Zeitoun (von Dave Eggers)
Autor: Dave Eggers
Erschienen: 2012
Seiten: 368

Zeitoun (sprich: Seytuun) kommt aus meiner ›Was ich mich noch nicht zu lesen getraut habe‹-Schublade. Dort fristete der Tatsachenbericht, zusammen mit noch einigen anderen früheren Werken von Dave Eggers, ein kuscheliges Leben. Jetzt fehlt mir ein wenig der aktuelle Nachschub, also gehe ich die mal an.
Das Buch erzählt die traumatischen Erlebnisse der Familie Zeitoun aus New Orleans im Rahmen von Hurrikan Katrina im Sommer 2005. Abdulrahman (sein Rufname ist sein Nachname) und Kathy Zeitoun führen einen erfolgreichen Handwerksbetrieb, sind angesehen in New Orleans, bis Katrina ihr Leben auf den Kopf stellt. Als sich der Hurrikan ankündigt, verlässt Kathy mit den vier Kindern die Stadt, um sich in Sicherheit zu bringen. Zeitoun lässt sich nicht überzeugen, mit ihnen zu kommen, er will auf ihre zahlreichen Immobilien aufpassen und sichert noch bis zum letzten Moment die Häuser seiner Kunden.
Als Katrina die Stadt schließlich viel härter, als erwartet, getroffen hat, schnappt sich Zeitoun sein Kanu und paddelt durch die überschwemmte Stadt, immer auf der Suche nach Menschen und Tieren, denen er helfen kann. Kathy und sein Bruder Ahmed, durch allerlei Horrornachrichten in immer größerer Sorge, beknien ihn, die Stadt zu verlassen, doch Zeitoun muss helfen. Dann verschwindet er plötzlich und das Martyrium der Familie beginnt.
Zeitoun entstand aus dem Buch Voices of the Storm des Projekts Voice of Witness. Das Projekt erzählt die Geschichten von Zeitzeugen von Menschenrechtsverletzungen. Voices of the Storm befasst sich mit den ausufernden Menschenrechtsverletzungen in der Folge von Hurrikan Katrina in New Orleans, als die frisch ins noch relativ junge Department of Homeland Security eingegliederte US-Katastrophenschutzbehörde FEMA vollständig die Kontrolle über das Chaos vor Ort verlor. In der Folge kam es zu rassistischen Verhaftungen, Folter, Inhaftierungen nach Vorbild des Patriot Acts und anderen Menschenrechtsverletzungen durch Behörden und Sicherheitskräfte. Vieles erinnerte an das Folterlager Guantanamo.
Dave Eggers erzählt nun, gesichert und so authentisch wie möglich, insbesondere die Geschichte von Zeitoun, der am 6. September mit drei anderen Männern in einem seiner Mietshäuser von einem wild zusammengewürfelten Trupp aus Polizei, Nationalgarde und anderen ohne rechtsstaatliche Grundlage verhaftet und zunächst in das provisorische Gefangenenlager Camp Greyhound verschleppt wird. Häftlingsrechte werden ihm verwehrt, auch Kathy erfährt nichts von dem Vorgang. Eggers erzählt die Geschichte nach Bedarf im Wechsel aus Zeitouns und Kathys Sicht. Sein Stil ist der Geschichte angemessen, er beschönigt nichts noch verliert er sich in langatmigen Details. Insofern fiel es mir einerseits nicht schwer, mich in die Protagonisten hinein zu fühlen, andererseits sehr schwer, das Buch zur Seite zu legen. Das Wissen, dass das Gelesene so stattgefunden hat, macht es an nicht wenigen Stellen recht schwer zu ertragen.
Zeitoun ist ein Beleg dafür, wie dünn die Zivilisationsdecke sein kann. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass das Szenario um Katrina nicht im rechtsfreien Raum stattgefunden hat. Natürlich war die fatale Überforderung der FEMA-Führung ein Ausnahmezustand, der so nicht eintreten darf. Die rechtlichen Grundlagen für das, was dann vor Ort im Sicherheitsapparat passierte, existieren aber tatsächlich – jedenfalls als Vorlage. Insofern muss man, selbst wenn die Anwendung dieser Rechtsgrundlagen im konkreten Fall illegitim gewesen sein sollte, immer im Hinterkopf behalten, dass die Sicherheitskräfte nicht im luftleeren Raum freigedreht haben. Im Zweifel haben sie sich auf die Gesetzgebung gestützt und wähnten sich dabei im Recht. Das kann eben in der Form auch nur passieren, wenn man derart repressive Gesetzeslagen, wie etwa die US-amerikanischen sog. Antiterrorgesetze eine sind, hat. Das mag, während ein Ausnahmezustand eskaliert, erstmal nebensächlich sein, für die juristische Aufarbeitung ist es aber sehr problematisch.
