Lesedauer3 Min, 30 Sek
Titel: Ach, Virginia
Autor*in: Michael Kumpfmüller
Verlag: KiWi
Erschienen: 13.02.2020
Seiten: 240

Ein Tsunami an Gefühlen, der über den Lesenden zusammenbricht. Und ein sehr einfühlsamer Blick auf die letzten Tage der Virginia Woolf.

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Am 28. März 1941 nahm sich Virginia Woolf mitten in einer ihrer depressiven Phasen das Leben. Die Schriftstellerin und Verlegerin gehört zu den bedeutendsten Autorinnen weit über ihre Zeit hinaus, insbesondere durch die Rolle ihrer Werke für die Frauenbewegung. Woolf litt Zeit ihres Lebens unter einer bipolaren Erkrankung.
Um die letzten zehn Tage ihres Lebens, in die ein gescheiterter Versuch und schließlich der Freitod fallen, dreht sich der biografische Roman Ach, Virginia.

Ach, Virginia erscheint am 13. Februar 2020 bei Kiepenheuer & Witsch. Der biografische Roman von Michael Kumpfmüller umfasst 240 Seiten.

Rodmell in England, hierhin haben sich Virginia und Leonard Woolf 1940 zurückgezogen. Virginia leidet einmal mehr unter einer depressiven Phase, der Zweite Weltkrieg, der nun auch das englische Festland erreicht hat, macht ihr schwer zu schaffen. Zudem plagen sie Versagensängste, ihren jüngsten Roman hält sie für absolut misslungen. Sie kann nicht Schreiben, sie kann nicht Lesen, ohne Leonard würde sie wohl gar nicht mehr funktionieren. Sie weiß das, sie sieht ihre Lage und die Verschärfung ihrer Krankheit klar. Und sie weiß, dass sie das weder sich noch Leonard ein weiteres Mal zumuten möchte. Am 18. März 1941 geht sie in den Fluss Ouse, allerdings völlig unvorbereitet und so scheitert der Versuch des Freitods. Ihre letzten Tage sind vom Rekapitulieren und Abschließen mit ihrem Leben geprägt und natürlich von der Krankheit.

Lesedauer5 Min, 26 Sek
Titel: Tod und kein Erbarmen
Autor*in: Elias Haller
Verlag: Edition M
Erschienen: 03.12.2019
Seiten: 383

Ganz unterschiedlich schrullige Figuren, ein kleines Dorf im Erzgebirge und ein Verbrechen, dessen Ursprung tief in der Vergangenheit liegt. Elias Haller gelingt ein spannender, kaum vorhersehbarer Regionalthriller um seinen Kommissar Erik Donner.

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Am Tiefpunkt seines Lebens angekommen, reist Kommissar Erik Donner ins ländliche Pöhla im tiefsten Erzgebirge. In der Dorfkneipe muss er feststellen, dass sein Ruf ihm deutlich weiter voraus eilt, als er dachte. Er wollte eigentlich nur in Ruhe seinen Frust ertränken, doch als er das fast geschafft hat, tritt Linda Groß an ihn heran. Ihre damals achtjährige Cousine Violetta verschwand vor zehn Jahren auf dem Schulweg, zahlreiche Theorien machen seither die Runde im Dorf. Linda hat nie aufgegeben, Violetta zu suchen. Donner ist sichtlich in der falschen Lage, um sich einem Fall zu widmen, so kommt es zum Streit. Als er am nächsten Morgen erwacht, ist sein Leben auf den Kopf gestellt. Linda ist tot, sein Zimmer ein blutiges Schlachtfeld und seine Erinnerungen an die Nacht begrenzt. Donner gerät schnell unter Tatverdacht und mehr und mehr wird klar, dass jemand im Dorf ein schlimmes Geheimnis hütet und dafür zu allem bereit ist.

