Die Diplomatin (von Lucas Fassnacht)
Autor: Lucas Fassnacht
Erschienen: 2019
Seiten: 688

Ein Hashtag lässt die brodelnde Welt eskalieren: #killtherich. Von Brasilien aus breitet sich eine Welle von Massenprotesten aus, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Regierungen werden gestürzt, immer mehr Videos von gewaltsamen Übergriffen seitens Staatsmächten heizen die Stimmung an. Ein junger Chauffeur wird in Brasilien plötzlich zum Hoffnungsträger.
Conrada van Pauli arbeitet in leitender Position beim EAD, dem diplomatischen Dienst der EU. Als Expertin für Verhandlungen versucht sie, die zusammenbrechenden Staaten auf einen Kurs zu bringen, der Bürgerkriege verhindern könnte. Doch sie hat mächtige Gegner … nicht nur in den Regierungen, auch die Wirtschaft zieht hinter den Kulissen ganz eigene Fäden.
Die Diplomatin – ursprünglich erschienen als #killtherich – ist der Debütthriller von Lucas Fassnacht und um das gleich mal vorweg zu nehmen, weil ich nachher einiges kritisieren werde, als rein fiktionaler Thriller ist das Buch wirklich ziemlich super. Fassnacht strickt, ausgehend vom rechtsdriftenden Zustand der Welt und dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen arm und reich, ein dystopisches Szenario eskalierender globaler Unruhen. Dabei lässt er zahlreiche oft kurze Handlungsstränge aufeinander zu laufen, um die unterschiedlichen Reaktionen der Staaten sichtbar zu machen. Im Verlauf des Buches rücken so immer wieder neue Figuren unterschiedlich lange ins Zentrum des Geschehens. Eine beständige Rolle nehmen dabei Conrada van Pauli und der indische Journalist Bimal Kapoor ein – sie für den Handlungsstrang der Unruhen, er für den der Wirtschaftsverschwörung. Die beiden sind wohl auch die Figuren, denen Fassnacht die meiste Tiefe verleiht. Über Rückblenden auf ihre Vorgeschichten versucht Fassnacht das für weitere Figuren aufzufangen, stellenweise gelingt ihm das auch recht gut.
Gut gefallen hat mir auch die organisatorische Einbettung in die Realität. Fassnacht übernimmt nicht nur zahlreiche, allgemein wahrscheinlich weniger bekannte multinationale Organisationen und Teile ihrer nachgeordneten Strukturen. Das betrifft insbesondere außenpolitische und nachrichtendienstliche Strukturen der EU, die UN und die UNASUR. Dazu kommen zentrale Figuren aus der Realität – neben Regierungschefs vor allem Federica Mogherini, die frühere Hohe Vertretern der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die insofern eine Sonderrolle einnimmt, dass sie innerhalb der fiktiven Handlung eine aktive Rolle inne hat. Die organisatorische passt sich dabei ganz gut in die inhaltliche Komplexität ein. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich bei Die Diplomatin um ein Debüt handelt, ist die doch unerwartet umfangreich.
Ich komme zur Kritik. Zunächst etwas konzeptionelles, das ich unter Geschmackssache ablege. Die Diplomatin ist Gegenwartsliteratur und beschäftigt sich entsprechend mit in hohem Maße aktuellen Problemen. Damit meine ich nicht weltweite Protestwellen mit tatsächlichem Gefahrenpotential für die Systeme, sondern die wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen Missstände dahinter. Die Ausgangslage für Fassnachts Szenario ist die Realität. Das mag ich an kritischer Gegenwartsliteratur prinzipiell sehr, weil es die Möglichkeit bietet, auch mal unkonventionelle Lösungsansätze durchzuspielen. Fassnacht macht das beispielsweise mit José Colasanti und leider nur im Ansatz über die Konzepte von ihm, Conrada und Prof. Auenrieder. Darauf könnte man stärker aufbauen, das passiert aber nicht. Schade.
