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Queenie (von Candice Carty-Williams)

18. August 2020 0 comments Article Gegenwart, Lesestoff, Roman
Titel: Queenie
Autor: Candice Carty-Williams
Verlag: Aufbau Verlag
Erschienen: 2020
Seiten: 544
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Das Katastrophenjahr einer jungen Schwarzen Frau. Mal leichter, oft schwerer zu ertragen. Aber ein Buch, das sehr nahe Einblicke in eine ganze Reihe Lebensrealitäten bietet.

Quelle: Aufbau Verlag

Queenies Leben ist eine halbe Katastrophe. In ihrer Zeitungsredaktion arbeitet sie eher halbherzig und ihre Beziehung mit Tom hängt an einem dünnen Faden, ohne dass es ihr auffällt. Als der schließlich reißt, stürzt sie ab. Es folgt ein wahlloses Sexdate nach dem anderen, allen gemein, dass Queenie ausgenutzt wird. Am tiefsten Punkt wird sie in der Redaktion suspendiert, muss wieder bei ihren Großeltern einziehen – und reißt das Ruder rum.

Queenie ist der Debütroman der britischen Schriftstellerin Candice Carty-Williams. Das Buch erschien in der deutschen Übersetzung am 18.08.2020 im Aufbau Verlag. Es umfasst 544 Seiten, die sich in 30 Kapitel gliedern. Für mein Rezensionsexemplar darf ich mich beim Verlag und NetGalley bedanken.

»Schwarze Bridget Jones«, so wollte die Sunday Times Queenie feiern. Carty-Williams hat dem widersprochen, Queenie sei zu politisch, weil sie ist, wer sie ist, und könnte so nie eine Bridget Jones sein. Und das trifft es. Queenie ist die Geschichte eines Katastrophenjahres einer jungen Schwarzen Frau in London. Queenie ist ein politisches Statement und zwar insbesondere eines für die Schwarze Community. In einer Literaturwelt, die hauptsächlich Bücher für Weiße produziert, sollte man sich das bewusst machen. Carty-Williams beschreibt, erklärt aber wenig. Sie setzt voraus, dass ihre Leser:innen den Alltag als Schwarzer Mensch kennen oder sich mit ihm beschäftigen. Also genau das, was in all den Büchern mit weißen Protagonisten ganz selbstverständlich auch getan wird. Queenie sagt beispielsweise, dass es Rassismus gegen Weiße nicht gibt, erklärt aber nicht, warum. Weil es in der Dialogsituation nicht nötig ist, es zu erklären.

Ein großer Teil des Romans behandelt die Zeit, in der Queenies Leben immer mehr zerbricht. Da Carty-Williams die Geschichte aus der Ego-Perspektive erzählt, ist man sehr nah bei ihren Entscheidungsprozessen dabei. Das wird zunehmend schwer erträglich, als wäre man Beifahrer bei einem sehr langsam ablaufenden Unfall und könne trotzdem nicht eingreifen. Gegen Ende der Katastrophenphase wurde mir das leider für einen recht kurzen Moment zu viel, was hauptsächlich daran liegt, dass Queenie genau weiß, dass sie gerade die nächste fatale Entscheidung trifft, sie aber trotzdem trifft. Glücklicherweise wird dieses selbstzerstörerische Verhalten aber wenig später aufgeklärt, so dass es rückblickend dann doch logisch wird.

Queenie gehört, wie schon erwähnt, zum erfreulicherweise endlich zunehmender Beachtung findenden Bereich der Bücher Schwarzer Schriftsteller:innen mit Schwarzen Protagonist:innen. Das bedeutet, als weiße:r Leser:in wird man immer wieder mit Inhalten konfrontiert, die man so nicht gewohnt ist und auf die man sich einlassen sollte. Ein wiederkehrendes Thema ist beispielsweise der Identitätskonflikt. Den kennen wir zwar auch von weißen Figuren, allerdings wirkt er sich bei Schwarzen anders und oft sehr viel umfassender aus. Das führt leicht zu Effekten, wie ich sie im vorangegangenen Absatz beschrieb: »Warum macht sie nicht das und das? Warum lässt sie sich nicht helfen?« In der Folge kann man dann schnell zu dem Urteil kommen, das wäre beispielsweise konstruiert. Hier ist Offenheit angesagt. Schwarze und weiße Lebensrealitäten sind leider nicht vergleichbar, daraus ergeben sich natürlich unterschiedliche Probleme und Handlungsmuster. Extrembeispiel: Wenn ich davon ausgehen muss, die Polizei könnte mir nicht unvoreingenommen begegnen, überlege ich mir dreimal, ob ich in einer Notsituation die 110 wähle. Das ist für die meisten unter uns weißen Menschen so abwegig, dass man es leicht als konstruiert hinstellen kann. Weil Schwarze Literatur über Schwarzes Leben schon so lange – wenn überhaupt – ein Nischendasein führt, sind wir andere Handlungsfolgen gewohnt. Wir sollten es als Bereicherung begrüßen, dass diese Literatur nun langsam mehr und mehr in größere Verlage rutscht, dass wir diese Lebensrealitäten kennenlernen können. Nur so können anfangen, das Leid zu verstehen und etwas zu ändern.

