Stadt der großen Träume (von Fredrik Backman)
Autor: Fredrik Backman
Erschienen: 2019
Seiten: 508

Ich starte ungewohnt. Denn die Inhaltsangabe wird zunächst der Klappentext im Wortlaut. Mein Problem ist, der ist inhaltlich extrem knapp und das Buch funktioniert wahrscheinlich unter anderem deshalb so gut. Allerdings kann ich es auf der Basis nicht rezensieren, ich werde also später gewaltig spoilern. Bitte, wenn ihr das Buch lesen wollt, überspringt die Spoiler. Stadt der großen Träume lebt erheblich davon, dass ihr mit einer gewissen Unbedarftheit dran geht.
In Björnstadt halten die Menschen zusammen. Ihre Devise ist: hart arbeiten, nicht beschweren und dem Rest der Welt zeigen, woher wir kommen. Das Leben hier war noch nie leicht, aber nun steht die Zukunft auf dem Spiel. Alle Hoffnungen liegen auf den Schultern ein paar junger Björnstädter. Noch ahnt keiner, dass sich ihre Gemeinschaft über Nacht für immer verändern wird.
So viel zum Klappentext. Man ahnt es schon, das kann alles sein. Und tatsächlich hatte ich, aus der Erfahrung mit Backmans früheren Romanen, auch etwas ganz anderes erwartet. Trotzdem, ich bin nicht enttäuscht, denn sein besonderer Stil, der mich in der Vergangenheit so sehr in seine Geschichten hineingezogen hat, der fehlt auch in Stadt der großen Träume nicht. Backman gibt sich sehr viel Mühe, ein literarisches Soziogramm von Björnstadt zu zeichnen – tatsächlich besteht fast die komplette erste Hälfte des Buches aus nichts anderem. Zusammen mit seiner Art, Figuren und Szenen zu beschreiben, zieht er seine Lesenden damit tief hinein in dieses Björnstadt. Backman baut über einen lange Zeitraum eine Idylle des Alltäglichen auf, aus Gegenwärtigem und seinen Bezügen zur Vergangenheit, ohne dabei zu verklären. Mit Ecken, Kanten und allerlei eher unschönen Kerben. Und erinnert doch beständig daran, dass er diese Idylle einreißen wird. Besonders dieser Teil der Geschichte lebt von der Angst, dass es sie zu schlimm treffen könnte, dass sie daran zerbricht.
Das macht er wirklich gut. Er hat zahlreiche Figuren, fast alle haben ihre guten und ziemlich schlechten Seiten, und er zieht uns so beiläufig und tief in deren Leben, dass es schwer fällt, einzelne Figuren als böse zu akzeptieren, wenn sie tatsächlich fraglos böse handeln. Stadt der großen Träume demonstriert, dass Menschen fast immer zwei Seiten haben und wie der Mechanismus vom netten Täter von nebenan funktioniert – in einem ab einem gewissen Punkt ziemlich schmerzhaften Selbstexperiment.
Das alles findet letztendlich im zentralen Kontext des lokalen Eishockeyclubs statt. Björnstadt hat nicht viel, mit dem sich seine Bewohner:innen identifizieren können, so konzentriert sich aller Stolz auf den Club und aktuell besonders seine Jugendmannschaft, denn die ist im Begriff, gegen alle Wahrscheinlichkeiten nach vielen Jahren der Mittelmäßigkeit wieder einmal die beste Schwedens zu werden. Für Björnstadt bedeutet das nicht alleine sportlichen Erfolg, sondern es hängen ganz konkrete wirtschaftliche Belange an diesem Erfolg. Ganz Björnstadt fiebert mit dem Team und wer es angreift, greift jede:n Björnstädter:in persönlich an.
Ein weiteres großes Thema ist die verheerende Schädlichkeit von Korpsgeist und auch hier belässt es Backman nicht bei einer einseitig plakativen Erfahrung, die für uns viel einfacher wäre. Stattdessen findet der Korpsgeist insbesondere im Umfeld des Eishockeyteams statt, betroffen sind also zahlreiche Figuren, die man auf die eine oder andere Weise schon auch sympathisch findet. Stadt der großen Träume fordert uns immer wieder auf, uns klar zu positionieren, lässt uns gleichzeitig aber fast keine Chance dazu. Das ist schmerzhaft, sowohl wenn man es nicht schafft, als auch wenn man es dann schafft.
