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Eigentlich wollte ich mein Blog ja mit was freundlichem starten. Eigentlich tut's mir auch ein bisschen Leid, dass Blogdesign und überhaupt die Welt jetzt ziemlich kurzfristig hingerotzt wurden. Dafür finde ich's immerhin schon überraschend schick. Aber! Da kam noch dieser gefühlt tausendste Kommentar aus der Medienlandschaft. Immer drauf, auf das schon übergelaufene Fass ohne Boden. Klingt unsinnig? Mag sein. Aber genau so fühlt sich das für mich an. Doof, dass die Sache dann auch noch zu viel ist, um sie angemessen auf Twitter auszubreiten. Tja, und jetzt bin ich hier und verseuche dieses jungmenschliche Blog.

Es geht um die Wahl der AfD-Bundestagsmitglieder Boehringer, Brandner und Münzenmaier zum Vorsitz ihrer jeweiligen Ausschüsse. Der vorerst ausschlaggebende Tropfen kommt in Form eines Kommentars von der ARD, genauer Dagmar Pepping, ihres Zeichens Korrespondentin des NDR im ARD-Hauptstadtstudio.

Es ist schlimm

Seit die AfD anno 2014 in den hier hatte die Geschichte noch Humor sächsischen Landtag einzog und in der Folge in alle restlichen Länderparlamente, zieht sich eine Sache wie ein roter Faden durch die Kommentierungen dieser Wahlerfolge: Die AfD müsse sich jetzt im politischen Arbeitsalltag beweisen und würde sich dadurch schon selbst entzaubern. Als sie 2016 erstmals in den Bundestag zog, sind wieder Kommentare dieser Art zu lesen. Und jetzt, als sie den Vorsitz dreier Ausschüsse besetzt, ebenfalls.

Grundsätzlich ist an dem Satz nicht viel Falsches zu finden. Grundsätzlich ist er korrekt und in einem ›normalen‹ politischen Wertesystem würde er auch funktionieren. Normal, im gewohnten Kontext der Parteienarbeit, ist aber weder an der AfD, noch an ihren Wähler*innen, viel. Die AfD ist ein Tabubruch auf so vielen Ebenen. Mit ihr wurde offen rassistisches oder allgemein menschenfeindliches Gedankengut wieder zu etwas, »das man ja wohl noch sagen dürfen wird«. Mit ihr wurden inoffizielle Standards für die Amtstauglichkeit (einschlägige Vorstrafen, Mitwirkung in verfassungsfeindlichen Organisationen u.a.) weggefegt. Eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ist im Verständnis der AfD offenbar eine Auszeichnung. Der Führerkult und nicht der der charismatischen Lichtgestalt, der man nur gute Absichten zutraut (Obama im Wahlkampf, Sanders) ist wieder da. Medien, Fakten, allgemein die gemeinsame Basis, die alle diskurswilligen Beteiligten nicht nur des politischen Feldes bislang als kleinsten, gemeinsamen Nenner annahmen, werden täglich mit einem herzhaften »Fake News!!!« zertrümmert. Das ist vielleicht mit eine der schlimmsten Folgen, denn dieses Vermächtnis der Rechten wird sich für lange Zeit in den betroffenen Teilen der Gesellschaft halten und die fehlende Anerkennung einer gemeinsamen Faktenbasis macht jeden Diskurs mit diesem Teil unmöglich. Vereinfacht: Man kann nicht über die Farbe eines roten Apfels diskutieren, wenn das Gegenüber Rot als nicht existent abtut und den Apfel als Banane bezeichnet, weil Äpfel nur eine Propagandalüge der rotversifften Medien sind.

»Ein guter Tag für den Parlamentarismus«

Schlimm an dem Satz sind nun die Sätze, die um ihn geschart werden. Frau Prepping beginnt und schließt mit »ein guter Tag für den Parlamentarismus in Deutschland«. Nein! Wäre es vor der AfD nicht gewesen, ist es auch jetzt nicht. Der Vorsitz in einem Ausschuss mag kein besonders einflussreiches Amt sein, trotzdem ist er eines, in dem man sich inszenieren kann. Genau das wird geschehen und, mit Blick auf die Kandidaten, es wird schlimm werden. Herr Brandner, Rechtsausschuss, der gerne mal Bilder seiner Messer garniert mit Grußbotschaften an seine Gegner*innen verschickt. Herr Boehringer, Haushaltsausschuss, Verschwörungstheoretiker, der gerne rassistische und beleidigende Hassmails verschickt. Und dann ist da noch der Herr Münzenmaier, Tourismusausschuss. Erstinstanzlich verurteilter Gewalttäter, dem seine parlamentarische Immunität im Rahmen des Verfahrens irgendwie abhanden gekommen ist. Allesamt gewählt mit Stimmen von AfD und FDP, gegen die Stimmen der LINKE und unter Enthaltung des Großteils des Rests. Drei Ausschüsse, darunter der bedeutendste und ein kaum weniger bedeutender, repräsentiert von sowas. Und der Widerstand besteht alleine aus der zweitschwächsten Oppositionspartei und ein paar Abweichler*innen. Nach der Wahl findet man sich gemeinsam im Plenarsaal zur Holocaustgedenkstunde ein. Das ist kein guter Tag für den Parlamentarismus, das ist eine verdammte Schande!

