London, in einer nicht allzu fernen Zukunft. Nach dem Brexit ist das Land nach rechts gerückt. Rassistische Übergriffe sind an der Tagesordnung und die Politik konzentriert sich darauf, die Schwächsten weiter aus der Gesellschaft zu drängen. Drogenkonsument*innen sollen die nächsten sein, das Druxit-Referendum steht kurz bevor. Plötzlich verschwindet ein Schutzgeldeintreiber der Boyces. Der Startschuss zu einer Verkettung fataler Ereignisse, die die Londoner Unterwelt und ganz England erschüttern werden.
In dieser düsteren Gemengelage schlagen sich StartUp-Unternehmerin Ellie, ihre Angestellte Mo, der Wirt Leigh und der Boyce-Clan durch ihre ganz eigenen Probleme. Die Fäden laufen bei einer ominösen neuen Mitspielerin auf dem Londoner Drogenmarkt zusammen, die nur unter dem Pseudonym ›Die Lieferantin‹ bekannt ist.
In ihrem aktuellen Thriller beschäftigt sich Zoë Beck mit England in einem nahen Post-Brexit-Zeitalter. Das Land erlebt nach einem harten Rechtsruck nun die Früchte dieser Politik. Straßenschlachten sind wieder an der Tagesordnung, BIPoC werden auf offener Straße grundlos attackiert, die Gentrifizierung ist weiter fortgeschritten und das Land flüchtet vor den Schrecken des Alltags in den Rausch. Die Regierung, die im Verdacht steht, ultrarechte Schlägertruppen als bezahlte Demonstrant*innen mit ihren Gegner*innen zu konfrontieren, hat im Drogenkonsum ihr nächstes Ziel ausgemacht. Das Druxit-Referendum, mit dem Drogenhandel und -konsum radikal kriminalisiert werden soll, steht vor der Tür.
November 2010. Cedric Darney, Sohn des mittlerweile toten Lord Darney, bekommt einen merkwürdigen Anruf seiner Stiefmutter. Merkwürdig einerseits weil sie außer »Sean« nichts sagt und ihn andererseits nie anrufen würde – seit der Geburt ihres Sohnes und der damit verbundenen neuen Lage im Erbstreit um das Darney-Vermögen schon gar nicht. Cedric kann die Ungewissheit nicht stehen lassen, fährt im tiefsten Schneegestöber zu ihr und findet sie erschlagen auf; William, ihr Sohn, putzmunter im Kinderzimmer. Wegen Cedrics merkwürdigen Verhaltens und der Erbstreitigkeiten wird er schnell zum Hauptverdächtigen.
Dezember 2003. Philippa Murray vermisst ihren Freund Sean, der aus dem Nichts einfach nicht mehr von der Arbeit zurück kam. Verzweifelt sucht sie ihn. Doch vergeblich, Sean bleibt verschwunden. 2010, sie hat mittlerweile Michael geheiratet, meldet sie sich plötzlich bei der Polizei in der Gewissheit, Sean habe Cedrics Stiefmutter getötet. Dann verschwindet auch sie spurlos.
Das zerbrochene Fenster ist chronologisch nach Das alte Kind angesiedelt. Auch thematisch haben beide Bücher Überschneidungen. Wieder spielt die Suche nach geliebten Menschen eine zentrale Rolle. Gerade in den Schilderungen der Verzweiflung und den Wegen, mit denen besonders Philippa mit ihrem Verlust umzugehen versucht, sind sich die beiden Bücher sehr ähnlich.
Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes, der legendäre Schauplatz der Nürnberger Prozesse, ist der Ort, an dem geklärt werden soll, ob Fersal Jedden seinen Freund Cornelius Fischer ermordet hat. Fersal kam als Geflüchteter aus Afghanistan, verliebte sich in die in der Geflüchtetenhilfe engagierte Maria Fischer – Cornelius' Partnerin – und am Ende stirbt Cornelius. Dirk Zimmermann, kriegsversehrter Gerichtsreporter und seit Kindesbeinen unsterblich in Maria verliebt, beobachtet den Prozess und kämpft mit seinen inneren Dämonen. Was geschah wirklich in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2016?