Handwerklich ist Queenie toll geschrieben. Sprachlich gibt es zwar recht explizite Stellen, das passt aber hervorragend zur Figur und durch die Ego-Perspektive ist die nun mal das sprachliche Maß. Neben Queenie bleiben so gut wie alle anderen Figuren ein bisschen oberflächlich, das kann ich aber verschmerzen, das Buch dreht sich ja zweifelsohne eben um Queenie. Was mir anfangs ein wenig Probleme gemacht hat, waren die Zeitsprünge, die nicht mit Kapitelüberschriften oder ähnlichem gekennzeichnet werden. Carty-Williams springt immer mal wieder in die Vergangenheit, um Queenies gegenwärtige Probleme zu erklären. Sobald ich aber in der Handlung drin war, war auch das kein Problem mehr.

Queenie ist keine leichte Kost, in so ziemlich jeder Hinsicht. Es behandelt kritische Themen wie Rassismus, Sexismus bis hin zu Übergriffen, toxische Beziehungen, Depressionen, familiäre Gewalterfahrungen und Schwangerschaftsabbruch bzw. Fehlgeburt und es kann, verstärkt durch die Erzählweise, definitiv triggern. Und obwohl ich als weißer Mann wohl eher nicht zur primären – und wahrscheinlich auch nicht zur sekundären – Zielgruppe gehöre, hat mir das Buch sehr gut gefallen (wundert mich nicht, passiert mir oft). Es weitet den Blick in einem Feld, das uns literarisch im Mainstream bisher weitgehend vorenthalten wurde. Und weil es dabei um unsere Mitmenschen geht, kann das eigentlich nur eine gute Sache sein.

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Transparenzblock: Das Buch habe ich im über NetGalley als Rezensionsexemplar kostenfrei erhalten. Verpflichtungen (beispielsweise eine »wohlwollende« Rezension) sind damit, abgesehen von eben einer Rezension, nicht verbunden. Meine Meinung über das Buch, die ich hier kund tue, wird dadurch nicht beeinflusst.

Transparenzblock: Diese Rezension ist auch auf meinem Profil bei mojoreads (Werbung) erschienen. mojoreads versteht sich als social bookstore und beteiligt seine User am Erlös aus Buchverkäufen, die u.a. auf ihre Rezensionen zurückgehen. Wenn du das Buch kaufen willst, würdest du mir eine Freude machen, wenn du es über meine dortige Rezension (Werbung) kaufst. Bedankt 🙂

Social Media Gedöns

Nuhr Die Mitte™

25. Januar 2019 0 comments Article Medien...

Immer, wenn ich Dieter Nuhr – immerhin aktuelles ›Satire‹-Flaggschiff der ARD – gucke, muss ich an @Korallenherz denken. Das tut mir eigentlich unheimlich Leid, aber sein »Mitte mich nicht voll!« beschreibt den Kabarettisten auf den Punkt. Zugegeben, ich tue ihn mir nicht mehr oft an. Im Jahr sind’s eher Zappingunfälle, regelmäßig schaue ich eigentlich nur den Jahresrückblick und da kommt dann sowas wie dieser Roman raus. Nuhr war mal ganz gut, aber das änderte sich recht abrupt, als er 2014 von einem Salafisten wegen ›Hasspredigt‹ verklagt wurde. Ab da wurde er zunehmend undifferenziert und populistisch, doch die Kritik darauf zu beschränken, würde ihm nicht gerecht. Denn der Populismus ist gut eingebettet, vorzugsweise zwischen harten Fakten und dem, was Nuhr für Satire hält. Eine Mischung, die Gefahren birgt.