Wir müssen über diskriminierende Sprache und Backmans Umgang mit ihr reden. Der ist nämlich schwierig, weil sowohl Sprache als auch Handlungen durch die ambivalente Darstellung der Figuren ambivalent konnotiert werden. Will beispielsweise heißen, im Kontext des Eishockeyclubs werden zahlreiche Ismen bedient. In der Kabine, auf der Tribüne, in der Schule im Teamverband gegen Schwächere. Backman stellt das als Teil der Teamkultur dar und damit bildet er sicher nicht seltene Realität in diesem Umfeld ab. Wo eine ungesunde Mischung aus Korpsgeist und Überlegenheitsgefühl existieren, ist die Unterdrückung als schwächer definierter nicht fern. Gleichzeitig sind all diese Figuren aber auch positiv dargestellt. Am deutlichsten tritt diese Ambivalenz vielleicht bei Bobo zutage, weil er aus schwierigem Umfeld kommt, gegenüber seinen Teamkameraden unglaublich aufopferungsvoll und einfühlsam ist, insbesondere gegenüber jüngeren Außenstehenden aber übel mobbt und gewalttätig ist. Das Problem ist, Stadt der großen Träume braucht sowohl diese Sprache als auch diesen ambivalenten Umgang mit ihr. Anders funktioniert das Experiment nicht.
Womit wir bei Content-Warnungen wären. Ich teile das hier wieder in einen spoilerfreien und einen spoilernden Teil, weil auch die Content Warnungen mehr über den Inhalt verraten, als man eventuell wissen sollte. Allerdings kann Stadt der großen Träume definitiv in vielerlei Hinsicht schwer triggern, wenn man vorbelastet ist. Der Roman ist alles andere als leichte Kost. Falls ihr Themen habt, bei denen ihr vorsichtig sein müsst, guckt in den Spoiler. Falls nicht, geht das Buch ohne ihn an. Ich kann’s nicht oft genug betonen, eine gewisse Unbedarftheit braucht das Buch.
Ich erhebe gleich mal keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Liste. Bei der Masse ist mir sicherlich was durchgerutscht. Sprachlich ist ein breites Spektrum von Ismen dabei – Sexismen, Rassismen, Ableismen, dazu Schwulenfeindlichkeit. Dazu kommen Mobbing, körperliche Gewalt, sexualisierte Gewalt bis zur Vergewaltigung, Victim Blaming (auch institutionell), Cybermobbing, psychische und physische Gewalt im Elternhaus und suizidale Gedanken. Fast alles davon wird erst spät im Buch recht eindeutig verurteilt, weil fast alle Handelnden keine klar als böse dargestellten Figuren sind. Backman geht dazu häufig in der Szene in den Kopf der Handelnden, was den Eindruck einer Rechtfertigung erwecken kann. Backman positioniert sich, oft nicht unmittelbar und vor allem erst spät im Buch. Das gehört dazu. Er lässt seine Lesenden zunächst alleine mit der Einordnung.
Stadt der großen Träume ist ein Roman, der mitreißt – in jeder Hinsicht. Er spielt ein nicht immer faires Spiel mit den Lesenden und das macht er wirklich gut. Und, was vielleicht gleichzeitig am schlimmsten und am besten ist, die Geschichte endet nicht an dieser Stelle, denn mit Wir gegen euch gibt es einen zweiten Teil. Trotz der Fülle an Content-Warnungen definitiv eine Empfehlung, allein schon weil man so einiges über sich lernen kann. Denn sieht man mal davon ab, dass es wirklich sehr hart ist, ist es ein verflucht guter Roman.
Björnstadt
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über die Referrerlinks zu meinem Profil oder der Rezension im Meta-Block oben kaufst. Bedankt 🙂
Sophia, der Tod und ich (von Thees Uhlmann)
Autor: Thees Uhlmann
Erschienen: 2017
Seiten: 320

An der Tür des Erzählers klingelt es, davor steht der Tod. Die Zeit des Erzählers ist gekommen, doch etwas geht schief. An der Schwelle zum Jenseits tobt ein Kampf um die Stelle des Todes und der Erzähler steckt ungewollt plötzlich mittendrin. Gemeinsam mit seiner Ex-Freundin, mit der er nie ganz abgeschlossen hat, und dem Tod beginnt er einen Roadtrip zu seiner Mutter und seinem Sohn. Es steht viel auf dem Spiel, nicht weniger als das Jenseits der ganzen Menschheit.