Stattdessen konzentriert sich Die Diplomatin darauf, ein turbulentes aber leider in seiner Komplexität ziemlich unwahrscheinliches Szenario aufzubauen. Eine weltweite Protestbewegung, die reihenweise Regierungen stürzen kann und zahlreiche Bürgerkriege entfesselt alleine ist schon recht unwahrscheinlich. Dass zeitgleich auch noch Beweise für eine globale Verschwörung universellen Ausmaßes – einen globalen Deep State quasi – auftauchen, mit denen man die komplette Verschwörung und ihre Beteiligten enttarnen könnte, finde ich schade, weil es mir die Lösungsansätze zu sehr ins Fiktionale verlegt. Damit wir uns nicht falsch verstehen, das macht das Buch nicht schlechter, es macht es nur fiktionaler, wo es Potenzial hätte, die Realität zu diskutieren.
Ein anderer Punkt geht einher mit Content Warnungen: Die Diplomatin enthält inzestuös-/sexualisierte Szenen, Folterszenen, Polizeigewalt und – sehr plastisch – rassistische Gewalt. Im Zusammenhang mit Letzterer fallen auch einige rassistische Wörter, u.a. das N-Wort. Dies findet immer in negativ konnotiertem Kontext statt, insofern ist wenigstens die Verurteilung implizit. Dazu kommt Sexismus ggü. Frauen und der wird, jedenfalls im Gesamtbild, nicht immer von negativ konnotierten Figuren praktiziert. Darauf sollte man leider gefasst sein.
Zusammengefasst empfand ich Die Diplomatin als ziemlich gelungenes Debüt, wenn man mit einem rein fiktionalen Anspruch an das Buch geht – es ist Fiktion, also sollte man das wohl. Der Thriller ist komplex und im Ansatz ganz gut in die Realität eingebunden, thematisch ist er hochaktuell. Mich hat er jedenfalls neugierig auf mehr gemacht.
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Der Präsident (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2017
Seiten: 479

Der neugewählte US-Präsident ist ein narzisstischer Demagoge. Während die Welt den Atem anhält, bekommt kaum jemand die dramatischen Szenen mit, die sich schon kurz nach seiner Amtseinführung im Lageraum des Weißen Hauses abspielen. Mitten in der Nacht befiehlt der Präsident den atomaren Erstschlag – wegen einer Nichtigkeit. Das Geschehene setzt eine Reihe von Reaktionen in Gang, denn irgendwie muss diese Regierung gebremst werden.
Kurz darauf nimmt sich der Leibarzt des Weißen Hauses scheinbar das Leben. Maggie Costello, im Büro des Rechtsberaters des Weißen Hauses geblieben, um die Folgen der Präsidentschaft von innen heraus abzumildern, wird auf den Fall angesetzt. Denn der wirft Fragen auf. Gibt es ein Komplott mit dem Ziel, den Präsidenten zu töten?
Band 3 der Reihe um Maggie Costello ist wahrscheinlich einer der bis dato besten, weil er das richtige Thema zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Weise behandelt. In Der Präsident widmet sich Sam Bourne schon 2017 der noch jungen Präsidentschaft Donald Trumps (dessen Schattenriss auch das Cover ziert) und, was das Buch sehr viel interessanter macht, seinem ursprünglichen Chefberater Steve Bannon. Spannend und besonders dabei ist, dass er seinen Bannon – er heißt Crawford McNamara – frei von der Leber reden lässt. Der Fokus des Buches liegt nicht auf dem namenlosen Präsidenten, er liegt auf dem Chefberater. Und den hat Bourne, auch wenn ihn das extremst unsympathisch und stellenweise auch heute noch nur schwer aushaltbar macht, furchtbar gut umgesetzt. Ich las das Buch jetzt nach 2017 zum zweiten Mal und ich erinnere mich noch, dass ich es damals wirklich schwer ausgehalten hatte. Heute ist es zwar immer noch krass, aber die zeitliche Distanz hilft durchaus.