Wer »Nuhr 2018«, den alljährlichen Jahresrückblick des Kabarettisten gesehen hat und sich der Mitte zuordnet, der mag sich gut unterhalten gefühlt haben. Wie eigentlich immer bei Dieter Nuhr. Er besticht durch böse Spitzen, oft untermauert mit harten Fakten. Wenn das politische Kabarett in der Bundesrepublik weitgehend ziemlich links stattfindet – und das tut es -, steht Nuhr gerade so noch in der Mitte, irgendwo zwischen CDU und FDP. Also da, wo sich das Ü40-Bildungsbürgertum selber verortet und von den Linken bestenfalls noch rechts der Mitte verortet wird. Meine Elterngeneration findet ihn klasse und das hauptsächlich, weil er »die Wahrheit schonungslos mit harten Fakten auf den Tisch knallt«, dabei weit genug von Links und Rechts entfernt steht, dass er als netter Schwiegersohn durchgeht.

Ich hab da einen anderen Blick drauf, dafür müsste ich mich gar nicht mal links verorten. Es reicht, sein Programm mal einen Hauch genauer zu analysieren. Aber das muss man eben machen, sonst bleiben nur vereinzelt Populismusvorwürfe (die man an den Stellen fraglos auch erheben darf). ›Nuhr 2018‹ war da wieder ein Paradebeispiel.

Kabarett kann auch wohlig-rechts sein

Butter bei die Fische, wir starten beim Einstieg: Erstmal die Umweltaktivisten, die im Hambacher Forst seit einer tatsächlichen Ewigkeit demonstrieren, aufs Korn nehmen. Damit das Publikum gleich weiß, Kabarett kann auch wohlig-rechts sein. Überhaupt, nach unten zu treten hat bei Nuhr traurige Tradition. Ungeachtet des satirischen Anspruchs, eigentlich nach oben zu treten, wird Nuhr auch nicht müde, sich selbst als Satiriker einzuordnen.

Wie dem auch sei, langhaarige, ungewaschene, arbeitsscheue Linke auf Bäumen (, »die Polizisten mit Scheiße bewerfen«), das geht immer. Das Publikum ist direkt aufgewärmt. Der Punkt Umwelt- und Klimaschutz wird wenig später einen großen Block im Programm einnehmen. Doch vorher kommt noch ein wilder Rundumschlag durch alle möglichen Themenfelder. Man bekommt den Eindruck, Nuhr würde abklopfen, was heute besonders gut ankommt. Trump bekommt ein wenig Fett weg, der Skandal um die ECHO-Verleihung, bei SPD und GroKo scheint er dann einen Punkt zu sehen, da bleibt er etwas länger.

Gerade bei der GroKo fällt eine Strategie auf, die Nuhr immer wieder anwendet und die sicherlich ein Grund dafür ist, dass er im Mitte-Publikum so beliebt ist: Er schießt einfach gegen jede Position, so ist für jeden was dabei. Merkel beispielsweise attestiert er einerseits alles in allem gute Arbeit, dazu macht er sich über die ›Merkel muss weg!‹-Klientel lustig. Minuten später zieht er über den Umweg des Kanzleramtsministers Helge Braun über Merkel her (»Der Mann ist Narkosearzt. Ich finde, bei Merkel hat er gute Arbeit geleistet«). Für jeden was dabei.

Über einen kurzen Exkurs zum Brexit schlägt er dann die Brücke zum Klimawandel, denn die Landbrücke, die es zwischen Kontinentaleuropa und Britannien mal gab, fiel ja in grauer Vorzeit ebendiesem zum Opfer. Klimawandel ist bei Nuhr immer ein besonderes Thema, denn da kann er mit seiner nächsten, und für mich am übelsten missbrauchten Qualität glänzen: Fakten, Fakten, Fakten!

Fakten, Fakten, Fakten!

Nicht falsch verstehen, Fakten finde ich gut. Die heißesten Diskussionen unserer Zeit finden viel zu sehr in faktenverneinendem Gebrüll statt. Fakten sind die Basis, auf der Debatten geführt werden können, wenn sie als gemeinsame Basis akzeptiert werden. Was mich aber bei Nuhr stört, er baut gerade so viel seines Programms auf Fakten auf und breitet die so weit aus, dass das Publikum die Gewissheit bekommt, was der sagt ist fundiert. Ergo, er hat einen Punkt. Im Jahresrückblick fand das, mal wieder, vor allem im Klimaschutz-Block statt. Da kann man immer gut mit Fakten kommen. Da gibt’s Studien für und gegen alles, da wurde jede noch so absurde These von irgendeiner wissenschaftlichen Null ›bewiesen‹, da müssen Vergleiche dann auch nicht passen (Diesel-Abgase und Zigarettenrauch bspw.), die sehen einfach durch die Fakten, die sich um sie herum bewegen, sachlich richtig aus.