Ich muss gleich sagen, Abgestürzt war mein erster Gerichtskrimi. Ich habe mich vor dem Genre immer gedrückt, weil es zu viel Potenzial zu Langatmigkeit hat. Auf ein Rezensionsexemplar habe ich mich eigentlich nur auf gut Glück beworben, weil Johannes Wilkes auch Inselkrimis schreibt – ein Genre, auf das ich wegen des trockenen Humors der Nordlichter total stehe – und mich das Thema grundsätzlich sehr interessiert. Ich wurde positiv überrascht.
Zum Technischen: In Abgestürzt steht, gemessen an den Textanteilen, weniger der Prozess an sich, als die Hintergründe der drei Protagonist*innen im Fokus. Einfühlsam erzählt Wilkes, wie sie zu den Menschen wurden, die sie heute sind und wie es zum schicksalhaften Tag gekommen ist. Den Tathergang an sich lässt er dabei bis zum Schluss mehr oder weniger offen. Besonders Dirks innere Kämpfe tragen dies maßgeblich. Wilkes spielt nicht wild mit Spannungsspitzen, er baut die Spannung von Beginn bis Ende kontinuierlich auf. Das fand ich, besonders für einen Krimi, ungewohnt, trotzdem tat es dem Buch gut. Es wurde unberechenbarer, weil die Spannungsspitzen zu den gewohnten Zeitpunkten eben nicht kamen. Insgesamt hat das Buch mit 226 Seiten für mich genau die richtige Länge. Ich habe es bequem in zwei Tagen durchgelesen und es fiel mir trotz der flachen Spannungskurve schwer, es weg zu legen. Wäre es länger, wäre die Spannungskurve wahrscheinlich noch weiter abgeflacht, dann wäre das vielleicht anders gewesen.
Die junge Schriftstellerin Mina Williams wacht verletzt aus der Bewusstlosigkeit auf. Sie hat keine Erinnerung, wo sie ist und was mit ihr passiert ist. Mit im Haus liegt ein toter Mann. Während ihre Erinnerungen nur langsam zurück kommen, gerät sie als Hauptverdächtige immer tiefer in ein Netz aus Schwerstverbrechen.
Wenn es dämmert spielt in Cedric Darneys Studentenzeit, liegt chronologisch also vor Der frühe Tod, das wiederum vor Das alte Kind. Zoë Beck erzählt darin die Geschichte der jungen Bestsellerautorin Mina, die eng mit der des Verschwindens von Cedrics Vater Lord Darney verknüpft ist. Wie auch Das alte Kind hat Wenn es dämmert starke familiendramatische Elemente und die für fast alle maßgeblichen Charaktere. Mit Menschen- bzw. Kinderhandel greift Beck auch hier ein wahrscheinlich immer aktuelles Thema auf.
Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das lässt sich nicht ändern. Die Bücher dieses Handlungsuniversums sind sich insgesamt und im Prinzip auch im Detail sehr ähnlich. Beck lässt ihr Publikum ausführlich die Zwangshandlungen Cedrics miterleben. Zwar wird deren Ursache in der nebulösen Internatszeit belassen, ihre Auswirkungen und wie Cedric mit ihnen leben muss, erlebt man aber hautnah. Gleiches gilt für Minas Depressionen einschließlich Tablettenabhängigkeit, wobei deren Ursachen im Laufe des Buches aufgelöst werden. Wie es den Charakteren damit geht, ist nicht immer leicht zu lesen, aber sehr lehrreich. Beck mag ihre Charaktere, das merkt man in jedem Buch und ziemlich schnell.
Caitlin, geschieden von und geflohen vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann, führt endlich ein Leben, das ihr gefällt. Sie arbeitet als Pressesprecherin für die ›We help‹-Stiftung, die sich für Kinder aus finanziell schwachen Familien einsetzt. Eines Morgens findet sie beim täglichen Joggen eine Leiche. Es ist ihr Ex-Mann. Schnell wird sie zur Hauptverdächtigen und sieht ihr neues Leben zusammenbrechen.
Ben Edwards arbeitet als Gerichtsreporter beim zum Firmenimperium des verschwundenen Vaters von Cedric Darney gehörenden Scottish Independent. Auch die ›We help‹-Stiftung und ein Pharmakonzern gehören zu diesem Imperium. Ben bekommt ein merkwürdiges Fax über die Stiftung, wenig später befürchtet Cedric Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung des Pharmakonzerns und setzt u.a. Ben auf die Sache an. Der findet sich schnell in einem dramatischen Spiel um Leben und Tod.