Sophia, der Tod und ich ist das Romandebüt des Musikers Thees Uhlmann. Als Musiker gehört er fest zu meinem Unterhaltungsrepertoire, auf dem Wege bekam ich auch deutlich verspätet mit, dass er in Buchform schreibt. Sein zweites Buch über die Toten Hosen gab es irgendwann mal als Hörbuch bei Spotify, das hat mit stilistisch ziemlich begeistert (er ist auch ein ganz wunderbarer Vorleser für seine Texte). Da lag es nah, sich auch mal seinem Roman zu widmen. Was sich keinesfalls als Fehler erweisen sollte.
Der nicht näher benannte Erzähler – männlich, um die 40, ein Sohn, zu dem er aber nur einseitig über tägliche Postkarten Kontakt hat, Altenpfleger und ansonsten in seinem Leben relativ gescheitert, das aber wenigstens in beißendem Zynismus – wird also mit seinem unmittelbar bevorstehenden Tod konfrontiert, der einen Hauch weniger unmittelbar auf unbestimmte, aber absehbare Zeit verschoben werden muss. Von nun an fristet er sein Leben gemeinsam mit dem Tod – tot, sehr alt, stilvoll, unterhaltsam, Mutters Liebling und vom Karriereende bedroht -, denn ein kosmischer Jux besagt, dass stirbt, wer weiß, dass er der Tod ist und sich weiter als 400m von ihm entfernt … etwa. Aus dem gleichen Grund muss des Erzählers Ex-Freundin und große Liebe Sophia – ebenfalls um die 40, polnischer Abstammung, wunderschön und noch beißender zynisch – sich dem kuriosen Paar anschließen und später auch des Erzählers Mutter. Es bildet sich eine Gruppe sehr unterschiedlicher Charaktere, die aber eine meist urkomische Kombination ergeben.
Uhlmann gelingt dabei etwas recht schönes, denn Sophia, der Tod und ich hat an sich eine recht vorhersehbare Handlung, wird durch die Figuren und ihr Zusammenspiel in Wort und Tat aber zu einem ganz tollen Roman. Insbesondere die Dialoge sind teilweise herrlich absurd, egal wer gerade beteiligt ist. Dabei spielt er gefühlsmäßig auf einer breitgefächerten Klaviatur: von Trauer über Wut bis Lachen und Freude ist alles dabei und das so, dass es sich nie erzwungen anfühlt. Gute Teile sind so herrlich melancholisch, wie man Uhlmann auch musikalisch kennen kann. Das beherrscht er wirklich auf besondere Art.
Ein ganz kleines bisschen gewarnt sei trotzdem. Die Geschichte findet in einem kleinstädtisch sozialisierten Umfeld statt, das färbt naturgemäß etwas auf die Figuren ab. Es gibt zwar sehr wenig und nicht allzu harte diskriminierende Sprache, aber frei von ihr ist Sophia, der Tod und ich nicht. Meist fügt sich das in ein Zusammenspiel zwischen den Figuren ein (Sophia und ihr Vater frotzeln mit dem Erzähler über ihre polnische Herkunft, des Erzählers Mutter kokettiert regelmäßig mit ihrem Hintergrund als Hugenottin), allerdings wird insbesondere Autismus ein paar mal zweckentfremdet. Wie gesagt, es sind sehr wenige Einzelfälle, aber es gibt sie.
In diesem Sinne, mit Sophia, der Tod und ich bekommt ihr ein wunderschönes, melancholisches, witziges, trauriges, optimistisches und insgesamt sehr gelungenes Buch über das Leben, die Liebe, den Tod und überhaupt. Thees Uhlmann hat ein tolles Debüt geliefert.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über die Referrerlinks zu meinem Profil oder der Rezension im Meta-Block oben kaufst. Bedankt 🙂
Queenie (von Candice Carty-Williams)
Autor: Candice Carty-Williams
Erschienen: 2020
Seiten: 544

Queenies Leben ist eine halbe Katastrophe. In ihrer Zeitungsredaktion arbeitet sie eher halbherzig und ihre Beziehung mit Tom hängt an einem dünnen Faden, ohne dass es ihr auffällt. Als der schließlich reißt, stürzt sie ab. Es folgt ein wahlloses Sexdate nach dem anderen, allen gemein, dass Queenie ausgenutzt wird. Am tiefsten Punkt wird sie in der Redaktion suspendiert, muss wieder bei ihren Großeltern einziehen – und reißt das Ruder rum.