Der größte Teil des Buches arbeitet auf das Attentat gegen den Präsidenten hin. Bourne gliedert den Teil in mehrere Handlungsstränge, die parallel aufeinander zu laufen und sich im Attentat treffen. Die Stränge sind insgesamt in sich weitgehend schlüssig, einzig der Punkt, dass Maggie wirklich sehr lange nicht auf die Idee kommt, der Leibarzt könnte von der Regierung selber ermordet worden sein, um eine Amtsenthebung aus medizinischen Gründen zu verhindern, ließ mich ein wenig zweifeln. Auf die Idee hätte sie angesichts des Gesamtbildes eigentlich viel schneller kommen müssen. Der Handlung tut das insgesamt nicht allzu weh, die Figur Maggie leidet aber schon ein wenig unter den Folgen des Irrtums.
Charakterlich hervorheben muss ich definitiv Crawford »Mac« McNamara, der ist wirklich herausragend gelungen; auf eine extrem unsympathische Weise. Sein Vorbild in der realen Welt tingelt zwar nun hauptsächlich noch durch Dokumentationen (was schlimm genug ist), aber wie die Präsidentschaft begann, hat man ja auch nicht vergessen. Mac passt in seiner grenzeinreißenden und absolut skrupellosen, trotzdem strategisch aber sehr intelligenten Art genau auf das, was man von Bannon erlebt hat. Insgesamt kann man sich ohne große Probleme vorstellen, dass der Ausgangspunkt des Buches genau so passiert sein könnte. Danach nahm die Realität zwar einen anderen Lauf, allerdings liegen Attentatsüberlegungen möglicherweise auch im Rahmen des Möglichen.
Hier startet Bourne wohl die große Frage, um die sich Der Präsident dreht: Wann kommt eine Demokratie an den Punkt, an dem ein Mord gerechtfertigt ist, um die Demokratie zu retten? Ein beliebtes Argument ist, dass die Herrschaft des Volkes sich auch entmachten darf. Das klingt erst mal logisch, lässt aber außer acht, dass es eben nicht die vielzitierte Mehrheit sein muss, die Faschisten an die Macht bringt. Trump beispielsweise wurde nur nach Wahlleuten mehrheitlich gewählt und das liegt neben dem System auch daran, dass die Parteien die Wahlkreise in den von ihnen regierten Bundesstaaten regelmäßig zu zurechtwürfeln, dass ihre Siegchancen möglichst optimal sind (siehe Gerrymandering). Wenn man den Fall auf Deutschland überträgt, wäre es in unserem Parlamentarismus recht unwahrscheinlich, dass eine faschistische Partei alleine über die 50% kommt. Sie bräuchte also einen Partner, aktuell wohl die FDP oder die Union. Jetzt rechnen Unions- oder selbst FDP-Wähler aber sicher nicht damit, dass ihre Stimme an die Faschisten gehen könnte. Also was nun tun, um den Zustand zu ändern? Die demokratischen Mittel funktionieren werden zunehmend untergraben (die Entwicklung machen die USA in den letzten vier Jahren durch) oder untergraben sich selbst, wie es die Republikaner im Senat machen, die, ob sie im Kern mit Trump konform gehen oder nicht, wie eine Wand hinter ihm stehen. Wann ist also der Punkt erreicht, an dem man sich mit gezielter Waffengewalt wehren muss – oder verbietet sich das etwa generell?
In Der Präsident diskutiert Bourne diese Frage an Maggie, die strikt an das System glaubt, und Bob Kassian und Jim Bruton, die für die radikalere Verfassungsauslegung stehen. Zu einem Ergebnis kommt er explizit nicht wirklich, implizit spricht die Handlung für sich. Allerdings ist der implizite Weg erheblich von Zufällen und Glück abhängig und tatsächlich darf man sich mit dem Wissen von vier Jahren fragen, ob Bourne die Republikaner nicht zu optimistisch eingeschätzt hat. Mag das Buch 2017 optimistisch gewesen sein, muss man 2020 feststellen, dass es gerade in seinem Optimismus doch sehr viel fiktionaler war, als Bourne sich möglicherweise gedacht hatte.
Langer Rede, kurzer Sinn, Der Präsident wurde zwar von der Realität überholt, trotzdem stellt es leider wichtige Fragen und bietet insbesondere in der Figur McNamaras ein eindrückliches Charakterportrait. Ein toller Politthriller auch innerhalb der Reihe um Maggie Costello ist das Buch so oder so.