»Aber ihnen stehen die Ämter nun mal zu«

Ich wäre übrigens einer der Letzten, die der AfD solche Ämter grundsätzlich verweigern würden. Wenn mir irgendwer endlich mal zeigen würde, wo rechtsverbindlich geschrieben steht, dass ihr diese Ämter grundsätzlich zustehen. Sogar in der Geschäftsordnung des Bundestages finde ich lediglich den Verweis auf Beschlüsse des Ältestenrates über die Vergabe der Ausschussvorsitze. Das klingt jetzt eher nicht ehern. Daneben, ja, die verdammte AfD wurde in den Bundestag gewählt und ja, dank der selbstzerstörerischen SPD ist sie stärkste Oppositionsfraktion. Wenn ihr schon Ämter zustehen, könnte sie aber wenigstens Vorsitzende vorschlagen, die dem Job auch nur ansatzweise angemessen sind. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es da nicht ›bessere‹ Kandidat*innen gäbe. Die ausgewählten sind mehr als offensichtlich reine Provokation und dem Umstand geschuldet, dass Herr Glaser, Klimaleugner und Verfassungsfeind, zurecht nicht zum Bundestagsvize gewählt wurde.

Raus aus der Opferrolle

Ein weiterer Satz, der ständig auftaucht, ist die Freude darüber, dass sich die AfD nun nicht mehr in ihrer Opferrolle suhlen könnte. Einen Scheiß kann die AfD! Die ist seit 2014 prinzipiell mit Handlungsmöglichkeiten ausgestattet, ist sie deswegen aus der Opferrolle gesprungen? Nein, verdammt! Wird sie auch nie. Weil die Opferrolle für ihre Agenda ganz wunderbar funktioniert. Die Opferrolle erstickt nämlich jeden ernsthaften Diskursversuch. Sie und ihre Fans werden nicht müde, die Opferrolle bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuspielen. Der Rest der Gesellschaft nimmt ihr die schon lange nicht mehr ab. Der wählt sie aber auch nicht. Jedenfalls noch nicht.

»In der Regierung wird sie sich entzaubern«

Ich wage einen Ausblick, weil es mich dermaßen nervt. In diesem Jahr steht u.a. die Landtagswahl in Sachsen an. Sachsen ist herausragend, weil sich dort wahrscheinlich nicht die Frage stellt, ob die AfD an der nächsten Landesregierung beteiligt sein wird, sondern ob sie sie führt. Seit vier Jahren »entzaubert« sich diese Partei, glaubt man den Kommentarspalten, und das so sehr, dass sie in den kommenden vier Jahren wohl nicht nur in einem Bundesland mitregieren wird. Auch Brandenburg wählt dieses Jahr und dort fühlt die CDU fleißig vor. Seit vier Jahren »beweist« sich die AfD in den Parlamenten, leistet nichts, abgesehen von meist provozierten Skandalen, die schnell wieder verdrängt werden, und feiert einen Sieg nach dem anderen.

Wann genau, Frau Prepping und Konsort*innen, sollen denn diese ganzen tollen Kisten, an denen diese Partei angeblich scheitern oder gesunden wird, endlich greifen? Wenn sie auch in der Bundesregierung steckt oder so 12 Jahre später? Oder schon, wenn der politische Kompass der jeweiligen Regierungsparteien komplett nach rechts umgeschlagen ist und die AfD sitzen kann, wo sie will, weil ihre Politik so oder so gemacht wird? Davon sind wir auf vielen Politikfeldern übrigens heute schon nicht mehr weit weg. Und dadurch, dass es aus der sog. Mitte kommt, sickert es dermaßen in die Gesellschaft, dass sich wahrscheinlich frühestens die heutige Babygeneration wieder davon erholen kann.

Blauäugigkeit

Wie blauäugig kann man bitte sein, die Erfolgsstory der AfD komplett auszublenden und bei jedem weiteren Etappensieg von einem »guten Tag« für die Demokratie zu schwärmen? Die Demokratie ist nicht ehern, genau wie es das Grundgesetz nicht ist. Wie schnell daraus nur noch ein Stück Papier wird, kann man alleine in unserem europäischen Umfeld zahlreich beobachten. Überraschung, unter der Federführung der Freunde der AfD. Ach, noch eine Überraschung, Journalist*innen sind übrigens meistens mit die ersten, die das dann zu spüren bekommen. Könnte man im Sinne der Selbsterhaltung auch mal drüber nachdenken.

Werdet verdammt nochmal endlich wütend! Das erwarte ich von allen demokratieliebenden Kommentator*innen, gerade im öffentlich-rechtlichen Bereich. Wie die AfD die »Staatsmedien« sieht, hat sie hinlänglich kundgetan. Ihre Erfolgsstory funktioniert von ganz alleine, auch ohne Lobhudelei aus anderen Reihen. Es reicht vollkommen, dass die AfD in nahezu jeder Talkrunde direkt oder indirekt sitzt. Es muss ja nicht immer ein Georg-Restle-Kommentar sein (obwohl mir das gut gefallen würde), aber die Augen aufzumachen wird man ja wohl erwarten können.