Queenie ist der Debütroman der britischen Schriftstellerin Candice Carty-Williams. Das Buch erschien in der deutschen Übersetzung am 18.08.2020 im Aufbau Verlag. Es umfasst 544 Seiten, die sich in 30 Kapitel gliedern. Für mein Rezensionsexemplar darf ich mich beim Verlag und NetGalley bedanken.
»Schwarze Bridget Jones«, so wollte die Sunday Times Queenie feiern. Carty-Williams hat dem widersprochen, Queenie sei zu politisch, weil sie ist, wer sie ist, und könnte so nie eine Bridget Jones sein. Und das trifft es. Queenie ist die Geschichte eines Katastrophenjahres einer jungen Schwarzen Frau in London. Queenie ist ein politisches Statement und zwar insbesondere eines für die Schwarze Community. In einer Literaturwelt, die hauptsächlich Bücher für Weiße produziert, sollte man sich das bewusst machen. Carty-Williams beschreibt, erklärt aber wenig. Sie setzt voraus, dass ihre Leser:innen den Alltag als Schwarzer Mensch kennen oder sich mit ihm beschäftigen. Also genau das, was in all den Büchern mit weißen Protagonisten ganz selbstverständlich auch getan wird. Queenie sagt beispielsweise, dass es Rassismus gegen Weiße nicht gibt, erklärt aber nicht, warum. Weil es in der Dialogsituation nicht nötig ist, es zu erklären.
Ein großer Teil des Romans behandelt die Zeit, in der Queenies Leben immer mehr zerbricht. Da Carty-Williams die Geschichte aus der Ego-Perspektive erzählt, ist man sehr nah bei ihren Entscheidungsprozessen dabei. Das wird zunehmend schwer erträglich, als wäre man Beifahrer bei einem sehr langsam ablaufenden Unfall und könne trotzdem nicht eingreifen. Gegen Ende der Katastrophenphase wurde mir das leider für einen recht kurzen Moment zu viel, was hauptsächlich daran liegt, dass Queenie genau weiß, dass sie gerade die nächste fatale Entscheidung trifft, sie aber trotzdem trifft. Glücklicherweise wird dieses selbstzerstörerische Verhalten aber wenig später aufgeklärt, so dass es rückblickend dann doch logisch wird.
Queenie gehört, wie schon erwähnt, zum erfreulicherweise endlich zunehmender Beachtung findenden Bereich der Bücher Schwarzer Schriftsteller:innen mit Schwarzen Protagonist:innen. Das bedeutet, als weiße:r Leser:in wird man immer wieder mit Inhalten konfrontiert, die man so nicht gewohnt ist und auf die man sich einlassen sollte. Ein wiederkehrendes Thema ist beispielsweise der Identitätskonflikt. Den kennen wir zwar auch von weißen Figuren, allerdings wirkt er sich bei Schwarzen anders und oft sehr viel umfassender aus. Das führt leicht zu Effekten, wie ich sie im vorangegangenen Absatz beschrieb: »Warum macht sie nicht das und das? Warum lässt sie sich nicht helfen?« In der Folge kann man dann schnell zu dem Urteil kommen, das wäre beispielsweise konstruiert. Hier ist Offenheit angesagt. Schwarze und weiße Lebensrealitäten sind leider nicht vergleichbar, daraus ergeben sich natürlich unterschiedliche Probleme und Handlungsmuster. Extrembeispiel: Wenn ich davon ausgehen muss, die Polizei könnte mir nicht unvoreingenommen begegnen, überlege ich mir dreimal, ob ich in einer Notsituation die 110 wähle. Das ist für die meisten unter uns weißen Menschen so abwegig, dass man es leicht als konstruiert hinstellen kann. Weil Schwarze Literatur über Schwarzes Leben schon so lange – wenn überhaupt – ein Nischendasein führt, sind wir andere Handlungsfolgen gewohnt. Wir sollten es als Bereicherung begrüßen, dass diese Literatur nun langsam mehr und mehr in größere Verlage rutscht, dass wir diese Lebensrealitäten kennenlernen können. Nur so können anfangen, das Leid zu verstehen und etwas zu ändern.