Maggie Costello
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Das letzte Testament (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2008
Seiten: 480

Bei Plünderungen im Rahmen des Sturzes Saddam Husseins im Jahre 2003 findet ein Junge eine Tontafel. Über Umwege landet die Jahre später in den Händen des israelischen Archäologieprofessors Shimon Guttman. Der erkennt noch die Brisanz der Tafel, denn sie enthält den letzten Willen Abrahams. Doch bevor er den Fund veröffentlichen kann, wird er ermordet. Weitere Menschen, die mit der Tafel in Kontakt waren, folgen. Der Nahost-Friedensprozess, der eigentlich gerade in einer aussichtsreichen Phase war, gerät wieder einmal in Gefahr.
Um die Verhandlungen zu retten, schickt die US-Regierung Maggie Costello, ehemals Star-Mediatorin für NGOs, die UN und die USA, in die Region. Seit ihrem letzten Verhandlungsauftrag, bei dem sie schlimm scheiterte, hat sie auf Scheidungen umgesattelt. Mehr gezwungen als freiwillig nimmt sie den Auftrag an und beginnt Ermittlungen zu den rätselhaften Mordfällen. Schnell gerät sie dabei zwischen die Fronten.
Das letzte Testament ist Band 1 der Reihe um Maggie Costello und erschien in der deutschsprachigen Fassung 2008, in der aktuellen 2010. Der Thriller stützt sich historisch lose auf die Lage im Nahostkonflikt in der zweiten Hälfte der Nullerjahre. Fest datiert in der Handlung ist lediglich der Strang um die Geschehnisse 2003 im Irak, die restliche Handlung findet »Mehrere Jahre später« statt. Allerdings gibt es innerhalb der Handlung Hinweise, so beispielsweise die Bildung der Einheitsregierung von Hamas und Fatah im Februar 2007, die im Buch bereits geschehen ist. Außerdem steht in den USA eine Präsidentschaftswahl an, was auf November 2008 datiert werden kann. Historisch abweichend ist dabei, dass es im Buch um eine Wiederwahl geht, der damalige US-Präsident George W. Bush aber am Ende seiner zweiten Amtszeit stand. Die Friedensverhandlungen, die im Buch thematisiert werden, sind Fiktion; real wurden diese erst 2010 wiederaufgenommen.
Als Einstieg in die Reihe baut Bourne Das letzte Testament ein bisschen ungewöhnlich auf, was aber nur auffällt, wenn man sich nicht an die Reihenfolge hält und die restlichen Bände schon kennt. Denn im Gegensatz zu den späteren Bänden widmet er sich detailliert mit Maggies Vorgeschichte. Wo sich der Hintergrund der Hauptfigur in vielen anderen Reihen erst nach und nach im Rahmen einer Rahmenhandlung enthüllt, erledigt Bourne das gleich im ersten Band und dort auch am sehr viel präziser, als in allen späteren Bänden. Das betrifft insbesondere Maggies erste Phase als politische Mediatorin. Insofern relativiert sich meine Kritik an der fehlenden Charaktertiefe in den späteren Bänden ein wenig, man sollte die Bücher einfach chronologisch lesen.
Mit Blick auf die Übersetzung von Rainer Schmidt habe ich für ein Buch von 2008 mit dieser Thematik erstaunlich wenig anzumerken. Rassismen und Sexismen werden insgesamt nur von negativ behafteten Figuren genutzt und die werden dadurch auch nicht sympathischer. Es gibt gegen Ende aber eine Stelle, an der Maggie »Gutmenschen« in negativer Konnotation nutzt, was mich sehr gewundert hat. Das Wort schien mir für die Zeit vor 2015 eher eine Randerscheinung. Allerdings muss ich feststellen, es hat seit den 1990ern einen schleichenden, aber stetigen Aufschwung. Dass es 2008 allerdings schon so weit im allgemeinen literarischen Sprachgebrauch angekommen war, dass man es in einer Übersetzung nutzen musste, wundert mich weiter.