Zusammenfassend: Nicht unbedingt leichte Kost, aber sehr gut umgesetzt und geschrieben. Zeitoun ist ein nicht unwichtiges Zeitdokument über ein dunkles Kapitel US-amerikanischer Justiz.
Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂
Die Akte Vaterland (von Volker Kutscher)
Autor: Volker Kutscher
Erschienen: 2012
Seiten: 563

Berlin im Sommer 1932. Im legendären Vergnügungstempel Haus Vaterland ertrinkt ein Spirituosenlieferant in einem Aufzug. Die Polizei, sowieso schon überlastet, tappt im Dunklen. Die Spur führt in eine Vergangenheit tief in Ostpreußen.
Gereon Rath, der mittlerweile mit Charly verlobt ist, wird für die Ermittlungen von Gennat ins ostpreußische Treuburg geschickt, da Charly, mittlerweile Kommissaranwärterin, für den Fall in die Mordkommission versetzt wird. Dort erwartet ihn eine tief nationalistische Gemeinschaft mit einem dunklen Geheimnis, das mehr und mehr mit dem aktuellen Fall in Zusammenhang zu stehen scheint.
Die Akte Vaterland ist der vierte Fall für Volker Kutschers Kommissar Gereon Rath. Das Buch erschien 2012 bei Kiepenheuer & Witsch und umfasst 563 Seiten, die sich in insgesamt 102 recht kurze Kapitel gliedern.
Gereon Raths vierter Fall beginnt mysteriös. In einem Lieferantenaufzug des Hauses Vaterland liegt ein ertrunkener Spirituosenhändler und alle Spuren deuten darauf hin, dass der Aufzug auch der Tatort ist. Rath kann weitere Fälle mysteriöser Ertrinkungsopfer ermitteln und die stehen tatsächlich in einem Zusammenhang. Jahre zuvor lebten sie alle im ostpreußischen Treuburg, arbeiteten dort in der Mathée-Spirituosenfabrik und für deren Direktor Wengler offenbar auch als Schlägertrupp. Alle drei Mordopfer verließen Treuburg zeitgleich und auf diesen Zeitpunkt fällt auch ein alter Fall, der die Firma Mathée betrifft. Rath ermittelt vor Ort.
Treuburg bzw. das ganze Masuren ist ein Kulturschock. Als preußische Exklave tief in Polen ist der Nationalismus hier schon deutlich stärker ausgeprägt als im fernen Berlin. Die SA verbreitet offen Angst und Schrecken unter den wenigen Gegnern der Nazis. Und ganz Treuburg scheint ein dunkles Geheimnis zu haben und stramm hinter Wengler, der sich zu einer Art inoffiziellem politischen Führer der Stadt entwickelt hat, zu stehen. Raths Ermittlungen werden gefährlich, er kratzt an einer sehr dünnen Oberfläche, doch aufhalten lassen will er sich nicht.
In Berlin überstürzen sich derweil die Ereignisse. Kutscher fängt auch dies hervorragend ein. Die Berliner Polizeiführung, allesamt von den Sozialdemokraten eingesetzt, wird durch die Reichswehr abgesetzt, die preußische Regierung ebenso. Das Kabinett Hitler macht Nägel mit Köpfen und baut dabei u.a. den Polizeiapparat um. Fokus der Ermittlungsarbeit wird nun der Kampf gegen politische Gegner. Die SA, bis vor kurzem noch verboten, steht kurz davor, in den Stand von Hilfspolizisten erhoben zu werden. Kutscher hält sich hier nah an die historische Realität, wie er das bei den einschneidenden Entwicklungen zum Dritten Reich hin eigentlich immer tut. Auch die politische Stimmung in Treuburg ist historisch belegt, während die gesamte Geschichte in Treuburg fiktional ist.
Kritisierte ich in den vergangenen Bänden oft Kutschers Fokus auf Charlys und Gereons turbulente Beziehung, so hat mir Die Akte Vaterland in der Hinsicht sehr viel besser gefallen. Das mag daran liegen, dass beide den größten Teil des Buches örtlich getrennt sind, es tut dem Buch jedenfalls gut. Insgesamt ist Die Akte Vaterland für mich der bisher ausgewogenste Band der Reihe. Den Mix aus Fall, politischem und gesellschaftlichem Hintergrund und der Rahmenhandlung der Charaktere hat Kutscher für mich sehr gut getroffen – besser als in allen anderen Bänden bisher. Auch für die Hintergründe der einzelnen Figuren bleibt da ein ausgeglichenerer Raum. Der Fall an sich ist gewohnt verstrickt und spannend konstruiert.