Handwerklich ist Queenie toll geschrieben. Sprachlich gibt es zwar recht explizite Stellen, das passt aber hervorragend zur Figur und durch die Ego-Perspektive ist die nun mal das sprachliche Maß. Neben Queenie bleiben so gut wie alle anderen Figuren ein bisschen oberflächlich, das kann ich aber verschmerzen, das Buch dreht sich ja zweifelsohne eben um Queenie. Was mir anfangs ein wenig Probleme gemacht hat, waren die Zeitsprünge, die nicht mit Kapitelüberschriften oder ähnlichem gekennzeichnet werden. Carty-Williams springt immer mal wieder in die Vergangenheit, um Queenies gegenwärtige Probleme zu erklären. Sobald ich aber in der Handlung drin war, war auch das kein Problem mehr.
Queenie ist keine leichte Kost, in so ziemlich jeder Hinsicht. Es behandelt kritische Themen wie Rassismus, Sexismus bis hin zu Übergriffen, toxische Beziehungen, Depressionen, familiäre Gewalterfahrungen und Schwangerschaftsabbruch bzw. Fehlgeburt und es kann, verstärkt durch die Erzählweise, definitiv triggern. Und obwohl ich als weißer Mann wohl eher nicht zur primären – und wahrscheinlich auch nicht zur sekundären – Zielgruppe gehöre, hat mir das Buch sehr gut gefallen (wundert mich nicht, passiert mir oft). Es weitet den Blick in einem Feld, das uns literarisch im Mainstream bisher weitgehend vorenthalten wurde. Und weil es dabei um unsere Mitmenschen geht, kann das eigentlich nur eine gute Sache sein.
Transparenzblock: Das Buch habe ich im über NetGalley als Rezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension) sind damit, abgesehen von eben einer Rezension, nicht verbunden. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Pandatage (von James Gould-Bourn)
Autor: James Gould-Bourn
Erschienen: 2020
Seiten: 384

Seit Liz bei einem Unfall gestorben ist, ist Dannys und Wills Leben kaputt. Danny vermisst seine Frau, versinkt in einer Depression und bekommt auch finanziell immer größere Probleme. Der zwölfjährige Will geht mit der Trauer um seine Mutter drastischer um: Seit dem tragischen Tag hat er kein Wort mehr gesprochen.
Als Danny auch noch seine Arbeit als Bauhelfer verliert und sein mafiöser Vermieter Reg ihm ganz konkret ans Leder will, stürzt er sich völlig unvorbereitet in die Straßenkunst. Verkleidet als Panda verlaufen seine ersten Tanzversuche desaströs, bis er Pole-Tänzerin Krystal begegnet. Sie nimmt sich seiner an und es geht bergauf. Und nach einer Rettungsaktion beginnt sogar Will mit dem vermeintlich fremden Panda zu sprechen.
Pandatage ist der Debütroman von James Gould-Bourn. Das Buch erschien am 02.05.2020 bei Kiepenheuer & Witsch und umfasst 384 Seiten. Für mein Rezensionsexemplar darf ich mich beim Verlag und NetGalley bedanken.
Danny und Will stecken in der Trauer um ihre Frau und Mutter Liz fest. Mit zunehmender Geschwindigkeit gerät ihr Leben außer Kontrolle. Danny versucht Will zwar vor den größten Problemen zu schützen, doch das gelingt ihm immer schlechter. Als ihr Vermieter den Druck drastisch erhöht und Danny auch noch seinen Job verliert, hat er eher zufällig eine Idee. Er will sich als Straßenkünstler versuchen. Schnell ist ein verschlissenes Pandakostüm gekauft, bleibt nur noch die Frage, was er in seiner neuen Rolle nun machen soll. Er versucht sich mit dem Tanzen, muss aber schnell feststellen, dass das eher nicht zu seinen Talenten gehört. Das ändert sich, als die Pole-Tänzerin Krystal auf ihn aufmerksam wird. Danny kann sie davon überzeugen, ihn das Tanzen zu lehren. Und als Will zufällig in genau dem Park, in dem Danny tanzt, von Mitschülern angegriffen wird und der Panda ihn rettet, spricht Will erstmals wieder. Allerdings ohne zu wissen, mit wem er da wirklich spricht.
