Lesedauer3 Min, 25 Sek
Titel: Weit gegangen
Autor*in: Dave Eggers
Verlag: KiWi
Erschienen: 22.09.2008
Seiten: 768

Dave Eggers begleitet Valentino Achak Deng auf seiner Flucht aus dem bürgerkriegsgeplagten Südsudan. 2008 in Deutschland erschienen, hat das Buch thematisch bis heute leider nicht an Aktualität verloren.

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Mit sieben Jahren wird das Dorf Valentino Achak Dengs im sudanesischen Bürgerkrieg vernichtet und eine lange Fluchtgeschichte beginnt. Vom Sudan gelangt er über Äthiopien und Kenia schließlich in die USA. Auf dem Weg dorthin erlebt er schon als Kind mehr Grauen und Tod, als ein Mensch in seinem ganzen Leben erleben sollte. Dies ist seine Geschichte.

Weit gegangen wird als Roman, der allerdings auf dem Tatsachenbericht Achaks aufgebaut wurde, angekündigt. Eggers erzählt die Fluchtgeschichte Achaks aus dessen Perspektive und spart dabei nicht mit Details. So wird das Buch ziemlich dick und das machte mir den Einstieg auch nicht gerade leicht. Ich habe etwa 100 Seiten gebraucht, bis ich endlich angekommen war. Bis man sich auf das Buch eingelassen hat, kann es recht langatmig wirken. Wenn es dann aber soweit ist, fesselt es umso mehr.

Achaks Geschichte ist in großen Teilen die zahlreicher sudanesischer Kinder. Sie beginnt im damals noch nicht unabhängigen Südsudan der 90er Jahre. Der Bürgerkrieg spitzt sich zu, sowohl die Regierungstruppen als auch die konkurrierenden Rebellengruppen der SPLA terrorisieren systematisch Dörfer. Als es Marial Bai, das Heimatdorf Achaks trifft, flieht er und schließt sich einer Gruppe anderer Jungen an, die den langen Weg nach Äthiopien aufgenommen haben. Immer getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben müssen die Jungen jedoch bald feststellen, dass niemand mit diesem besseren Leben auf sie wartet. Nicht in den Geflüchtetenlagern Äthiopiens und nicht in denen Kenias.

Lesedauer2 Min, 25 Sek
Titel: Die App – Sie kennen dich. Sie wissen, wo du wohnst.
Autor*in: Arno Strobel
Verlag: S. Fischer
Erschienen: 23.09.2020
Seiten: 368

Rasanter Thriller um Gefahren der Digitalisierung. Spannend, obwohl er an vielen Stellen recht vorhersehbar ist. Auch das muss man erstmal können.

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Hendrik und Linda leben ein komfortables Leben. Sie sind glücklich miteinander, stehen kurz vor ihrer Hochzeit. Hendriks berufliche Karriere als Oberarzt in der Chirurgie des Hamburger UKE ist gesichert. Zuhause haben sie es sich bequem eingerichtet. Doch ihr Smart Home führt ein Eigenleben. Eines Nachts verschwindet Linda aus heiterem Himmel spurlos und Hendriks Leben gerät aus den Fugen.

Arno Strobels neuester Psychothriller erschien am 23. September 2020 und verspricht wieder einmal ein Bestseller zu werden. Das Thema ist aktuell, die Umsetzung auf eine interessante Art spannend und gelungen. Interessant, weil die Handlung an vielen Stellen zwar recht vorhersehbar ist, dabei aber trotzdem die Spannung nicht verliert. Das muss man so auch erst mal können.

Strobel erzählt die Geschichte weitgehend aus Sicht eines Beobachters an Hendriks Seite. So ist man nah an seiner Gedankenwelt und erlebt seine verzweifelte Suche hautnah mit. Unterbrochen wird die Erzählung der Haupthandlung regelmäßig durch Kapitel in kursiv, die recht explizit ein aktuelles Opfer begleiten. Mit einem solchen beginnt das Buch auch, so dass von Beginn an im Ansatz klar ist, wohin die Reise gehen wird.

Wie eingangs erwähnt, empfand ich Die App in zentralen Punkten als recht vorhersehbar. Das liegt hauptsächlich daran, dass Strobel dazu neigt, Figuren, die für die Handlung wichtig sind, etwas zu überzeichnen. Hier die etwas zu hilfsbereite Figur, dort die etwas zu ablehnende und da die etwas zu nette. Viele Figuren musste ich eigentlich nur so weit kennen lernen, bis klar war, dass sie keine Kurzauftritte haben, dann war auch das Gefühl verfestigt, dass sich ihre Rolle noch erheblich ändern wird. Wie gesagt, der Spannung tut das nicht besonders weh, die hält Strobel trotzdem auf einem hohen Niveau.