Tod und kein Erbarmen ist der siebte Teil in Elias Hallers Reihe Erik Donner. Der Thriller umfasst 383 Seiten und erschien 2019 bei Edition M, einem Imprint von Amazon Publishing.

Ein Wort vorweg: Tod und kein Erbarmen ist meine erste Begegnung mit Hallers Kommissar Erik Donner. Eigentlich steige ich ungern mittendrin in Reihen ein, aber nun ist es dank NetGalley eben mal wieder passiert. Wenn mir also Vorwissen aus den übrigen Bänden fehlt, möge man mir das verzeihen. Die Reihe ist schon auf meinem Lesestapel gelandet, ich hole das also nach.

Lesedauer2 Min, 24 Sek
Titel: Der Sozius
Autor*in: Lyl Boyd
Verlag: BoD
Erschienen: 06.12.2019
Seiten: 216

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Teresa studiert Literaturwissenschaften und möchte Journalistin und Autorin werden. Mitten in den Recherchen zu ihrem ersten Buch fühlt sie sich zunehmend verfolgt. Ihr Thema ist der Sozius, eine mysteriöse Figur der Hamburger Unterwelt. In den 1970er Jahren begann er seine Karriere im Rotlichtmilieu und arbeitete sich stetig nach oben, bis er heute quasi die Graue Eminenz hinter allem darstellt. Gemeinsam mit ihrem Freund Schneider muss sie feststellen, dass ihre Paranoia keineswegs ein Hirngespinst ist. Je näher sie dem Sozius kommt, desto größer wird die Gefahr.

Der Sozius ist Lyl Boyds erster Kurzroman. Das Buch umfasst 216 Seiten und wird seit dem 06.12.2019 im Self-Publishing zunächst als Paperback über BoD und Amazon vertrieben. Für das Rezensionsexemplar darf ich mich bei Lyl Boyd bedanken.

Der Sozius ist ein interessant anderer Roman, so möchte ich es mal ausdrücken. Die Geschichte lebt von Brüchen in der Erzählstruktur und das schadet dem Buch das überrascht mich zugegebenermaßen ein wenig kaum. Boyd erzählt abwechselnd die Geschichte des Sozius' von den Anfängen bis zur jetzigen Zeit und Teresas Recherchen in der Gegenwart. Die Sprünge sind da teilweise gewaltig, insbesondere beim Sozius hatte ich stellenweise kleinere Schwierigkeiten, direkt Zusammenhänge von einer Station zur nächsten herzustellen. Trotzdem leidet die Spannung nicht unter diesem Phänomen. Das Buch liest sich trotz aller Brüche flüssig und Boyds Stil ist angenehm. Auf der knappen Menge Seiten, die ein Kurzroman hergibt, hätte man anders wohl auch kaum so viel Geschichte untergebracht.

Lesedauer4 Min, 12 Sek
Titel: Schutzzone
Autor*in: Nora Bossong
Verlag: Suhrkamp
Erschienen: 09.09.2019
Seiten: 332

Angepriesen als UN-Pendant zu Menasses* Die Hauptstadt *mit guten Ansätzen in genau diese Richtung, durch den Schreibstil für mich aber leider ein Totalausfall. Ein sehr, sehr anstrengendes Buch, das ich oft abbrechen wollte.

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Mira Weidner arbeitet für die Vereinten Nationen. Nach Stationen in New York und Burundi ist sie nun in Genf. Sie steht im Ruf, dass andere ihr ihre Geschichten erzählen. Während Milan, bei dessen Familie sie einerseits als Kind wohnte, mit dem sie andererseits eine Affäre hatte, wieder in ihr Leben tritt, kommen Fragen zu ihrer Rolle bei der Aufklärung des Völkermordes in Ruanda auf und auch ihre aktuelle Mission, die Wiedervereinigung Zyperns, droht zu scheitern. Ihr Idealismus ist schon lange verloren, nun gerät ihre Souveränität ins Wanken. Und über allem steht die große Frage, ob die Vereinten Nationen nicht nur als gewaltiger Papiertiger ihrer eigenen Existenz dienen.