Die Akte Vaterland gefällt mir bisher am besten. Der Band ist spannend, unterhaltsam, hinsichtlich der historischen Entwicklungen und Ereignisse lehrreich und insgesamt sehr ausgewogen. Als Teil der Reihe aber auch als Einzelbuch sehr unterhaltsam.
Gereon Rath
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Goldstein (von Volker Kutscher)
Autor: Volker Kutscher
Erschienen: 2010
Seiten: 573

Berlin, 1931. In den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirrungen der untergehenden Weimarer Republik stirbt ein Straßenkind beim Einbruch in das KaDeWe. Der Fall scheint vernachlässigbar, doch mit Alex, der Komplizin, gibt es eine Zeugin und die will Brisantes beobachtet haben: Ein Polizist soll den Jungen auf der Flucht kaltblütig ermordet haben.
Zeitgleich besucht Abraham Goldstein, seines Zeichens berüchtigter Mafiakiller aus den USA, Berlin. Die Behörden sind beunruhigt, eskaliert der Kampf zwischen den Ringervereinen, die die Berliner Unterwelt beherrschen? Tatsächlich verschwinden die Anführer von Berolina und Nordpiraten, die Zeichen für einen drohenden Unterweltkrieg verdichten sich. Viel Arbeit für Kriminalkommissar Gereon Rath und die Berliner Mordinspektion.
Goldstein ist der dritte Band in Volker Kutschers historischer Krimireihe Gereon Rath. Das Buch umfasst 573 Seiten, die in 119 überwiegend recht kurze Kapitel gegliedert sind.
Der dritte Fall für Kutschers Kommissar Gereon Rath setzt sich eigentlich aus einer ganzen Reihe zunächst nicht zusammenhängender Fälle zusammen. In dieser Phase, die sich über einen großen Teil des Buches zieht, steht Rath auch gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Charly hingegen bekommt eine größere Rolle als in den bisherigen Bänden, da sie sich im Falle der Kaufhauseinbrecherin und wahrscheinlichen Mordzeugin Alex zunächst auf eigene Faust, dann mit Rückendeckung durch die Polizei engagiert. Gereon hingegen wurde quasi auf das Abstellgleis geschoben. Er ist für die Observierung von Abraham Goldstein zuständig, der sich jedoch recht wenig zu bewegen scheint, so dass Gereon eigentlich nur auf seinem Beobachtungsposten im Hotel sitzt. Parallel dazu muss er allerdings auch wieder für Dr. Marlow tätig werden, als der Boss der Berolina verschwindet und Marlow die Nordpiraten verdächtigt. Den offenen Krieg in der Unterwelt, den Marlow hier um seine Position zu halten riskieren muss, will Gereon um jeden Preis verhindern.
Obwohl mir der kriminalistische Teil von Goldstein und der Teil der Rahmenhandlung, der Marlow betrifft, sehr gut gefallen, gibt es doch auch Kritik. Schon bei Der stumme Tod begann mich das zunehmende Beziehungsdurcheinander zwischen Gereon und Charly zu stören. Da war es noch etwas vernachlässigbarer, denn sie waren über einen Großteil der Geschichte ja getrennt. In Goldstein entwickeln sie nun vorerst endgültig eine On-Off-Beziehung, wobei in den Off-Phasen beide ausgiebig leiden und sich eigentlich darüber klar sind, wie die Beziehung funktionieren könnte. Allerdings müssen beide jedes Mal erst lange für sich leiden, bis endlich einer über seinen Schatten springt und einen Schritt auf den anderen zu macht. Das wurde mir in Der stumme Tod schon zu dünn für eine Rahmenhandlung, in Goldstein hat sich das nochmal erheblich verschlechtert.
Nichtsdestotrotz ist das Buch als Teil der Reihe lesenswert. Insbesondere wie Kutscher die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zur NS-Zeit darstellt, lässt einen diese oftmals schwer nachvollziehbare Phase der Deutschen Geschichte, die wohl selten aktueller als heute war, gut miterleben. Die Nazis, hauptsächlich in Form der SA, treten nun in 1931 offen gewalttätig auf. Ihre Anhänger befinden sich in allen gesellschaftlichen Ecken, so dass auch die Polizeiarbeit zunehmend erschwert wird. Das Buch endet nach Beginn der Deutschen Bankenkrise im September 1931, als die SA mit ersten pogromartigen Übergriffen in Berlin beginnt. Diesen nun organisierten Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung – insbesondere aber nicht ausschließlich die jüdische – widmet Kutscher einen Teil seines Epilogs.
Alles in allem finde ich Goldstein als Teil der Reihe und zum Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungen gut. Der Band hat für mich seine Schwächen im Hinblick auf Gereons und Charlys Beziehung, der Fall und eben diese Hintergründe gleichen das aber soweit aus.
Gereon Rath
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Kurzbio

Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.
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