völlig irrational bis selbstzerstörerisch zu handeln scheint. Adichie nimmt sich viel Zeit und Raum, alltägliche Rassismen zu erklären, auch was sie anrichten. Das verpackt sie häufig geschickt in die jeweilige Szene, so dass es nicht wie eine Fußnote oder ein Infoblock daher kommt. So finden sich solche Szenen beispielsweise häufig in Gesprächen mit Ifemelus jeweiligem Partner.

Americanah ist, wie schon anfangs ausgebreitet, ein politischer Roman. Wahrscheinlich ist Literatur von Schwarzen Schriftsteller*innen über Schwarzes Leben immer politisch, weil sie in einer weitgehend weiß-dominierten Literaturlandschaft zwangsläufig eine Erfahrungswelt behandelt, die in weißen Gesellschaften sehr konsequent ausgeblendet wird (Stichwort: Buntstifte in sog. Hautfarbe, Stichwort: Pflegeprodukte und Kosmetika für Schwarze Haut, Stichwort: Schwarzes Haar etcpp.). Wahrscheinlich ist es hilfreich, wenn man sich mit dieser Erlebniswelt vorher schon mal ein wenig beschäftigt hat. Wahrscheinlich ist es weniger hilfreich, dass ich immer noch an meinen Rezensionen über die in dieser Hinsicht hervorragenden Werke von Alice Hasters und Noah Sow kaue. Das Thema ist extrem breit gefächert und durch seine gesellschaftlich weitgehend ignorierte Allgegenwart hochkomplex. Und auch wenn Adichie sich bemüht, vieles zu erklären, das schafft ein Roman einfach nicht umfassend genug. Gerade die vermeintlichen Kleinigkeiten des Alltags erkennt man als Nicht-Betroffene*r deutlich besser, wenn man sich in den Diskurs bereits in eingänglicher Sachbuchform eingeführt hat. Trotzdem ist Americanah im Vergleich auch für thematische Einsteiger*innen sehr gut geeignet.

Zusammenfassend möchte ich also sagen, lest Americanah (und generell mehr Bücher von Schwarzen über Schwarzes Leben). Aber, insbesondere wenn ihr weiß seid, schaltet die anerzogenen Abwehrreflexe ab und nehmt euch Zeit. Auch um das Eine oder Andere weitergehend zu recherchieren. Ich kann’s nicht oft genug sagen, Americanah ist nur sehr sekundär ein Unterhaltungsroman.

[yasr_overall_rating size=“medium“ postid=“3732″]

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Altes Land (von Dörte Hansen)

3. August 2020 0 comments Article Gesellschaft, Lesestoff, Roman
Titel: Altes Land
Autor: Dörte Hansen
Verlag: Penguin
Erschienen: 2017
Seiten: 303
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Ein Bauernhaus, Heimatvertriebene, Flucht und Ankommen. Eine Geschichte über ein Familienschicksal im Laufe fast eines Jahrhunderts. Tiefgängig, einfühlsam, nordisch trocken und mit zu wenig Platz.

Quelle: Random House

Ende des Zweiten Weltkriegs wird die gutbürgerliche Hildegard von Kahmen wie so viele aus ihrer Heimat in im damaligen Ostpreußen vertrieben. Gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter Vera flüchtet sie in den Westen und landet schließlich in einem Dorf in der Elbmarsch, dem Alten Land. Die Freude über die Neuankömmlinge ist sehr begrenzt, sie kommen schließlich in einem Zimmer auf dem Hof von Ida Eckhoff unter. Das Landleben ist hart und hinterlässt seine Spuren.
Jahrzehnte später steht Hildegards Enkelin Anne vor den Trümmern ihres Lebens. Der Freund und Vater ihres Kindes Leon liebt eine andere, das hippe Leben in Hamburg-Ottensen macht sie fertig, ihre Arbeit ist eine einzige Enttäuschung. Sie flüchtet – ausgerechnet an die Tür des Hofes im Alten Land, vor dem auch ihre Großmutter und Tante einst standen.

Altes Land, der Debütroman von Dörte Hansen, erschien 2017 bei Knaus, einem Imprint von Random House. Der Roman umfasst 303 Seiten, die sich in 26 Kapitel gliedern.

Ein altes Bauernhaus im Alten Land ist das Zentrum des Romans. Viel hat es erlebt, jetzt – in der Gegenwart – ist es abgelebt. Vera wurde es nie richtig zur Heimat, trotzdem gehört es unzweifelhaft zu ihr. Genauso ist es mit dem Dorf, in dem sie, das »Polackenkind« aufwuchs. Zwischen Kirsch- und Apfelbäumen, Pferden und kauzigen Bauern. Ihre ganze Welt und doch ist sie nie richtig mit ihr verschmolzen.