Davon aber abgesehen ist Das letzte Testament ein toller Einstieg in eine herausragende Serie. Maggie Costello ist als Protagonistin super gewählt. Thematisch bestechen Band und Serie insbesondere durch ihre recht enge Einbettung in die tatsächlichen Entwicklungen seit Mitte der Nullerjahre. Dazu kommt ein erhebliches Maß an Fachwissen über den Nahostkonflikt und seine Hintergründe und, was allerdings im ersten Band noch nicht so sehr zum Tragen kommt, die US-amerikanische Politik.
Eine Contentwarnung muss ich mir noch gestatten: Es gibt einige wenige Folterszenen und recht eindrücklich beschriebene sexualisierte Gewalt. Gerade letzteres muss in der Deutlichkeit nicht unbedingt gut für jede:n sein.
Also, lest Das letzte Testament und den Rest der Reihe. Es lohnt sich. Sam Bourne hat da mit der Verbindung aus Fiktion und sehr großer Realitätsnähe da wirklich eine oft schmerzhaft gute Thrillerreihe geschrieben.
Maggie Costello
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Der Gewählte (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2011
Seiten: 460

Gerade zwei Monate im Amt, sieht sich der charismatische US-Präsident Stephen Baker mit einem umfassenden Angriff auf seine Präsidentschaft konfrontiert. Ein Unbekannter veröffentlicht eine Story nach der anderen und beschwört damit ein Impeachment herauf. Als der Erpresser plötzlich tot in seiner Wohnung aufgefunden wird, eskaliert die Lage.
Maggie Costello, die bereits in Bakers Wahlkampf mitgewirkt hat und gerade ihre Stelle im Weißen Haus durch den Stabschef des Präsidenten verloren hat, gehört zu Bakers engstem Kreis und soll die Hintergründe der Erpressung ermitteln. Schnell vermutet sie Ungereimtheiten, doch je näher sie den Drahtziehern kommt, desto größer wird die Gefahr für ihr Umfeld.
Der Gewählte in der aktuellen Fassung stammt aus dem Jahr 2013, erstveröffentlicht wurde der Thriller 2011 bei Scherz, einem Imprint von S. Fischer. Im Zentrum des Thrillers steht erneut Maggie Costello, allerdings verlagert Bourne die Reihe nun thematisch stärker auf die US-Innenpolitik. Er reagiert damit auf die rasante Rechtspopulisierung der USA als Nebeneffekt bereits der Regierung Obama, die schließlich im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gipfelte und seitdem weiter eskaliert. Dafür geht er mehr ins (hoffentlich!) Fiktionale und verzichtet auf eine breite historische Basis, wie sie seine ersten Bücher kennzeichnete.
Ich muss gestehen, ich habe mal wieder geschludert, als es um die Reihenfolge der bislang vier auf Deutsch erschienenen Bände um Maggie Costello ging. Dazu kommt, dass ich Der Präsident, den dritten Band, schon als er 2017 erschien las und damals noch nicht rezensiert hatte. Also erscheinen die hier in völlig falscher Folge – wenigstens kann ich sagen, man muss die Serie nicht in der richtigen Reihenfolge lesen, die einzelnen Bücher sind in sich weitgehend abgeschlossen.
Wenn es um die Handlung geht, ist Der Gewählte gewohnt komplex und spannend. Bourne knüpft um den charismatischen Präsidenten Baker – wohl eine Reminiszenz an Barack Obama -, der ursprünglich als Außenseiter ins Rennen ging, ein verzweigtes Netz aus Intrigen und der großen Verschwörung, womit er den sog. Deep State aufgreift. Die Handlung beginnt dabei in einer recht kleinen Dimension, die sich im Fortgang aber immer weiter vergrößert. Unerwartete Wendungen sind dabei vorprogrammiert und halten die Geschichte bis zum Ende spannend.
Mit Blick auf seine Figuren ist Bourne nun großzügiger. Neben Maggie, die unangefochten die Protagonistin ist, bekommen auch einige Nebenfiguren reichlich Raum für eine tiefere Charakterentwicklung. Das gilt insbesondere für Stephen Baker und seinen Chefberater Stuart Goldstein. Das tut dem Buch grundsätzlich gut.