Wie in Das alte Kind (das ich ja unglücklicherweise zuerst gelesen habe), spielt auch hier ein Medizinunternehmen eine tragende Rolle. Das Setting ist wieder teils in der britischen Oberschicht angesiedelt, daneben aber auch im finanziell schwachen Milieu, das Beck sehr am Herzen zu liegen scheint. Wie später in Brixton Hill zeichnet sie dieses Milieu liebevoll und detailreich, ohne es aber zu beschönigen. Es fällt nicht schwer, sich in die Menschen hinein zu versetzen, auch wenn sie sich scheinbar völlig irrational verhalten.
Carla, Inhaberin eines großen Auktionshauses, liegt mit einer abklingenden Gürtelrose im Krankenhaus. Eine Woche war Felicitas, ihre sechs Monate alte Tochter, getrennt von ihr auf der Säuglingsstation untergebracht, um sich nicht anzustecken. Als sie Felicitas wieder übergeben bekommt, reagiert sie panisch: Das Kind, das sie in ihren Händen hält, ist nicht ihre Tochter. Niemand glaubt ihr und damit steht sie am Beginn eines jahrzehntelangen Albtraums.
Fiona wacht in ihrer Badewanne auf. Sie liegt im Wasser, hört merkwürdige Musik und ihre Pulsadern sind geöffnet. Den Notruf kann sie gerade so noch wählen, dann verliert sie das Bewusstsein. Als sie im Krankenhaus erwacht, ist sie sicher, dass sie jemand umbringen wollte. Damit steht sie allerdings alleine da. Und es wird nicht bei dem vermeintlichen Suizidversuch bleiben bleiben.
In einem weitgehend unblutigen Thriller beschreibt Zoë Beck ein Familiendrama. Die Handlung ist im weitesten Sinne auf zwei Stränge, die mit gut 30 Jahren Unterschied beginnen, verteilt. Die beiden Stränge haben sehr lange keine offensichtliche Verbindung, was es mir am Anfang doch ein wenig schwer machte, mich im Buch zurecht zu finden. Dem wirkt entgegen, dass ich relativ schnell voran kam. Sobald die Verbindungen offensichtlicher werden (obwohl sie sich im Laufe des Buches noch einige Male verändern), wird auch der erste Teil der Story im Kontext stimmiger.
In einem Luxushochhaus in London spinnt die Elektronik. Plötzlich breitet sich Rauch aus. Während Em dem bewusstlosen Jono hilft, springt ihre Freundin Kimmy, um sich zu retten, aus dem Fenster – im 15. Stock. Wenig später wird Em verhaftet. Sie soll die Gebäudeelektronik gehackt haben. Sie vermutet Alan, einen Hacker, der sie seit einiger Zeit stalkt, hinter dem Anschlag. Doch kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse. Wem kann Em noch vertrauen? Und welche Rolle spielt ihre wohlhabende Familie?
Zoë Beck gelingt mit Brixton Hill ein kurzweiliger, aber doch tiefgründiger Thriller um gleich mehrere heikle Themen. Mit der Gentrifizierung des städtischen Raums greift sie ein Oberthema für den Rahmen ihres Thrillers auf, das aktueller kaum sein könnte. Ausgiebig und einfühlsam beschreibt Beck im Verlauf des Buches die existenziellen Probleme, die sich für die Alteinwohner von Gentrifizierung betroffener Stadtteile ergeben, und die Ausweglosigkeit, mit der sie sich plötzlich konfrontiert sehen.
Daneben nehmen Depressionen und Angststörungen eine zwar nicht so zentrale, aber trotzdem große Rolle ein. Klar wird, dass Beck weiß, worüber sie schreibt, spätestens als sie »normale« Angst ausführlich von Angststörungen unterscheidet. Als Leser fällt es nicht schwer, diesen Unterschied zu erfassen. Sicherlich trägt die einfühlsame Art, mit der Beck das Seelenleben ihrer Protagonisten beschreibt, einen großen Teil dazu bei.