Ähnlich geht es Anne in ihrer ganz anderen Welt. Profimusikerin sollte sie werden, so hatte es ihre Mutter Marlene, Veras Schwester, für sie vorgesehen. Doch dann kam ihr Bruder und war talentierter, Anne war abgeschrieben. Sie machte eine Tischlerlehre, bekam ihren Sohn von Christoph, einem Schriftsteller, und ging als musikalische Früherzieherin für die Kinder der Powereltern nach Hamburg-Ottensen. Auch sie kam dort nie an, wurde nie glücklich. Als all das zusammenbricht, findet sie in Vera und ihrem abgewirtschafteten Hof schließlich eine neue Perspektive.

Altes Land ist ein Zusammenschnitt von Lebenslinien unterschiedlichster Art. Zentral sind die von Vera und Anne, doch es sind bei Weitem nicht die einzigen. Da ist Hildegard, mit der alles begann. Da ist Marlene, Veras Stiefschwester, die in völlig anderen Verhältnissen aufwuchs. Oder Hinni Lührs, Veras Nachbar, der zwar drei Kinder in die Welt setzte, am Ende aber doch ohne einen Erben für seinen Hof dasteht. Oder Burkhard Weißwerth, die Karikatur eines Journalisten, der aus seinem hippen Großstadtleben aufs Land zieht, um sich selbst zu verwirklichen und über »das echte Leben« zu schreiben. Oder Dirk vom Felde und seine Frau Britta, die dem klassisch-romantisierten Bauerntum den Rücken gekehrt und sich der industrialisierten Landwirtschaft zugewandt haben. Oder Tischlermeister Carsten Drewe, bei dem Anne einst lernte und der mit dem Wandel seines Berufszweigs zu Plastikfenstern und Pressspahnmöbeln nichts anfangen kann. Das Problem lässt sich erahnen, das sind ganz schön viele Zeitlinien für 303 Seiten.

Und tatsächlich, viele Figuren scheinen nur angekratzt, ein paar wenige sogar überflüssig. Burkhards Handlungsstrang beispielsweise fand ich wenig relevant. Über das Verhältnis von Vera und Hinni hätte ich dagegen gerne mehr erfahren. Trotzdem, der Roman ist unterhaltsam und er lebt, genau wie später Mittagsstunde, vor allem von der Art, wie Dörte Hansen erzählt. Denn im Spiel mit einfachen Bildern und Gefühlen ist sie eine wirklich Gute. Trotz der vielen Stellen, an denen die Geschichten unvollständig wirken, fällt es absolut nicht schwer, sich in die Figuren und ihre Lebenswelt zu versetzen. Und trotz all der Bilder und Gefühle wird Altes Land nicht melancholisch oder anklagend, Hansen schafft auf ihre nordisch-trockene Art da einen spannenden Spagat.

Wo wir bei der Sprache sind, muss ich aber auch wieder ein Wort der Kritik loslassen. Es geht, man kann es sich schon denken, um diskriminierende Sprache. Die gibt es mehrfach und an den meisten Stellen hat sie ihre Berechtigung für die Geschichte. Das »Polackenkind« ist da wohl der klarste Fall. Das kritisiere ich nicht, das braucht der Roman und es ist auch so eingesetzt, dass es nicht nach Billigung klingt. Allerdings taucht, wie später in Mittagsstunde, wieder das B-Wort auf – wieder in einem Kontext, in dem es nicht nötig wäre. In Mittagsstunde war es der »Küchenb***o«, in Altes Land ist es der »Bauern-B***o«, jeweils als Selbstbezeichnung. Aus irgendeinem Grund scheint Hansen an diesem Unwort einen Narren gefressen zu haben, anders kann ich mir nicht erklären, dass es in beiden Büchern unbedingt je einmal auftauchen muss. Ich erwähne das so ausführlich, weil es mich aufregt, dass bei mir von einem im Prinzip guten Buch vor Allem dieses Wort hängenbleibt. Das muss doch wirklich nicht sein.

Ansonsten hat Altes Land eindeutig zu wenig Seiten. Hansen schafft es zwar, vielen Figuren auch auf diesen verhältnismäßig wenigen Seiten erstaunlich viel Tiefe zu verleihen, andere kommen aber zu kurz. Da wäre mehr möglich gewesen und vieles wäre vielleicht auch nachvollziehbarer geworden. Der Roman wirkt dadurch ein bisschen unvollendet, zumal man Anfang und Ende der Handlung um Vera und Anne bereits aus dem Klappentext kennt (wo es aber nicht unbedingt so klingt, als wäre das schon das Ende).

[yasr_overall_rating null size=“medium“]

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Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.

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