So ist es dann auch interessant, wenn man sich in dem ganzen Klimawandel-Block anschaut, was Nuhr auslässt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimapolitik machen ihm beispielsweise große Sorgen. Die Energiewirtschaft habe die Politik ja schon auf dem Gewissen, die Automobilwirtschaft – immerhin die heilige Kuh der Nation – würde gerade vernichtet, jetzt käme auch noch die Kohleindustrie. Wir würden uns schnell umgucken, wenn es hier wirtschaftlich dunkel würde. Kein Wort hingegen darüber, wie viel schneller wir uns umschauen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Ist für ihn wohl auch eher kein Problem, der Sommer 2018 war ja so toll, Nuhr ist »teilweise abends noch mit Vollgas im ersten Gang um den Block gefahren, damit’s so bleibt«. Die Generation Mitte Ü40 denkt zärtlich an ihre SUVs, freie Fahrt für freie Bürger und lacht sich einen Ast.

Auch die ganze ›Stickoxyd-Hysterie‹ tangiert Nuhr wenig, denn »Stickoxyd ist zwar nicht gesund, aber es tötet nicht«. Gelassener Anspruch. Chronisch krank werden (man kann sich der Ursache ja kaum entziehen) ist schon ok, solange es nicht tödlich ausgeht. COPD-Patienten in verkehrsüberlasteten Großstädten dürften für Nuhr da nur ein müdes Lächeln übrig haben. Ich schätze, spätestens wenn man da bei der Sauerstoff-Langzeittherapie angekommen ist, findet man’s auch gar nicht mehr so lustig, dass nur der zwangsweise letale Ausgang eine Krankheit beachtenswert macht.

An der Stelle findet sich eine weitere Strategie, die Nuhr immer wieder verfolgt: Er verallgemeinert quasi alles, wenn es in seine Agenda passt, der Einzelfall ist wahlweise nicht existent oder nicht relevant. Denn, um beim Beispiel zu bleiben, sicher gibt es Krankheitsverläufe, die tödlich enden, aber der Krankheitverlauf endet halt nicht zwangsläufig im Tod. Das ist exakt die Strategie, die die Tabakindustrie seit Menschengedenken vor allem in den USA juristisch führt. Ein gewisser Prozentsatz der Raucher bekommt Lungen- oder Kehlkopfkrebs, aber eben nur ein gewisser Prozentsatz. Der wird dann ausgeblendet und schon ist Rauchen wieder total ok.

Özil – Rassismus, Sexismus, was die Palette hergibt

Weiter im Programm, es geht zur WM 2018. Obwohl, eigentlich ist die nur ein kurzer Trigger, um auf Özil zu kommen, denn über den kann man viel besser herziehen. Das trifft nicht gleich die Volksseele. Da zeigt sich dann auch gleiche eine ganz fiese Folge der Faktenblöcke: Die können sich jetzt nämlich auf die Wahrnehmung unsachlicher Blöcke auswirken. Wenn Nuhr beispielsweise Özil die Rassismuserfahrungen aberkennt und ihn, im Hinblick auf seine Intelligenz, mit einem Wasserhahn vergleicht, dann hat das wenig mit faktenorientierter Analyse der Causa Özil zu tun. Es kommt aber anders rüber, denn Nuhr setzt ja immer auf Fakten, also wird das, auch wenn er die Fakten nicht explizit nennt, schon auch auf solchen basieren. Zack – haste einen rassistischen Punkt gesetzt und das Publikum lacht sich kaputt. Kommt dazu, dass er hier auch wieder nach unten tritt. Aber das liegt ja eh im Trend. Özil? Nach unten? Ja, Tatsache. In der Geschichte war Özil, trotz aller Millionen auf dem Konto, auf der schwachen Seite.