Schutzzone von Nora Bossong erschien 2019 bei Suhrkamp. Das Buch umfasst 332 Seiten, die sich in fünf Teile mit relativ kurzen Kapiteln nach Handlungsorten und -zeiten gliedern. Schutzzone stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2019.

Auf Schutzzone kam ich durch Das Literarische Quartett. Normalerweise sind Bücher, die in der Sendung teilweise oder absolut verrissen werden, ein relativ sicheres Zeichen für meinen Geschmack. Schutzzone kam relativ schlecht weg. Gereizt hat es mich vor allem, weil es mit Menasses Die Hauptstadt verglichen wurde, ein Buch, das mir, ungeachtet der Person Menasse, ausgesprochen gut gefallen hat. Ich hätte Sibylles Bergs Meinung, die Gast in der Sendung war und so erfreulich wie erwartbar überhaupt nicht ins Schema passte, ernster nehmen sollen.

Lesedauer2 Min, 50 Sek
Titel: Herkunft
Autor*in: Saša Stanišić
Verlag: Luchterhand
Erschienen: 18.03.2019
Seiten: 368

Schön, traurig, berührend und vor allem sehr, sehr gut. Saša Stanišić setzt sich mit seiner Vergangenheit und insbesondere Demenz und Tod seiner Großmutter auseinander und lässt uns in einem leider nach wie vor hochaktuellen Buch teilhaben.

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Was ist Herkunft, wenn das eigene Leben durch Krieg und Vertreibung schon in der Jugend zerrissen wurde? Saša Stanišić musste 1992 mit seinen Eltern vor dem Krieg in Jugoslawien fliehen, sie landeten in Heidelberg. Die Familie eine große Familie, wie man schnell lernt blieb teilweise bei Višegrad, teilweise verschlug es sie in die halbe Welt.
Mit Herkunft fügt Stanišić sie literarisch wieder zusammen und verabschiedet sich gleichzeitig von seiner dementen Großmutter.

Herkunft erschien 2019 bei Luchterhand, 2020 folgt btb. Das Buch umfasst 368 Seiten, die sich in zahlreiche, meist relativ kurze Kapitel gliedern. Saša Stanišić wurde für Herkunft mit dem Deutschen Buchpreis 2019 ausgezeichnet.

Das Buch ist, was man heute wohl einen autobiografischen Roman nennt. Stanišić erzählt recht ausführlich Episoden aus seiner Kindheit in der Nähe von Višegrad damals noch Jugoslawien , über seine Fluchtgeschichte, als Jugoslawien im Krieg zerbrach und er zunächst mit seiner Mutter nach Deutschland kam, und seine späteren Reisen zurück an seinen nun bosnischen Geburtsort. Im Laufe des Buches kristallisiert sich immer stärker heraus, dass er in seinen Erzählungen dabei Realität und Fiktion vermischt, teilweise beides gar nicht mehr klar trennen kann. Herkunft lässt sich so, das soll aber auch so sein und macht einen erheblichen Teil seines Charmes aus, nicht eindeutig einem der beiden Genre zuordnen.

Lesedauer3 Min, 26 Sek
Titel: Unhaltbare Zustände
Autor*in: Alain Claude Sulzer
Verlag: Galiani Berlin
Erschienen: 22.08.2019
Seiten: 272

Wenn der Lauf der Zeit das eigene Weltbild überrollt, kann man mit ihm gehen oder einen verlorenen Kampf gegen ihn kämpfen. Von einem Mann, der sich für den zweiten Weg entscheidet.