Ein wenig schade fand ich den Plot von Der Gewählte an sich, weil Bourne sich mit seiner Handlung weitgehend in das Feld der typischen US-amerikanischen Verschwörungsthriller einreiht. Die sind zwar spannend – man denke nur an Robert Ludlum, der fast ein ganzes Lebenswerk auf dem Plot aufbauen konnte -, allerdings folgen sie auch einem recht stringenten Grundprinzip, das im Storydesign mittlerweile doch sehr einschränkt: Dem Deep State, wahlweise nur aus Geheimdiensten bestehend oder mit Beteiligung einer Geheimgruppe aus der Spitzenwirtschaft. Das Feld ist leider sehr abgegrast, da ist es schwer, noch mit etwas Neuem aufzuwarten. Allerdings muss ich natürlich auch anerkennen, dass insbesondere der politische Einfluss der Spitzenwirtschaft in den USA in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, erst Recht mit Blick auf den derzeitigen Präsidentendarsteller (hoppla, was war das denn?). Wie dem auch sei, Der Gewählte lebt für mich insbesondere in der Figur Maggies.
Nun möchte ich euch das Buch aber sicher nicht zerreden, denn unterhalten hat es mich schon. Als Vertreter des US-Verschwörungsthrillers ist es nicht schlecht und es ist ja auch nicht Bournes Fehler, dass ich aus dem Segment schon viel zu viele Bücher gelesen habe. Und als Fortsetzung der Reihe mit Maggie Costello gefällt es definitiv. Für Genrefreund:innen also sicher ein Tipp und, mit Blick auf die folgenden Bände der Reihe, die noch offensichtlicher an die aktuelle US-Regierung angelehnt sind, auf keinen Fall ein Grund, die Serie zu verwerfen.
Maggie Costello
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Tag der Abrechnung (von Sam Bourne)
Autor: Sam Bourne
Erschienen: 2011
Seiten: 480

Vor dem UN-Hauptquartier in New York wird nach einer hastigen Terrorwarnung ein alter Mann erschossen. Ein Desaster für die Vereinten Nationen. Der ehemalige UN-Spitzenanwalt Tom Byrne wird beauftragt, die Wogen zu glätten, doch was er ermittelt, macht die Sache nur schlimmer. Der Tote ist ein Überlebender des Holocausts, doch seine Lebensgeschichte ist keine Übliche. Er gehörte offenbar zu einer Gruppe von jüdischen Nazijägern. Die Frage, was er bei den UN wollte und wer dort ein Interesse an seiner Beseitigung hatte, drängt sich immer stärker auf. Und gleichzeitig geraten auch Tom und Rebecca, die Tochter des Toten, ins Fadenkreuz.
Mit Tag der Abrechnung widmet sich Sam Bourne einem historischen Themenfeld, das, jedenfalls im deutschen Allgemeinwissen, teilweise untergegangen oder nie angekommen ist: Das der jüdischen Nazijäger nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Allgemeinwissen endet da meist schon lückenhaft bei Beate und Serge Klarsfeld. Bourne widmet sich der weit radikaleren Gruppe DIN. Wie sehr deren Wirken in Vergessenheit geraten ist, zeigt alleine schon die Namensgebung: Die Gruppe wird wahlweise mit DIN und DYN abgekürzt, was in unterschiedlichen Zusammensetzungen und Schreibweisen (Yisrael und Israel) für Dam Yisrael Noter oder Dam Yehudi Nakam steht – etwa ›Das Blut Israels rächt sich‹. Das Wissen um die Gruppe bezieht sich hauptsächlich aus Berichten ihrer Mitglieder, wobei teilweise erhebliche Abweichungen unter den Berichten bestehen.