Insgesamt gibt der Özil-Block viel her. Die #metoo-Debatte wird hier auch erstmals aufs Korn genommen, namentlich mit Serena Williams. Damit folgt er der Linie, sich immer die absurdesten Negativbeispiele aus Debatten herauszugreifen, um die Debatte an sich zu charakterisieren. Früher hat er das beispielsweise im Hinblick auf genderneutrale Sprache auch schon auf die übliche Weise getan, damals in der Form von Feuilleton-Absurditäten wie ›Elterinnen und Eltern‹, also etwas, was mit genderneutraler Sprache nie gefordert werden wollte. Das funktioniert in einem gewissen Bildungs- und Altersmilieu, ich kenne das u.a. von meinem Vater, der sich über solche Sachen herzlich amüsieren kann und danach die ganze Debatte für lächerlich hält.

Alleine der Satz, mit dem er zu Özil überleitet, spricht schon Bände über sein Verhältnis zu Rassismus und Sexismus: »Deswegen fand er die Kritik auch ein wenig beleidigend. Wegen Rassismus. Weil er keine Frau ist. Da fiel Sexismus aus«. Heißt: Wenn (familiärer) Migrationshintergrund sich beleidigt fühlt, spielt er die Rassismuskarte. Wenn Frau sich beleidigt fühlt, spielt sie die Sexismuskarte. Zack – verallgemeinert. Super war auch sein zweiter kurzer Ausflug zu #metoo: Martina Voss-Tecklenburg – als Spielerin und Trainerin immerhin eine der ganz Großen im Fußball der Frauen – sei nur Bundestrainerin geworden, weil man bemerkt habe, dass Horst Hrubesch ein Mann ist. Dass Hrubesch – einer der ganz Großen, zuletzt als Bundestrainer im Nachwuchsbereich -, als er das Nationalteam der Frauen als ausdrücklicher Interimstrainer übernahm, bereits im Ruhestand war, vollkommen irrelevant. Passt ja nicht zum ›Witz‹.

Die Kurve nach ganz Rechts

A propos krude Verallgemeinerungen und Rassismus, eine besonders hervorzuhebende hat der Özil-Block noch hergegeben, als es um das berüchtigte Foto mit Erdoğan ging. Wir erinnern uns, Özil konnte das ja alles nicht ahnen, Nuhr macht »doch keinen Wasserhahn dafür verantwortlich, dass er tropft«. Die Schuldigen waren seine Spielerberater und die hätten eine ganz simple Rechnung aufgemacht: Es gibt 80 Mio. Deutsche und 1,8 Mil. Muslime (ja, Muslime, sagte er, nicht etwa Türken). Erstmal vergleicht er also wieder Äpfel mit Stühlen – aber mit Zahlen! Zahlen sehen immer seriös aus! – und ist sich auch nicht zu schade, die weltweiten Fans des FC Arsenal, für den Özil immerhin spielt, außen vor zu lassen. Viel übler, er bedient dabei – ›humorvoll‹ aufbereitet – eines der Kernnarrative der Rechtsextremen, nämlich den großen Austausch. Wenigstens nicht direkt, aber in der Hinsicht, dass er die Menge der Deutschen und die Menge der Muslime, als wären sie eine homogene Masse, für die Ländergrenzen keine Rolle spielen, in Konkurrenz zueinander setzt. Das ist nicht nur ein bisschen perfide, das ist tiefbraun mit Duftnote.

Jetzt wird es auch im Eilschritt absurder, denn Nuhr macht auch nicht vor Lieblingsthemen der ziemlich rechten halt. Ja gut so, die muss man auch aufs Korn nehmen, würde man denken. Doch weit gefehlt! Denn statt sie aufs Korn zu nehmen, greift er eines ihrer Lieblingsthemen auf: Rassismus gegen Weiße am Beispiel Sachsen. Jaja, das ist nicht tot zu kriegen. Womit ich nicht sagen will, dass Weiße grundsätzlich keinen Rassismus erfahren können, in vielen Ländern geht das sehr wohl (allerdings liegen die nicht um die Ecke).