Lesedauer2 Min, 71 Sek
Titel: Zeitoun
Autor*in: Dave Eggers
Verlag: KiWi
Erschienen: 16.02.2012
Seiten: 368

Reportage über die rassistischen, staatsterroristischen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Hurrikan Katrina in New Orleans. Ein wichtiges Stück US-Zeitgeschichte. Dave Eggers gibt Betroffenen eine laute Stimme.

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Zeitoun (sprich: Seytuun) kommt aus meiner ›Was ich mich noch nicht zu lesen getraut habe‹-Schublade. Dort fristete der Tatsachenbericht, zusammen mit noch einigen anderen früheren Werken von Dave Eggers, ein kuscheliges Leben. Jetzt fehlt mir ein wenig der aktuelle Nachschub, also gehe ich die mal an.

Das Buch erzählt die traumatischen Erlebnisse der Familie Zeitoun aus New Orleans im Rahmen von Hurrikan Katrina im Sommer 2005. Abdulrahman (sein Rufname ist sein Nachname) und Kathy Zeitoun führen einen erfolgreichen Handwerksbetrieb, sind angesehen in New Orleans, bis Katrina ihr Leben auf den Kopf stellt. Als sich der Hurrikan ankündigt, verlässt Kathy mit den vier Kindern die Stadt, um sich in Sicherheit zu bringen. Zeitoun lässt sich nicht überzeugen, mit ihnen zu kommen, er will auf ihre zahlreichen Immobilien aufpassen und sichert noch bis zum letzten Moment die Häuser seiner Kund*innen.

Als Katrina die Stadt schließlich viel härter als erwartet getroffen hat, schnappt sich Zeitoun sein Kanu und paddelt durch die überschwemmte Stadt, immer auf der Suche nach Menschen und Tieren, denen er helfen kann. Kathy und sein Bruder Ahmed, durch allerlei Horrornachrichten in immer größerer Sorge, beknien ihn, die Stadt zu verlassen, doch Zeitoun muss helfen. Dann verschwindet er plötzlich und das Martyrium der Familie beginnt.

Lesedauer2 Min, 23 Sek

Eineinhalb Jahre besteht mein Blog jetzt jedenfalls inhaltlich in der aktuellen Form. Zeit, mal wieder zu reflektieren, was mir gefällt, was funktioniert und was nicht. Die COVID-19-Phase drängt mir den Schritt quasi auf, denn ihr Beginn war auch hier eine mittelgroße Zäsur. Wochenlang gab's gar nix bzw. nur noch die paar schon vorbereiteten Rezensionen. Auch die Rumpelkammer ist quasi von einem Tag auf den nächsten komplett eingeschlafen. Das war alles etwas anders geplant.

Jetzt, wo ich so langsam wieder hochfahre von meiner normalen Form bin ich offensichtlich noch weit weg , wird es Zeit, Resümee zu ziehen.

Das erste Opfer wird die Sternebewertung. In der Rumpelkammer hatte ich das schon angedacht, sie stresst mich einfach und sie ist, weil ich fast nur Bücher lese, die mir auch gefallen, kaum aussagekräftig. Bis auf zwei oder drei sind meine Rezensionen im Kern alle Empfehlungen, also im Bereich von (gerundet) vier bis fünf Sternen. Ich hatte das System damals eingeführt, weil ich auf den verschiedenen Plattformen, auf denen meine Rezensionen neben dem Blog erscheinen, Sternebewertungen abgeben muss, da liegt es nahe, die Information auch hier zu teilen. Aber durch die präzisere Bewertung Plattformen 5 Stufen, hier 5*10 fühle ich mich genötigt, hier auch präziser zu bewerten. Langer Rede kurzer Sinn, es macht keinen Spaß, es sagt fast nix aus, es fliegt raus. Zeitnah, sobald ich einen Weg beschlossen habe, die bestehenden Bewertungen auszublenden, ohne sie aus jedem einzelnen Post händisch löschen zu müssen.

Die nächste Änderung betrifft die Rezensionen selber und ist eher formaler Natur. Den bibliografischen Block werde ich in Zukunft streichen. Die Informationen stehen weitgehend sowieso redundant im Meta-Block und seinen ursprünglich angedachten Sinn als inhaltlicher Trenner zwischen Inhaltsangabe und Rezension hat er nie erfüllt, weil ich von Anfang an meistens auch noch einen Absatz darunter für den Inhalt benutzt habe.