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Stettler ist Schaufensterdekorateur im Kaufhaus ›Quatre Saisons‹ in einem Schweizer Städtchen. Er geht auf die 60 und damit seine Rente zu. Aber er ist der Beste, seine Schaufenster stehen seit Jahrzehnten für sich. Stettler könnte einen ruhigen Ausklang seines Arbeitslebens haben. Doch es ist 1968.
Alles verändert sich. Die Jugend rebelliert, auf dem Münster ist plötzlich die Flagge des Vietcong gehisst. Und Stettler bekommt Konkurrenz. Der junge Bleicher wird, ihm gleichgestellt, eingestellt. Seine Schaufenster sind revolutionär, sie leben, und die Menschen lieben sie. Stettlers Weltbild beginnt rissig zu werden. Verzweifelt versucht er, seine Welt vor den Umwälzungen zu retten.

Unhaltbare Zustände ist ein Gegenwartsroman des Schweizer Schriftstellers Alain Claude Sulzer. Das Buch umfasst 272 Seiten und erscheint seit 2019 bei Galiani Berlin. Für das Rezensionsexemplar, das ich über NetGalley bekommen habe, darf ich mich beim Verlag und NetGalley bedanken.

Stettler ist sein Leben lang der Schaufensterdekorateur des Kaufhauses ›Quatre Saisons‹. Er ist eine Institution, sein Werk wird bei jeder Enthüllung bewundert. Nach dem Tod seiner Mutter lebt er alleinstehend in der elterlichen Wohnung. Sein Leben ist von festen Strukturen und Werten dominiert, alles in allem ist er ein zufriedener Mann. Doch dann kommen die 68er. Die Jungen rebellieren, die Alten stemmen sich dagegen. Ihr Wertekanon gerät ins Wanken. Auch Stettler bleibt von dieser Entwicklung nicht verschont. Das Kaufhaus stellt Bleicher, einen jungen, rebellischen Künstler an. Erstmals sieht sich Stettler mit Konkurrenz konfrontiert und sein Nimbus bricht schnell zusammen. Bleicher ist kreativ, wagemutig und trifft den Nerv der Zeit. Im Wechsel gestalten sie nun die Schaufenster. Bleichers werden frenetisch gefeiert, Stettlers nicht mehr. Doch Stettler will sich mit diesem Ende seiner beruflichen Laufbahn nicht abfinden.

Lesedauer3 Min, 23 Sek
Titel: Das Ting
Autor*in: Artur Dziuk
Verlag: dtv bold
Erschienen: 16.09.2019
Seiten: 464

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Linus, Niu, Adam und Kasper stehen auf ganz unterschiedliche Weise an Scheidepunkten ihrer Leben, als sie zusammen finden und mit dem Ting ein Start-up gründen. Das Ting soll das Leben der Menschen verbessern. Auf Basis zahlreicher Körper- und Umgebungswerte erstellt die KI Handlungsempfehlungen, die jeden individuell voran bringen sollen. Die Anschubphase ist holprig, doch mit einer Verpflichtung, den Empfehlungen uneingeschränkt zu folgen, geraten die vier Gründer*innen tatsächlich auf die Erfolgsspur. Doch diese Verpflichtung bleibt nicht folgenlos und so geraten ihre Leben immer tiefer in die Fänge des Tings mit verheerenden Folgen.

Das Ting ist Artur Dziuks Debütroman und erschien 2019 beim dtv-Imprint bold. Auf 464 Seiten erzählt Dziuk die Geschichten der vier Gründer*innen im Wechsel aus ihren eigenen Perspektiven.

Das Ting beginnt mit einer verhältnismäßig langen Charaktereinführung. Fast das gesamte erste Drittel des Buches treibt die Geschichte auf den ersten Blick kaum voran, sondern befasst sich stattdessen mit den Hintergründen der vier angehenden Gründer*innen. Erst später im Buch wird klarer, dass viele Punkte, die im Lesefluss als Charaktereinführung stattfanden, doch stark mit dem Fortgang der Geschichte verbunden sind. Das kann in der Situation langatmig wirken, hat aber durchaus seinen Sinn.