Exkurs »Sachsenbashing«: Das sog. Sachsenbashing, das Nuhr hier als Rassismus gegen Weiße ausmacht, gibt’s schon ziemlich lange. Um es kurz zu machen, es basiert auf der Annahme, dass der Rechtsextremismus nach der Wende besonders in Sachsen nahrhaften Boden fand (und findet), weil er politisch (insbesondere durch die CDU) und gesamtgesellschaftlich eher geduldet wird. Als PEGIDA in Dresden erstarkte und in ihrem Kielwasser ab 2015 medienwirksame rassistische Ausschreitungen bspw. in Freital, Clausnitz und anderen sächsischen Städten stattfanden, bei denen es immer eine Gemeinsamkeit gab, das überwiegende Schweigen der breiten Masse, bekam das Sachsenbashing wieder Konjunktur. Anfangs ziemlich verallgemeinert (da war es tatsächlich problematisch), ist es mittlerweile aber ziemlich ausdifferenziert. Man ist sich durchaus darüber im Klaren, dass es auch in Sachsen antirassistisches Engagement gibt, das allerdings auf bemitleidenswert verlorenem Posten steht. Das Sachsenbashing bezieht sich heute klarer auf diejenige, leider trotzdem recht große gesellschaftliche Gruppe, die dem Rechtsextremismus in Sachsen gleichgültig oder mehr oder weniger still akzeptierend begegnet. Den Vorwurf, alle Sachsen würden über einen Kamm geschert, kann sich eigentlich nur noch leisten, wer sich nicht ansatzweise mit dem Phänomen Sachsenbashing beschäftigt hat.

Und da war es wieder, dieses Faktenfreie. An der Stelle besonders perfide, weil Nuhr im gleichen Atemzug eine (extrem verkürzte?) Rassismusdefinition zitiert (»Rassismus ist, wenn man einer Volksgruppe pauschal Eigenschaften unterstellt«), also direkt den Eindruck vermittelt, was er anspricht wäre fundiert. Alle heute anerkannten Rassismusdefinitionen, die mir bis dato untergekommen sind, implizieren ein Machtelement. Daraus leite ich ab, dass die rassistische Gruppe die Möglichkeit haben muss, ihre Opfergruppe effektiv zu unterdrücken. Jetzt könnte man sagen, es gibt ja auch viel weniger Sachsen als Nicht-Sachsen in Deutschland, allerdings wäre es mir neu, dass diese unterdrückt würden oder irgendwer das vorhätte und umsetzen könnte. Richtig spaßig wird’s aber erst, wenn man Nuhrs simplifizierte Definition zu Ende spinnt: Dann wäre nämlich auch derjenige Rassist, der Rassisten pauschal Rassisten nennt.

Zum Abschluss noch ein Potpourri

Wir befinden uns nun etwa 15 Minuten vor Ende der Sendung. Nuhr grast jetzt wild Themen ab, die ihm wohl noch auf dem Herzen liegen. Die Radikalisierung der Gesellschaft kommt dran, da schlägt er wenig später auch nochmal einen Bogen bei der Diskursverschiebung, an der die AfD Schuld trage. Rechte, Veganer, Radfahrer, Genderaktivisten, alle hätten sich radikalisiert. Die #metoo-Debatte darf auch noch mal, die sei zwar notwendig, »aber selbst die wurde am Ende von völlig durchgeknallten Berufsbeleidigten gekapert«. Einen Verweis auf die Berliner Feministinnenszene kann er sich nicht verkneifen, das Publikum soll ja wissen, wen er da genau meint. Die AfD – ach – wegen der könne man »die Probleme der Migration« ja gar nicht mehr diskutieren, ohne wahlweise als Volksverräter oder Nazi beschimpft zu werden. Ein bisschen Martin Schulz (»die Heulsuse«) noch und weil sich Frauenparkplätze ganz toll eignen, die Frauenbewegung zu lächerlich zu machen, vermisst er auch »Parkplätze für Lactoseintolerante«. Überhaupt, die Frauenparkplätze zogen sich durch die ganze Sendung, immer mit der Forderung nach Parkplätzen für eine andere, eher dem Mitte-Links-Spektrum zuzuordnenden Gruppe (Vegetarier etc.).

Abgeschlossen wird der Jahresrückblick mit einer Portion Ableismus, an der Stelle ist eh schon alles egal: »Viele unserer Mitbürger sind Spacken, Irre und Trottel und da muss man Kompromisse machen.«

Puh, es ist geschafft! Zusammenfassend möchte ich noch auf einen Satz kommen, den Nuhr zum roten Faden seines Jahresrückblicks gemacht hat: »Gut war vor allem das, was nicht passiert ist«. Ich würde mich dem ja gerne anschließen, aber leider ist der Jahresrückblick ja nun mal passiert. Und aller Voraussicht nach wird er in einem knappen Jahr wieder passieren. Besserung ist leider auch nicht zu erwarten, auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt.

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Thomas liest, schreibt drüber, ist von der Menschheit im Allgemeinen genervt und schreibt auch mal da drüber.
Letzteres tut ihm jetzt schon Leid, ersteres nicht.

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