Als historisch belegt, obwohl damals lediglich sparsam veröffentlicht, gilt jedoch der sogenannte Plan B der DIN, bei dem ein Teil der Brotlieferung für das Internierungslager Stalag XIII D in Nürnberg, wo 12 bis 15000 Kriegsgefangene mit SS-Vergangenheit einsaßen, mit Arsen vergiftet wurde. Das ursprüngliche Ziel bestand darin, sämtliche Lagerinsassen zu töten. Gesichert ist, dass knapp 2300 Insassen in der Folge erkrankten, ob es jedoch Tote gab, ist nicht veröffentlicht. Doch kein Plan B ohne einen Plan A, der zwar schon in der Vorbereitung scheiterte, es aber sehr viel mehr in sich hatte, so dass er wohl auch innerhalb der Gruppe heftig diskutiert wurde. Denn er sollte sich gegen die Trinkwasserversorgung mehrerer deutscher Großstädte und damit nicht gezielt gegen einzelne Nazitäter, sondern gegen die gesamte Bevölkerung richten. Auf eine unklare Weise involviert war wohl auch der spätere israelische Präsident Chaim Weizmann.
Tag der Abrechnung stützt sich in erheblichem Umfang auf die bekannte historische Realität und geht dabei weit über DIN hinaus. Mit einer Art Tagebuch des Toten führt Bourne Tom und Rebecca und selbstverständlich auch uns Leser:innen eindrucksvoll in die Zeit des Nationalsozialismus zurück, wo Rebeccas Vater Gershon Matzkin im litauischen Kowno aufwuchs und mit seinen Schwestern im Ghetto interniert wurde. Auch hier hält sich Bourne recht streng an die historische Realität – inklusive der Massenerschießungen bei der Neunten Festung.
Soweit zum historischen Fundament. Bourne baut darauf einen spannenden Politthriller, der einlädt, sich näher mit diesem Teil der Geschichte zu befassen. Was ich ausdrücklich empfehlen will, denn Tag der Abrechnung wirkt sehr viel stärker, wenn man sich zwischendurch bewusst macht, wie nah die Story in vielen Punkten an der Realität ist. Selbstverständlich ist das Buch dann aber auch umso schmerzhafter. Allerdings bin ich der Meinung, erstens müssen wir da durch und zweitens sollte auch dieser Teil unserer Geschichte nicht noch weiter in Vergessenheit geraten.
Bourne schreibt gewohnt mitreißend. Ich war schnell in der Geschichte und es fiel mir ziemlich leicht, mich in die Hauptfiguren zu versetzen. Obwohl insbesondere Tom, der zu Beginn des Buches das Vertrauen an das Rechtssystem verloren hat und seine Dienste an die Mafia verkauft, das zunächst nicht allzu leicht macht. Die Story selber ist, wie man es von Bourne kennt, geschickt konstruiert und stellenweise recht komplex. Mehrmals scheint die Geschichte der Auflösung nahe, nimmt dann aber abrupt eine harte Wendung. Die Wendungen gehen so weit, dass ich an einem Punkt Angst hatte, Bourne würde das Thema mit einem für mich höchst zweifelhaften Ende versauen. Spoiler: Macht er nicht.
Es mag schon offensichtlich sein, ich sehe das Buch nicht als reine Unterhaltungsliteratur. Bourne greift geschickt zahlreiche lauter oder leiser geführten Debatten auf. Das geht vom Umgang des Judentums mit den NS-Tätern bis hin zu großen Metadebatten über das Recht an sich oder die UN als zahnloser Papiertiger. Das Buch regt also auf vielen Ebenen zum Nachdenken an und ist, wenn man sich seines Hintergrundes bewusst ist, sicher keins, das man nach der Lektüre einfach so zu den Akten legen kann.
Abschließend sind wieder Content Warnungen fällig. Tag der Abrechnung enthält teils ziemlich drastische Schilderungen von Folter, Vergewaltigung, Suizid, Entführung, Tötungen und Massenmorden in der NS-Zeit. Dazu kommen ausführliche Schilderungen jüdischen Lebens in der späteren NS-Zeit einschließlich dem Leben in Ghettos und der Vernichtung. Wenig überraschend, ich erhebe mit der Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nichtsdestotrotz möchte ich Tag der Abrechnung sehr empfehlen. Der Thriller ist alleine schon wegen seiner historischen Thematik äußerst lesenswert und er wirft ein Licht auf einen Teil der Geschichte, der weitgehend unter der Oberfläche schwimmt. Spannend und gut geschrieben ist er sowieso.
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Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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