Pandatage ist ein trauriges wie witziges Buch über den Trauerprozess. James Gould-Bourn baut eine ungewöhnliche Geschichte um seine sympathischen Charaktere. Insbesondere Danny trägt mit seinem trockenen, zynischen Humor ein ums andere Mal dazu bei, dass der Roman aufgehellt wird. Auch Krystal und Dannys bester Freund Ivan treiben die Situationskomik immer wieder voran. So entsteht eine teils zwar sehr traurige Geschichte, die aber regelmäßig zum Lachen einlädt. Eine gelungene Mischung, die das Buch sehr angenehm lesbar macht.
Die Geschichte selber grenzt an vielen Stellen ans komisch Absurde, lässt ernsthafte Themen dabei aber nicht vermissen. Gould-Bourn widmet sich neben dem Trauerprozess mit Will insbesondere auch dem Thema Mobbing in der Schule. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich mit der Auflösung der Mobbinggeschichte glücklich bin – sie scheint mir etwas zu plakativ -, aber im Gesamtbild von Pandatage geht sie schon in Ordnung. Auch an anderen Stellen ist die Geschichte wohl nicht so ganz realitätsabdeckend – ich denke da beispielsweise an die reichen Straßenkünstler. Pandatage ist Fiktion, da dürfen solche Abweichungen erlaubt sein.
In jedem Fall ist James Gould-Bourn ein Mutmachbuch gelungen. Egal wie nahe seine Figuren dem Abgrund kommen, sie geben nie auf. Irgendwer behält immer die Hoffnung und richtet die anderen auf die eine oder andere Weise wieder auf. Insofern ist Pandatage auch ein sehr gefühl- und hoffnungsvolles Buch.
Gould-Bourn schreibt flüssig, die Geschichte liest sich wie von selbst. Sie ist in jeder Hinsicht liebevoll, das zu transportieren gelingt ihm wirklich schön. Obwohl keine Ego-Perspektiven zum Einsatz kommen, ist man beim Lesen sehr nah an den jeweiligen Protagonisten. Gould-Bourn erzählt die Handlungsstränge von Danny und Will getrennt, obwohl eine etwas härtere Trennlinie nur zu Beginn des Romans existiert. Das gelingt ihm gut, auch später, wenn die beiden Handlungen ineinander greifen.
Pandatage ist ein Mutmachbuch. James Gould-Bourn gelingt es sehr berührend, mit Tod und Trauer und Mobbing gleich zwei etwas schwierigere Themen zu bearbeiten. Und zwar in einer Art, die mich als Leser an keinem Punkt desillusioniert zurück ließ. Ein gelungenes Romandebüt.
Transparenzblock: Das Buch habe ich im über NetGalley als Rezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension) sind damit, abgesehen von eben einer Rezension, nicht verbunden. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Die Parade (von Dave Eggers)
Autor: Dave Eggers
Erschienen: 2020
Seiten: 192

Vier und Neun kommen als Straßenbauer für einen großen Konzern in ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land. Sie sollen einen modernen Highway zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden bauen. Während Vier das Geschäft kennt und so stoisch und regelkonform wie möglich die Arbeit verrichten will, gerät er zunehmend in Konflikt mit Neun, einem Lebemann, der gegen alle Konzernregeln möglichst viele Erfahrungen mit der fremden Kultur mitnehmen möchte. Als einer der beiden plötzlich schwer erkrankt, beginnt ihr Leben dramatische Wendungen zu nehmen und über allem schwebt die Frage, ob sie den Menschen wirklich helfen.
Die Parade ist Dave Eggers‘ neuester Roman. Er erschien 2020 bei Kiepenheuer & Witsch und umfasst 192 Seiten, die sich in 23 Kapitel gliedern. Die Parade ist als Parabel angelegt. Für mein Rezensionsexemplar bedanke ich mich bei KiWi und NetGalley.
Die Parade war für mich so eine typische Zufallswiederentdeckung. Meine ersten Erfahrungen mit Dave Eggers hatte ich vor Jahren mit Der Circle gemacht, ich war rundum begeistert, hatte mir vorgenommen, insbesondere noch an seine ausgezeichneten Bücher zu gehen, das ging dann irgendwie vergessen (ihr kennt das). Dann wurde mir Die Parade zufällig auf NetGalley empfohlen und ich dachte mir, Eggers, da war doch was, bei KiWi, dann kann schon nichts schief gehen, fragste mal an. Und siehe da, alles richtig gemacht.