Insgesamt wird die Form der Rezensionen etwas fluider. Ich werde nicht mehr strikt nach Schema Absatz 1 Inhalt, Absatz 2 Bibliografie, Absatz 3 zusätzlich Inhalt, Absätze 4 bis n-1 Rezension, Absatz n Fazit strukturieren, sondern mich danach richten, wie es am besten zum Buch passt. Das ist eine Folge aus den BlackBooks, bei denen mir das bisherige Format nicht passend erschien. Außerdem bin ich faul und im Prinzip stört mich schon die ganze Zeit, dass insbesondere der bibliografische Block auf vielen Drittplattformen so gar nicht ins Konzept passt. Ich werde mich da also etwas freier machen.

Die nächste Änderung betrifft die Rumpelkammer und ist eine konzeptionelle. In der bisherigen Form werde ich die nicht fortsetzen. In Zukunft wird die eine Art Gelegenheitsblog für Themen, die nicht in die Buchblogecke passen letztendlich also das Gleiche wie jetzt, nur pointierter und ohne die Regelmäßigkeit eines (eingeschlafenen) Tagebuchs. Ich denke, das funktioniert besser.

So, das wäre erst mal das kurzfristig Anstehende. Jetzt muss ich technisch nur noch umsetzen, was umgesetzt werden muss. Tja

Lesedauer3 Min, 70 Sek
Titel: Queenie
Autor*in: Candice Carty-Williams
Verlag: Aufbau
Erschienen: 18.08.2020
Seiten: 544

Das Katastrophenjahr einer jungen Schwarzen Frau. Mal leichter, oft schwerer zu ertragen. Aber ein Buch, das sehr nahe Einblicke in eine ganze Reihe Lebensrealitäten bietet.

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Queenies Leben ist eine halbe Katastrophe. In ihrer Zeitungsredaktion arbeitet sie eher halbherzig und ihre Beziehung mit Tom hängt an einem dünnen Faden, ohne dass es ihr auffällt. Als der schließlich reißt, stürzt sie ab. Es folgt ein wahlloses Sexdate nach dem anderen, allen gemein, dass Queenie ausgenutzt wird. Am tiefsten Punkt wird sie in der Redaktion suspendiert, muss wieder bei ihren Großeltern einziehen und reißt das Ruder rum.

Queenie ist der Debütroman der britischen Schriftstellerin Candice Carty-Williams. Das Buch erschien in der deutschen Übersetzung am 18.08.2020 im Aufbau Verlag. Es umfasst 544 Seiten, die sich in 30 Kapitel gliedern. Für mein Rezensionsexemplar darf ich mich beim Verlag und NetGalley bedanken.

»Schwarze Bridget Jones«, so wollte die Sunday Times Queenie feiern. Carty-Williams hat dem widersprochen, Queenie sei zu politisch, weil sie ist, wer sie ist, und könnte so nie eine Bridget Jones sein. Und das trifft es. Queenie ist die Geschichte eines Katastrophenjahres einer jungen Schwarzen Frau in London. Queenie ist ein politisches Statement und zwar insbesondere eines für die Schwarze Community. In einer Literaturwelt, die hauptsächlich Bücher für Weiße produziert, sollte man sich das bewusst machen. Carty-Williams beschreibt, erklärt aber wenig. Sie setzt voraus, dass ihre Leser*innen den Alltag als Schwarzer Mensch kennen oder sich mit ihm beschäftigen. Also genau das, was in all den Büchern mit weißen Protagonist*innen ganz selbstverständlich auch getan wird. Queenie sagt beispielsweise, dass es Rassismus gegen Weiße nicht gibt, erklärt aber nicht, warum. Weil es in der Dialogsituation nicht nötig ist, es zu erklären.

Lesedauer5 Min, 71 Sek
Titel: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten
Autor*in: Alice Hasters
Verlag: hanserblau
Erschienen: 23.09.2019
Seiten: 211

Alice Hasters' sehr persönliche Einführung in insbesondere internalisierten Rassismus. Ein Buch, das leider geschrieben werden musste und nun zur Pflichtlektüre für alle Weißen gehören sollte. Schmerzlich, aber sehr, sehr gut.

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Gehören Sie auch zu den Menschen, die noch nie Fremden gegenüber ihren Stammbaum offenlegen mussten? Oder von ihnen ungefragt in die Haare gefasst bekamen? Oder oder oder. Finden auch Sie das extrem verstörend bis absurd, halten es deshalb gar für ein Märchen?
Dann geht es Ihnen wie einst mir und wir müssen dringend unseren Horizont erweitern. Denn all das ist Realität in diesem Lande. Nicht für uns weiße, aber für Schwarze Menschen.