Was an Die Parade schnell auffällt, fast die komplette Handlung ist im Klappentext schon vorweg genommen und sie klingt, so als Spannungskurve, gar nicht so spektakulär. Tatsächlich ist die Handlung in einiger Hinsicht ziemlich minimalistisch angelegt: Fast das ganze Buch findet auf bzw. an der Straße, die die beiden Protagonisten bauen, statt. Die wenigen Figuren, die überhaupt eine nennenswerte Rolle spielen, brauchen nicht einmal richtige Namen. Die Handlung an sich ist kein Spektakel, wirklich nicht. Trotzdem, und das hat mich wirklich überrascht, kann man das Buch nicht auf die Seite legen. Eggers erzeugt eine ganz subtile Spannung, die sich aber eben nicht auf Spektakel, sondern auf der Geschichte selbst begründet. Schwer zu erklären, ich verstehe das selbst nicht so genau, aber es ist faszinierend.
Obwohl auch Eggers‘ Charaktersetting minimalistisch daher kommt, könnten seine Protagonisten nicht unterschiedlicher sein. Eggers‘ Erzähler begleitet Vier, einen Straßenbauveteranen. Vier kennt nur seinen Auftrag und die Konzernregeln, die jeglichen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung streng verbieten. Der Auftrag hat quasi eine Deadline, denn eine große Parade ist zur Einweihung der Straße geplant – die zudem als großes Zeichen im Friedensprozess verstanden wird. Vier ist fest entschlossen, die Deadline einzuhalten. Doch obwohl hochgradig stoisch, zwingen ihn die Umstände dazu, eine Entwicklung durch zu machen.
Ihm gegenüber steht Neun, der praktisch in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von Vier ist. Die Straße ist Neuns erster Auftrag für die Firma und er ist begierig darauf, möglichst viel von Kultur und Menschen mitzunehmen. Die Regeln sieht er eher als nett gemeinte Information, Ernst nimmt er sie nicht. Dabei missachtet er nicht nur die scheinbar vollkommen überzogenen Regeln, sondern auch die, die tatsächlich erkennbar Sinn machen.
Mit Vier und Neun treffen zwei Charaktere aufeinander, die nur in einem großen Knall kollidieren können. Doch die Umstände zwingen sie, neue Seiten an sich zu entdecken.
Das alles findet in einem Aufbauhilfeszenario statt, das immer wieder über die großen Fragen nachzudenken anregt. Wie hilfreich sind die vermeintlich gut gemeinten Eingriffe des Westens in sog. Entwicklungsländern? Wie viel Selbstlosigkeit steckt dahinter und wer profitiert eigentlich wirklich? Und wie geht man damit um, wenn gut gemeinte Hilfe plötzlich den Weg in die Katastrophe bahnt? Dave Eggers beantwortet diese Fragen nicht wirklich, aber er regt eindrücklich dazu an, genauer hinzusehen. Aufbau- und Entwicklungshilfe hat ihre Schattenseiten mit teils drastischen Konsequenzen. Die werden oft überspielt.
Die Parade hat mich in einiger Hinsicht beeindruckt. Insbesondere durch die ganz spezielle Art der Spannung, die Eggers aus einem scheinbar wenig ergiebigen und im Klappentext schon fast auserzählten Plot generiert. Aber auch durch die Art, wie er ganz subtil zum Nachdenken anregt. Ein wohl immer aktuelles Buch und literarisch ein echtes Schmuckstück.
Transparenzblock: Das Buch habe ich im über NetGalley als Rezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension) sind damit, abgesehen von eben einer Rezension, nicht verbunden. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
Archiv
- Februar 2021 (1)
- Januar 2021 (1)
- Dezember 2020 (5)
- November 2020 (1)
- Oktober 2020 (5)
- September 2020 (3)
- August 2020 (7)
- Juli 2020 (3)
- Mai 2020 (1)
- April 2020 (3)
- März 2020 (8)
- Februar 2020 (15)
- Januar 2020 (9)
- Dezember 2019 (2)
- November 2019 (19)
- Oktober 2019 (21)
- September 2019 (23)
- August 2019 (6)
- Juli 2019 (6)
- Juni 2019 (5)
- Mai 2019 (15)
- April 2019 (15)
- März 2019 (9)
- Februar 2019 (5)
- Januar 2019 (2)
- Februar 2018 (1)