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten ist Alice Hasters' erstes Buch. Es erschien 2019 bei hanserblau, einem Imprint des Carl Hanser Verlags und umfasst 211 Textseiten, die sich in fünf Kapitel mit Unterkapiteln gliedern.

Ein paar vorbereitende Worte. Das hier wird keine für mich typische Rezension. Es wird wahrscheinlich mehr Raum auf mich, als auf Kritik am Buch fallen. Das hat primär zwei miteinander zusammenhängende Gründe: Erstens bin ich nicht der Meinung, dass es mir zusteht, das Werk inhaltlich zu kritisieren. Ich bin ein Weißbrot, mir fehlt der Erfahrungshorizont und es steht mir nicht zu, den Erfahrungshorizont von Betroffenen zu hinterfragen oder gar zu werten. Und zweitens halte ich es für eine sinnvolle Herangehensweise, das Buch insbesondere mit Selbsterkenntnissen, die ich ihm verdanke, vorzustellen. Denn es braucht leider ein gewisses Maß an Offenheit und Kritikfähigkeit, um sich dem Thema zu nähern. Der (weiße) öffentliche Diskurs falls man das in vielen Fällen überhaupt Diskurs nennen kann hilft nämlich kein bisschen dabei, sich auf die Reflexion der eigenen, ganz persönlichen Rolle gerade im systemischen Rassismus einzulassen. Soll heißen, das Buch schmerzt; aber da müssen wir dringend durch, meine blassen Mitmenschen.

Lesedauer4 Min, 64 Sek
Titel: Americanah
Autor*in: Chimamanda Ngozi Adichie
Verlag: S. Fischer
Erschienen: 24.04.2014
Seiten: 864

Eine große Liebe als Rahmen für ein geduldiges Lehrbuch über die Folgen von Alltagsrassismus und Schwarzes (Er-)Leben. Weniger Unterhaltungsroman, mehr politisches Epos. Wer die eigenen internalisierten Rassismen kennenlernen will, ist bei Americanah richtig.

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Ifemelu und Obinze wachsen im Nigeria der 1990er Jahre auf. In der Schulzeit werden sie ein Paar. Wie eine ganze von Perspektivlosigkeit getriebene Generation fassen sie in ihrer Studienzeit den Entschluss, Nigeria zu verlassen. Ihr Ziel: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ifemelu bekommt einen Studienplatz, Obinze nicht. Der Plan, dass er nachkommt, scheitert und so verlieren sie sich, ohne sich aber je loslassen zu können.
13 Jahre später kehrt Ifemelu nach Nigeria zurück. Vieles hat sich verändert, doch eine Konstante bleibt: Beide fühlen sich ohneeinander nicht vollständig.

Americanah entstammt der international preisgekrönten Feder der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Der Roman erschien 2014 in der deutschen Übersetzung bei S. Fischer. Er umfasst in der Paperbackfassung von 2016 864 Seiten, die sich in sieben Teile mit insgesamt 55 Kapiteln gliedern.

Ich schicke gleich einen Hinweis vorweg: Americanah ist nur sehr sekundär klassische Unterhaltungsliteratur. Der Roman hat einen Auftrag. Er eröffnet einen tiefen Einblick in Schwarzes Leben in Nigeria und als nicht-amerikanische Schwarze in den USA, dazu ein bisschen England. Das ganze aus unterschiedlichen Perspektiven, einerseits das Auslandsstudium, andererseits Flucht aus Perspektivlosigkeit.
Warum ich meine, das vorweg schicken zu müssen? Man sollte, insbesondere als Weiße*r, mit der richtigen Erwartungshaltung an das Buch gehen. Denn es kann tatsächlich sehr viel geben. Adichie eröffnet insbesondere uns einen Einblick in eine Erlebniswelt, die wir nur nachzufühlen versuchen können. Und das müssen wir, wollen wir unseren internalisierten Rassismus jemals verstehen und überwinden. Langer Rede kurzer Sinn: Wer mit der Erwartung eines romantischen Unterhaltungsromans an Americanah geht, wird bald enttäuscht und sich in die Reihe der Rezensionen einreihen, die das Buch für zu dick, langatming bis langweilig, konstruiert, plakativ, mit einer verhältnismäßig dünnen Story ausgestattet etc. halten. Seid euch darüber im Klaren, was euch erwartet, öffnet euch für die Erfahrung, es lohnt sich.